„Die Zeit der aktiven Value-Stockpicker hat gerade erst begonnen“
Thomas F. Seppi, Vorstand der FPM Frankfurt Performance Management AG, zur Bedeutung von Aktien und ihrer Auswahl im aktuellen Kapitalmarktumfeld sowie offenkundigen Nachteilen von ETFs.
THOMAS F. SEPPI
Herr Seppi, explodierende Inflationsraten, steigende Zinsen, Corona-Nachwirkungen und Ukraine-Krieg: Da kann man Anlegern doch eigentlich nur dazu raten, von Aktien derzeit die Finger zu lassen. THOMAS F. SEPPI Dies ist eine verständliche Reaktion, aber wahrscheinlich ist wieder einmal das Gegenteil richtig. In den letzten 20 Jahren haben die Kapitalmärkte diverse Krisen durchlebt: das Platzen der Blase am Neuen Markt, Finanzkrise, Eurokrise, Handelskrieg und Corona. Trotzdem konnten mit Aktien auch in Deutschland solide Renditen erzielt werden – und zwar selbst dann, wenn man eher teuer gekauft hat. Die von FPM gemanagten Stockpicker Aktienfonds brachten über den langen Zeitraum seit ihrer Lancierung 2001 bzw. 2004 überdurchschnittliche Renditen. Und das, obwohl viele der Aktien, die in den Fonds gehalten werden, heute niedriger bewertet sind als üblich. Kontinuierlich und vor allem in unsicheren Zeiten zu investieren, bringt den Erfolg.
Wäre das Umschichten in andere Anlageklassen jetzt keine Alternative?
SEPPI Was sind denn die Alternativen? Fangen wir beim risikoaversen Sparer an, der sich all die Jahre mit niedrigen Zinsen hat abspeisen lassen. Seit 2000 hat sich die Kaufkraft von 100 Euro auf unter 70 Euro reduziert – und dies bei eher niedrigen Inflationsraten. Das hat sich gerade geändert. Auch bei den derzeit wieder kleinen positiven Anleihezinsen steht der Realwertverlust fest. Vor 20 Jahren gab es noch nennenswerte Zinsen, heute ist davon nicht mehr viel zu sehen. Gold ist bereits sehr stark gestiegen. Und Kryptowährungen sehen aus wie die Tulpen des 21. Jahrhunderts (die Spekulation um Tulpenzwiebeln in den Niederlanden gilt als erste spektakuläre Spekulationsblase der Finanzgeschichte).
Nach welchen Aspekten suchen Sie die Aktien in Ihren Fonds aus?
SEPPI Wir beteiligen uns an Unternehmen. Diese und ihre Bewertung stehen somit immer im Mittelpunkt. Das Verständnis des Geschäftsmodells, auch basierend auf Gesprächen mit dem Management, ist unsere Stärke. Nur dies ermöglicht eine fundierte Unternehmensbewertung. 95 Prozent der Informationen, die uns alle täglich umgeben, sind letzten Endes Hintergrundrauschen. Die relevanten fünf Prozent besser einzuordnen, macht den Unterschied aus. Unsere Fondsmanager Martin Wirth und Raik Hoffmann machen dies beide seit über 25 Jahren. Das ist aufwendig, daher liegt unser Fokus auf deutschen Unternehmen. Lieber relativ wenige Aktien genauer verstehen als viele nur ein bisschen.
Aktienmärkte sind generell relativ effizient. Lohnt sich da der ganze Aufwand?
SEPPI Effizienz wird den Märkten von Leuten unterstellt, die sich offensichtlich nicht ausreichend Mühe gegeben haben. Aus unserer Sicht lohnt sich der Aufwand ganz erheblich. Nur so lassen sich Investments vermeiden, die überbewertet sind*, aber auch
Chancen entdecken, die für viele Investoren gar nicht auf dem Radarschirm erscheinen. Das bringt zwar nicht in jedem Umfeld eine bessere Kursentwicklung, als sie der Gesamtmarkt jeweils bietet. Dauerhafte Verluste – und dieser Aspekt ist viel relevanter – lassen sich auf diese Weise aber mit deutlich höherer Wahrscheinlichkeit vermeiden. In den vergangenen Jahren, als alles gefragt war, was von tiefen Zinsen profitiert hat, ist dieser Effekt eher untergegangen. Gesucht waren Aktien mit einem stabilen Geschäft, unabhängig von ihrer Bewertung. Die tiefen Zinsen haben Investoren verleitet, in Anlagen mit einer noch so kleinen, aber stabilen Rendite zu investieren, unabhängig von ihrer Bewertung. Mit steigenden Inflationsraten und Zinsen gibt es hier in der Tat eine Zeitenwende. Wie immer werden sich die Bewertungen der verschiedenen Anlagen wieder angleichen.
Bei vielen Anlegern gelten ETFs als eierlegende Wollmilchsau. Die passiv gemanagten Produkte scheinen damit einen Teil ihres „Heiligenstatus“zu verlieren?
SEPPI Bei ETFs betreibt niemand den Aufwand, auf Dauer gute und weniger gute Investments voneinander zu trennen. Deshalb können sie günstiger angeboten werden. Zudem machen die teuren Aktien, die wir nicht kaufen würden, in ETFs genau dann den höchsten Anteil aus, wenn sie am teuersten sind. Das funktioniert so lange einigermaßen gut, wie Geld in die ETFs hineinfließt. Bei Abflüssen wird sich zeigen, wo es Käufer gibt, die die ehemaligen Lieblinge immer noch attraktiv finden. Aktuell bekommt man einen Eindruck, welche Aktien vielleicht doch etwas überreizt waren. Die Spreu trennt sich vom Weizen.
Ist nach den Kursverlusten seit Jahresanfang denn zumindest Besserung in Sicht?
SEPPI Mit der Zinswende hat der zentrale Ankerpunkt des Investierens eine andere Dynamik. Dies wird auch deshalb umfassende Folgen haben, weil für viele Investoren eine Zinswende gar nicht mehr vorstellbar war. Die Bewertungen von Geschäftsmodellen, die sich bei steigenden Zinsen nicht mehr rechnen, dürften noch weiter fallen. Unternehmen, die Preissteigerungen nicht weitergeben können, werden unattraktiver. Anders als bei Aktien wird die gestiegene Inflation von Anleihen oder Liquidität bei weitem nicht kompensiert werden können. Auf der anderen Seite gibt es viele Unternehmen, die jetzt die Preise erhöhen und damit ihren realen Wert erhalten können. Die Inflation stammt weitgehend aus der Preissetzung von Unternehmen. Längerfristig ist diese Investmentklasse am ehesten geschützt. Die richtigen Aktien mit einer tiefen Bewertung, das sollte weiter funktionieren. Unsere Aktieninvestments waren schon vor dem Ukraine-Krieg attraktiv bewertet, jetzt sind sie es umso mehr. Wir sind optimistisch, denn nach zehn Jahren Gegenwind hat die Zeit der aktiven Value-Stockpicker gerade erst begonnen.