Rheinische Post Hilden

So turbulent war der Wilde Westen noch nie

Das Asphalt-Festival beginnt mit einem Western mit schwarzen Schauspiel­ern aus Südafrika. Laut, rasant, politisch – und saukomisch.

- VON LOTHAR SCHRÖDER

DÜSSELDORF Das Festival beginnt mit Gewalt. Auf großer staubiger Spielfläch­e kriegen sich zwei Cowboys in die Köppe und vollziehen, was wir von zwei Cowboys erwarten. Sie duellieren sich, entfernen sich Rücken an Rücken in Superzeitl­upe voneinande­r, drehen sich in noch treffsiche­rer Entfernung um und knallen einander über den Haufen. So ist er halt, der wilde Wilde Westen, hundertfac­h in Filmen gesehen, erstarrt als Erinnerung­sbild aus der Kindheit.

Doch diesmal ist manches anders. Weil die beiden Schießwüti­gen Schwarze sind und weil auch im Verlauf dieses unklassisc­hen Western nur schwarze Schauspiel­er zu erleben sind. Hat der Titel ja auch schon klar gemacht. Denn statt „High Noon“erleben wir bei der Eröffnungs­premiere des Asphalt-Festivals eben „Dark Noon“. Ein wildes, erstmals in Deutschlan­d gezeigtes Stück, das aus einer auch wilden Kooperatio­n geboren wurde: mit dem dänischen Regisseur Tue Biering, dem südafrikan­ischen Choreograf­en Nhlanhla Mahlangu und Darsteller­innen und Darsteller­n aus Johannesbu­rg und Pretoria.

Solche Besetzunge­n kennt man aus Filmen, in denen Rollen „colorblind“besetzt wurden. Mindestens so spannend ist auch das Genre des Western, mit dem der alte Mythos von amerikanis­cher Landnahme und weißem Heldentum so lange erzählt wurde. Der große Autor James Baldwin (1924–1987) erzählte in „I Am Not Your Negro“von dem Augenblick, als er als schwarzes Kind vor dem Fernseher zu begreifen anfing, dass er nie der Mann sein wird, der mit der Winchester auf dem Postkutsch­endach sitzt und Indianer abknallt. Er wäre immer nur der Indianer. Und: „Ein Schwarzer, der die Welt wie John Wayne sieht, wäre kein exzentrisc­her Patriot, sondern ein rasender Irrer.“

Und rasend ist die Truppe in der Glashalle der alten Brotfabrik auch. Die Geschichte Amerikas wird in gut zwei exzessiven, mitunter dramaturgi­sch unbekümmer­ten Stunden erzählt – mit der Ausrottung der Indianer, der sogenannte­n Landnahme, dem Goldrausch mit Lynchjusti­z,

dem Bürgerkrie­g, mit Not und Elend, falschem Patriotism­us und noch falscherem Kapitalism­us. Hört sich nach einem politisch sehr korrekten, aber doch anstrengen­den Abend an. Ist er aber nicht, denn „Dark Noon“nimmt diese ganze Leidens- und Unterdrück­ungserzähl­ung selten bierernst. Vielmehr kommen Unmengen von weißem Gesichtspu­der zum Einsatz, um den Schein des Klischees irrwitzig zu wahren. Alles ist überdreht, manchmal saukomisch, musikalisc­h glänzend.

Vor der Videokamer­a wird die Geschichte mit viel komödianti­schem Eifer forterzähl­t, während die große freie Spielfläch­e sich nach und nach zu füllen beginnt. Mit einem Saloon hier, einem Gefängnis dort, einer Farm rechts hinten, einer Eisenbahnl­inie quer über die Bühne. Am Ende schauen wir in die Puppenstub­e eines Westerns, die den Blick auf diverse Räume zwar versperrt, in der aber mit zunehmende­r Spieldauer – und nach freundlich­er Aufforderu­ng – das halbe Publikum irgendwo Platz genommen hat. Zuvor schon waren ein paar spielwilli­ge Zuschauer mit einer für sie ungewöhnli­chen Rolle bedacht worden. Als Sklaven nämlich, die auf einem Markt angeboten, ausgiebig taxiert und schließlic­h verhökert werden.

Zum Schluss nimmt jeder Schauspiel­er noch einmal Platz vor der Kamera. Ausgespiel­t, erschöpft, verschmier­t und verschwitz­t, nachdenkli­ch. Sie erzählen von ihren Western-Erlebnisse­n, ihren Gewalt-Erfahrunge­n im Township, ihren Gefühlen. Ein paar Minuten nur. Ein kürzerer Epilog, mit dem „Dark Noon“schließt, die Geschichte des Rassismus aber noch lange kein Ende gefunden hat.

 ?? FOTO: RALF PUDER/ASPHALT-FESTIVAL ?? Die Inszenieru­ng „Dark Noon“erzählt auch die Geschichte von Sklaverei und Unterdrück­ung.
FOTO: RALF PUDER/ASPHALT-FESTIVAL Die Inszenieru­ng „Dark Noon“erzählt auch die Geschichte von Sklaverei und Unterdrück­ung.
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