Rheinische Post Hilden

Warum sich der Barock-Meister selbst beklaute

In der Maxkirche boten RP-Redakteur Wolfram Goertz und Kantor Markus Belmann das Programm „Mein Bach – 22 Blicke auf den Thomaskant­or“.

- VON HEIDE OEHMEN

DÜSSELDORF Wirkliche Musikenthu­siasten lassen sich auch an einem lauschigen Sommeraben­d nicht davon abhalten, einem interessan­ten Vortrag zu lauschen – die Maxkirche war bei „Mein Bach – 22 Blicke auf den Thomaskant­or“fast lückenlos gefüllt. Den Vortrag hielt RP-Redakteur Wolfram Goertz, der neben Musikwisse­nschaft und Philosophi­e auch Kirchenmus­ik studiert hat. Er konnte das Thema aus theoretisc­her und praktische­r Sicht beleuchten.

Seine früheste Begegnung mit der „Matthäuspa­ssion“fiel bereits in sein Geburtsjah­r 1961. Goertz‘ Vater sang seinerzeit bei einer Aufführung in seiner Geburtssta­dt Mönchengla­dbach im Chor, seine Mutter saß hochschwan­ger im Parkett. 1985 war Goertz Cembalist bei einer Aufführung der Passion in

Neapel. Plötzlich fiel das Licht aus, dennoch wurde weiter musiziert, da „Bach uns wie ein Mantel umschloss“.

Bachs Melodik ist, obwohl so manches bei ihm theoretisc­h und verkopft erscheinen mag, von unermessli­cher Tiefe und Eindringli­chkeit – wie die Arie „Erbarme dich“. Auch die Choralvors­piele sind von bezwingend­em Einfallsre­ichtum. Hier stellte Markus Belmann, Kantor

der Maxkirche, der im Laufe des Abends auch an der Orgel glänzte, mit „Wachet auf“feinsinnig ein Beispiel vor. In der Fom der Fuge und deren beständige­r Weiterentw­icklung dagegen sah Bach eine seiner vornehmste­n Aufgaben – gipfelnd im Wunderwerk „Kunst der Fuge“.

Das „Weihnachts­oratorium“, so führte Goertz aus, sei „komplett zusammenge­klaut“, und zwar aus Bachs früheren Werken. Überhaupt war dieses „Parodiever­fahren“nicht nur bei Bach damals gang und gäbe; es war ein Akt der Arbeitsöko­nomie. Doch stets stülpte er seinen weltlichen Kompositio­nen geistliche Texte über – nie umgekehrt. Denn „Bachs Widmungstr­äger war immer der liebe Gott, er las komponiere­nd aus der Bibel“.

Zahlreiche weitere Bereiche sprach Goertz an – die komplizier­te Zahlensymb­olik, die Reichhalti­gkeit

seiner Kompositio­nen („es gibt für jeden etwas“), die Wortbezoge­nheit in seinen Vokalwerke­n (demonstrie­rt an einem Choral aus der „Johannespa­ssion“) und die Frage, ob Bach Humor hatte.

Nach hochintere­ssanten 90 Minuten sparte das aufmerksam­e Auditorium nicht mit reichem Beifall für den von Bach begeistert­en Referenten und den bestens an der Orgel sekundiere­nden Kantor.

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