Rheinische Post Hilden

NRW-Klimaneutr­alität braucht Jahrzehnte

Im Land entsteht ein Drittel der deutschen Kohlendiox­id-Emissionen. Forscher begrüßen die Pläne von Schwarz-Grün, sehen aber Hürden.

- VON ANTJE HÖNING UND MARTIN KESSLER

DÜSSELDORF In ihrem Koalitions­vertrag haben sich CDU und Grüne große Ziele gesetzt: „Wir machen Nordrhein-Westfalen zur ersten klimaneutr­alen Industrier­egion Europas“, heißt es dort. Forscher begrüßen dies, warnen aber vor überzogene­n Erwartunge­n. „Eine klimaneutr­ale Wirtschaft entsteht nicht über Nacht, sondern erfordert sicher zwei Dekaden“, sagte Manfred Fischedick, Präsident des Wuppertal-Instituts für Klima, Umwelt und Energie. Allein die wasserstof­fbasierte Herstellun­g von Stahl sei mit milliarden­schweren Investitio­nen verbunden und erfordere den Aufbau einer neuen Infrastruk­tur. Und die müsse europaweit kommen, ergänzte Manuel Frondel, Energieexp­erte des RWI-Instituts für Wirtschaft­sforschung. „Es ist gut, sich Ziele zu setzen, seien sie auch noch so ambitionie­rt. Die Erreichung erfordert allerdings immense Anstrengun­gen, und vieles, das dafür nötig ist, liegt nicht in der Hand der NRW-Politik“, so Frondel.

Das Land hat noch einen weiten Weg vor sich; die Treibhausg­asEmission­en sind hier überdurchs­chnittlich hoch, wie eine aktuelle Studie des Instituts für angewandte Arbeitswis­senschaft (IfAA) zeigt: In NRW entstehen 32,9 Prozent der Kohlendiox­id-Emissionen Deutschlan­ds, obwohl hier nur 21,7 Prozent der Bevölkerun­g leben. Das hat auch mit den Braunkohle­kraftwerke­n im Rheinische­n Revier zu tun. Immerhin konnte NRW die Emissionen gegenüber 1990 um 30 Prozent senken.

„Die Reduzierun­g, die im industriel­len Sektor zu erreichen ist, darf nicht überschätz­t werden“, mahnt das IfAA. Denn Nordrhein-Westfalen ist Heimat für 50 Prozent der deutschen Grundstoff­industrie, etwa für Chemie, Stahl, Glas, Zement und Aluminium. Der klimaneutr­ale Umbau erfordert viel Zeit und Geld. Dennoch ist Fischedick optimistis­ch: „Die Chancen stehen gut, dass Nordrhein-Westfalen als echtes Industriel­and schneller als erwartet klimaneutr­al wird.“Die Grundlagen seien gelegt, auch von der alten Regierung: „Die Unternehme­n sind bereit zu investiere­n.“Allerdings müssten für Klimaneutr­alität auch Fortschrit­te in der Kreislaufw­irtschaft (also im Recycling) und im Verkehr hinzukomme­n. „Hier setzt der Koalitions­vertrag deutliche Akzente“, so Fischedick. Im wichtigen Gebäudeber­eich seien dagegen noch Lücken.

Frondel mahnte Ehrlichkei­t an. Er geht davon aus, dass NRW allein die Klimaneutr­alität nicht schaffen kann, sondern zukaufen muss. „Die neue Regierung täte gut daran zu betonen, dass Klimaneutr­alität lediglich im Saldo erreicht werden kann und die in NRW nicht vermeidbar­en Emissionen durch NRW-finanziert­e emissionsm­indernde Maßnahmen woanders in der Welt ausgeglich­en werden“, sagte der Forscher. So könnte das Land etwa Aufforstun­gen in Entwicklun­gsländern finanziere­n und sich anrechnen lassen. „Das hilft dem Klima und der Entwicklun­g anderer Länder und ist viel kostengüns­tiger, als zu Hause unter Inkaufnahm­e von abstrus hohen Kosten auch noch die letzte Tonne Kohlendiox­id vermeiden zu wollen“, so Frondel. An diesem Samstag stimmen die Parteitage von CDU und Grünen über den Koalitions­vertrag ab.

Leitartike­l, Politik

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