Pilot über Flughafen-Chaos: „Es ist alles bis ans Limit geplant“
Die Lage an den Airports sorgt auch in den Cockpits für Frust. Ein Kapitän erzählt, wie sein Berufs- und Privatleben leidet. Besserung sei nicht in Sicht.
DÜSSELDORF Gestrichene Flüge, lange Schlangen beim Check-in und vor der Sicherheitskontrolle, frustrierte Passagiere: Thomas Koch (Name geändert) bekommt die teils chaotischen Zustände an den deutschen Flughäfen fast täglich zu spüren. Der 47-Jährige ist Pilot bei einer deutschen Airline und fliegt häufig Urlauber zu ihrem Ferienziel. Oft leider mit erheblicher Verspätung, wie er am Telefon erzählt: „Neulich bin ich in Frankfurt um das Flugzeug herumgelaufen, und die Lademeisterin fragt mich: Habt ihr keine Passagiere heute?“, so Koch. „Ich antworte: Doch, bei mir auf dem Zettel stehen 187 Fluggäste. Darauf entgegnet sie, in ihrem Computer seien keine Koffer
vermerkt. Von der Abfertigung hören wir: Zu wenig Personal beim Check-in, deshalb gibt es noch keine Koffer für den Flug. Das Resultat waren zwei Stunden Verspätung.“
Für Piloten wie Koch ist das ein Unding. Sein Anspruch und der seiner Kolleginnen und Kollegen sei es, alle Passagiere pünktlich ans Ziel zu bringen: „Gerade in der Urlaubszeit freuen sich die Menschen doch, aus ihrem Alltag auszubrechen, und stattdessen geht dann das Chaos sehr real weiter“, sagt der Pilot. Eine Ursache sieht er darin, dass die Airlines und die Abfertigungsfirmen die zeitlichen Puffer runtergefahren hätten. In einem derart dynamischen System wie der Luftfahrt bedeute das, dass sich zwei Stunden Verspätung auch auf die folgenden
Flüge auswirken: „Das heißt, man schmeißt den gesamten Flugplan dieses Flugzeugs um und dementsprechend auch den Dienstplan der Crews. Die hat man aber auch ans Limit geplant. Was entsteht, ist ein Domino-Effekt“, sagt Koch.
Als Pilot könne man in so einer Situation wenig tun – nur nach Abkürzungen fragen und versuchen, schneller zu fliegen. Nicht nur, um Verspätung aufzuholen, sondern auch, um am Abend in Frankfurt landen zu können. „Der einzige Flughafen, der nachts aufhat, ist
Hannover. Da fliegen Maschinen, die nach München oder Frankfurt sollten, nach Hannover, damit das Flugzeug in Deutschland ankommt. Nur ist der Passagier dann noch nicht am Zielort. Und das Flugzeug steht am nächsten Tag nicht dort, wo es gebraucht wird“, sagt Koch.
Hinzu kommt, dass – wie am Donnerstagabend bekannt wurde – mitten in der Hauptreisezeit eine Airline wie die Lufthansa wegen Personalmangels plötzlich mehr als 2000 weitere Flüge an ihren Drehkreuzen Frankfurt und München streicht. „Die Streichungen betreffen innerdeutsche und innereuropäische Flüge, jedoch nicht die in der Ferienzeit gut ausgelasteten klassischen Urlaubsziele“, so die Lufthansa.
Für Thomas Koch sind solche
Nachrichten Alltag. Das Chaos an den Flughäfen, aber auch die zunehmend angespannte Personallage bei den Piloten und den Kabinencrews führe generell zu viel Frust unter den Mitarbeitern, erzählt Koch: „Inzwischen verzeichne ich am achten Tag des Monats schon acht Dienstplanänderungen. Früher hatte man acht Änderungen in einem Monat.“Persönliche Vorhaben müssten da oft über den Haufen geworfen werden. Denn nach dem Dienstplan koordiniere man auch sein Privatleben. Koch: „Man kommt zu Hause an, hat eine kurze Ruhezeit, dann geht’s wieder los.“
Dass sich die Situation in den nächsten Wochen und Monaten signifikant verbessere, erwartet der Pilot nicht. Denn das reduzierte
Personal im Räderwerk der Luftfahrtindustrie lasse sich so schnell nicht ersetzen. Das gelte für alle Bereiche, für das fliegende Personal wie für die Sicherheitsleute, auch die müssten angelernt und trainiert werden. „Ich verstehe nicht, warum man da nicht vorausschauender gehandelt hat, weil klar war, dass die Pandemie irgendwann endet und wieder verstärkt Personal gebraucht wird“, so Koch. Hierzulande könne man neues Personal nur mit guten Gehältern und Arbeitsbedingungen locken. „Die wurden aber zugunsten von mehr Produktivität verschlechtert“, sagt Koch. Was nicht heiße, dass das Fliegen unsicher sei, Sicherheit bleibe oberstes Gebot. „Aber mit Verspätungen ist weiter zu rechnen.“(mit dpa)
„Was entsteht, ist ein Domino-Effekt“Thomas Koch Pilot