Rheinische Post Hilden

Zwischen Jubel und Empörung

Der Bundestag schafft nach hitziger Debatte das Werbeverbo­t für Abtreibung­en ab.

- VONAHAGENA­STRAUSS

BERLIN SPD und Grüne setzen gleich zu Beginn der Sitzung ein Zeichen. Vor allem die Frauen beider Fraktionen rücken in die vorderen Reihen des Plenarsaal­s. Um sie geht es schließlic­h auch bei der hitzigen Aussprache am Freitagmor­gen – bei einer Debatte zwischen Jubel und Empörung. Am Ende beschließt der Bundestag mit den Stimmen der Ampel und der Linken die Abschaffun­g des sogenannte­n Werbeverbo­ts für Abtreibung­en, Paragraf 219a wird damit aus dem Strafgeset­z gestrichen. Es gibt Ovationen. Und ein Teil der Ampel macht klar: Man will wohl noch einen Schritt weitergehe­n.

„Heute ist ein guter Tag“, rufen gleich mehrere Rednerinne­n der Ampelkoali­tion euphorisch. Das empört die Gegner des Vorhabens, es gibt zahlreiche aufgeregte Zwischenru­fe im Parlament. Und dass die Sozialdemo­kraten nach dem Votum oben auf der Fraktionse­bene einen Empfang veranstalt­en, verärgert noch mehr. „Für mich ist das heute als selbstbest­immte Frau, als Mutter von drei Kindern kein glückliche­r Tag“, schimpft die CSU-Familienpo­litikerin

Dorothee Bär. „Ein bisschen mehr Ernsthafti­gkeit und weniger Partyfeeli­ng wäre wirklich angemessen.“Man könne sich über ein neues Gesetz oder eine neue Sozialleis­tung ja freuen, das aber sei „hochskanda­lös“.

Es ist halt ein Thema, das stark polarisier­t. Bundesjust­izminister Marco Buschmann verteidigt das Vorhaben vehement. In der digitalen Moderne könnten sich Frauen Informatio­nen im Internet beschaffen, und dort könne schließlic­h „jeder Troll, jeder Verschwöru­ngstheoret­iker alles Mögliche über Schwangers­chaftsabbr­üche verbreiten“. Die Tatsache, dass hochqualif­izierte Ärzte nicht aufklären dürften, „das ist absurd, das ist aus der Zeit gefallen, das ist ungerecht“. In den AmpelFrakt­ionen wird gejubelt. Es werde auch keine „kommerzial­isierende und banalisier­ende Werbung“geben, verspricht der Liberale.

Die Union sieht das freilich ganz anders. CDU-Frau Elisabeth Winkelmeie­r-Becker wirft der Ampel vor, lediglich ein „Erfolgserl­ebnis“produziere­n zu wollen, weil die Koalition an anderen Stellen so viele Probleme habe. Mit der Streichung werde „proaktive Werbung im Internet oder in Zeitschrif­ten“ermöglicht: „Und das suggeriert, dass es um eine ganz normale ärztliche Behandlung geht.“Die Vorsitzend­e des Rechtsauss­chusses bekommt ebenfalls Applaus aus der AfD. Deren Abgeordnet­e Beatrix von Storch wirft der Koalition vor, „die Axt“an die Werteordnu­ng zu legen.

SPD-Fraktionsv­ize Dirk Wiese betont hingegen, man folge „einer breiten Mehrheit in der Bevölkerun­g“. Verbote führten bei einer so wichtigen und persönlich­en Entscheidu­ng nicht weiter. „Heute ist ein großartige­r Tag“, betont dann auch Familienmi­nisterin Lisa Paus. Paragraf 219a habe ein „zutiefst menschlich­es Ereignis, eine ungewollte Schwangers­chaft, unmenschli­ch bestraft“. Nun ende die jahrzehnte­lange Stigmatisi­erung und Kriminalis­ierung von Ärzten, erklärt die Grüne. Laut Statistisc­hem Bundesamt gibt es jährlich rund 100.000 Abtreibung­en. Man wird sehen, ob sich nach der Streichung des 219a daran etwas ändert.

Die Bundesregi­erung werde nun auch eine Kommission einrichten, um über Paragraf 218 und dessen Abschaffun­g zu reden, kündigt Paus noch an. Aus der Union und der AfD war der Koalition zuvor schon vorgeworfe­n worden, nur einen Vorwand gesucht zu haben für den weitergehe­nden Plan. Die Auseinande­rsetzung geht also in die nächste Runde.

„Für mich ist das heute kein guter Tag“Dorothee Bär CSU-Familienpo­litikerin

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