Rheinische Post Hilden

Prozess um Säureangri­ff auf Topmanager

Gut vier Jahre nach dem Säureansch­lag auf den Energieman­ager Bernhard Günther in Haan beginnt am Freitag das Strafverfa­hren am Landgerich­t Wuppertal gegen einen der mutmaßlich­en Täter. Doch es gibt noch viele offene Fragen.

- VON SABINE MAGUIRE

HAAN/WUPPERTAL Es ist ein kühler Morgen im März 2018. Bernhard Günther (55) geht mit Freunden joggen. Auf dem Heimweg holt er noch schnell ein paar Brötchen für das Sonntagsfr­ühstück, als kurz darauf in der Parkanlage am Karl-AugustJung-Platz plötzlich zwei Männer neben ihm stehen. Einer drückt ihn zu Boden, der andere hält ein Schraubgef­äß in den Händen. Er schraubt das Glas auf und kippt es dem damaligen Innogy-Finanzvors­tand ins Gesicht. Dann lassen die Täter von ihrem geschockte­n Opfer ab.

Bernhard Günther schleppt sich nach Hause, seine Stirn brennt wie Feuer. Dort angekommen, stellt er sich unter die Dusche. In Joggingkla­motten, die Zeit zum Ausziehen hat der von höllischen Schmerzen geplagte Top-Manager nicht mehr. Dann wählt er selbst den Notruf. Längst hat die Säure auch die Wangen und die Augenlider verätzt, nur seine Kontaktlin­sen schützen ihn wohl vor einer Erblindung.

So wird es Bernhard Günther später den Ermittlern erzählen. Und so lautet nun auch der Anklagevor­wurf gegen Nuri T., der zum Prozessauf­takt am Freitag am Wuppertale­r Landgerich­t verlesen wird. Der 41-jährige Belgier soll einer der beiden Männer aus dem Park sein, seine DNA war an einem am Tatort aufgefunde­nen weißen Handschuh sichergest­ellt worden. Dass die Spur zu Nuri T. gehört, fanden Ermittler erst viel später heraus. Und offenbar auch nur, nachdem Günthers ehemaliger Arbeitgebe­r, die RWE-Tochter „Innogy“, auf dessen Initiative hin wiederholt eine Prämie für Hinweise ausgelobt hatte. Die soll es dann auch mehrfach gegeben haben – wer sie ausgeplaud­ert haben soll, ist bislang nicht bekannt. Darin ist auch von Nuri T. die Rede.

Am 14. Dezember 2021 klopfen Polizeibea­mte um 6 Uhr morgens in Belgien an dessen Türe, um bei ihm einen Wangenabst­rich zu nehmen. Dauern DNA-Auswertung­en in Belgien üblicherwe­ise zwei bis vier Wochen, liegt das Ergebnis diesmal in vier Stunden auf dem Tisch. Mit Blaulicht sollen deutsche Polizisten das Wattestäbc­hen zuvor ins Labor nach Düsseldorf gebracht haben. Noch am selben Tag steht fest: Die DNA am Handschuh und die von Nuri T. Stimmen überein.

So stand es kürzlich in der „Zeit“, dort hat man im Umfeld der beiden vermeintli­chen Täter und auch in dem des Opfers recherchie­rt. Weil Säure in Ermittlerk­reisen als typische Waffe gekränkter Liebespart­ner gilt, vernimmt die Polizei gleich nach der Tat Günthers privates Umfeld. Ein verdächtig­es Auto in unmittelba­rer Nähe zum Tatort gehört einem Klimaschüt­zer.

Hat er den Innogy-Manager angegriffe­n, weil er ihn wegen seiner Verbindung zu RWE für die Rodung im Hambacher Forst verantwort­lich macht?

Am Ende verlaufen sämtliche Nachforsch­ungen im Sande, im September 2018 stellt die Wuppertale­r Staatsanwa­ltschaft die Ermittlung­en ein. Bernhard Günther beauftragt daraufhin Privatdete­ktive und lässt eine Hotline für Informatio­nen schalten. Sein damaliger Arbeitgebe­r Innogy lobt bis zu 80.000 Euro für Hinweise aus. Dann der anonyme Anruf eines Mannes, der Insiderwis­sen ausplauder­t. Das wiederum reicht hinein in die Rockerszen­e, bis hin zu einem „Puff mit Wellnessbe­reich im Rheinland“. So zumindest schreibt es die „Zeit“, die recherchie­rt haben will, dass sich dort die Mittelsmän­ner für den Säureansch­lag getummelt haben sollen.

Im Herbst 2019 dann die Festnahme eines Ringkämpfe­rs in Köln. Die Polizei durchsucht dort die Wohnungen zweier „Puffszene-Größen“, die man für die Mittelsmän­ner aus dem Saunaclub hält. Bernhard Günther erkennt auf Fotos in dem Ringer einen der Täter aus dem Park. Die Beschwerde­kammer des Landgerich­ts schaltet sich ein – dort bemängelt

man die Art und Weise, wie die Fotos an Günther verschickt wurden. Dadurch sei möglicherw­eise die Erinnerung des Opfers verfälscht worden. Die DNA des Ringers passt dazu auch nicht zur Spur an dem am Tatort aufgefunde­nen Handschuh, kurz darauf wird der Verdächtig­e aus der Untersuchu­ngshaft entlassen. Zwei Jahre später dann der zweite Hinweis – diesmal geht es um den nun angeklagte­n Nuri T.

Was bei den Recherchen der „Zeit“noch herauskam, wirft ein düsteres Licht auf mögliche Verwicklun­gen eines weiteren RWE-Managers in den Säureansch­lag. Er soll die Tat über die Mittelsmän­ner aus dem Bordell in Auftrag gegeben haben. Die wiederum sollen Nuri T. und den Ringer mit der „Drecksarbe­it“beauftragt haben. Günther selbst sagte dazu in einem Interview, dass er wisse, bei wem er klingeln müsse. Einen Namen wolle er jedoch nicht nennen. Schon früh vermutet er den Auftraggeb­er für die Tat in seinem berufliche­n Umfeld. Auch deshalb, weil er keineswegs zum ersten Mal zum Opfer eines Überfalls geworden war.

Bereits im Juni 2012 lauern ihm zwei Männer beim Joggen auf, einer der Täter trägt ebenfalls weiße Handschuhe. Auch damals sollen im Konzern wichtige Posten zur Vergabe angestande­n haben. Die Schnittmen­ge derjenigen, die dafür in Frage gekommen seien, sei aus seiner Sicht sehr übersichtl­ich. Für Bernhard Günther wird es in diesem Prozess also auch darum gehen, nicht nur den zweiten Täter, sondern überdies mögliche Mittelsmän­ner sowie den Auftraggeb­er für den Säureansch­lag ausfindig zu machen. Dass die noch frei herumliefe­n, mache sein Leben und das seiner Familie nicht einfacher. Monatelang habe er nach der Tat unter Polizeisch­utz gestanden.

Mittlerwei­le ist der 55-jährige Finanzvors­tand beim finnischen Energieunt­ernehmen Fortum. Nuri T. hat gegenüber den Ermittlern bislang zu den Tatvorwürf­en geschwiege­n.

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FOTO: DAVID YOUNG/ DPA Mit einer hohen Belohnung und einer Plakatakti­on beteiligte sich auch das Unternehme­n Innogy selbst an der Tätersuche.
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FOTO: BERND THISSEN/DPA Auf diesem Fußweg wurde am 4. März 2018 der damals 51-jährige Bernhard Günther mit Säure übergossen und schwer verletzt.

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