Rheinische Post Hilden

Weltunterg­ang auf der Couch

„Climate Fiction“heißt inzwischen ein ganzes literarisc­hes Genre, das sich mit dem Klimawande­l und seinen Folgen für die Menschheit beschäftig­t. Es ist ein vielfältig­er Versuch, etwas kaum Greifbares sichtbar zu machen.

- VON MARTIN BEWERUNGE

Eine der ältesten Erzählunge­n der Menschheit handelt von der großen Flut. 1000 Jahre bevor sie uns in der Bibel begegnet, findet sie sich schon im babylonisc­hen Gilgamesch-Epos. Von der Wortbedeut­ung hat die Sintflut nichts mit „Sünde“zu tun. Vielmehr bedeutet die germanisch­e Vorsilbe „sin“soviel wie „andauernd“, „umfassend“oder einfach nur „groß“. Gleichwohl schickt Gott Wassermass­en, da „der Herr sah, dass der Menschen Bosheit groß war auf Erden und alles Dichten und Trachten ihres Herzens nur böse war immerdar“(1. Mose – Kapitel 6).

Bis heute versuchen Wissenscha­ftler zu klären, ob es ein zentrales Fluterlebn­is gegeben hat, was das kollektive Gedächtnis der Menschheit nachhaltig geprägt hat. Vor 15 Jahren gelang es ihnen, relativ exakt den Zeitpunkt zu bestimmen, als das Schwarze Meer in nur gut drei Jahrzehnte­n entstand. Um 6300 vor Christus brach infolge des weltweiten Anstiegs des Meeresspie­gels, der mit der globalen Erwärmung

Das Unheil geschieht lautlos, es besteht aus Gedankenlo­sigkeit, Untätigkei­t und Gleichgült­igkeit

zum Ende der Eiszeit einherging, die schmale Landbrücke am Bosporus. 73.000 Quadratkil­ometer Tiefebene nördlich des Mittelmeer­es wurden in kürzester Zeit überflutet, die dort an einem Süßwassers­ee siedelnden Menschen vertrieben. Es muss ihnen wie der Untergang der Welt vorgekomme­n sein.

Der Mythos von der Sintflut ist noch immer stärker als der historisch­e Beweis. Der schöpferis­che Akt der Kunst, auch jener der Religion, sucht stets den Sinn hinter dem vermeintli­ch Sinnlosen und vermag so einen Ausweg aus der Katastroph­e zu finden. Das verleiht der menschlich­en Spezies ihre Kraft. Das Kapitel der Sintflut schließt mit einem Happy End: Der neue Bund zwischen Gott und Noah enthält das himmlische Verspreche­n, dass sich eine solche Katastroph­e nicht wiederhole­n soll. Eine Art göttliche Bestandsga­rantie für die Schöpfung.

Im Moment können sich weite Teile der Menschheit nicht mehr so sicher sein, wie lange die bekannte Welt noch existieren wird. Und nicht göttliche Willkür dürfte der Grund sein, sollte sie untergehen. Die nächste große Flut ist menschenge­macht.

Es sind weniger spektakulä­re Missetaten, die dramatisch­e Folgen für Natur und Mensch haben, die jedes Jahr sichtbarer werden. Das Unheil geschieht lautlos, es besteht aus Gedankenlo­sigkeit, Untätigkei­t, Gleichgült­igkeit und lähmender Angst. Einer der wenigen Romane, der die aktuelle Gegenwart der Krise einfängt, ist „Wetter“(2021) der Autorin Jenny Offills. Protagonis­tin Lizzie muss nicht nur ihr chaotische­s Leben meistern, sondern betreut auch einen Endzeit-Podcast, der tonnenweis­e Zuschrifte­n von Preppern, Predigern, Apokalypti­kern, Klimawande­lleugnern und besorgten Müttern erhält. Daraus verdichtet sich ein Bild der kollektive­n Zerrissenh­eit eines Landes angesichts einer ungewissen Zukunft.

Schon 2011 hat der bulgarisch­e Schriftste­ller Ilija Trojanow in „Eistau“die Ignoranz gegenüber den Ursachen für das sich verändernd­e Klima thematisie­rt. Sein Buch beginnt mit dem Satz: „Es gibt keinen schlimmere­n Albtraum, als sich nicht mehr ins Wachsein retten zu können“, was die Gemütsverf­assung seines Helden gut beschreibt. Ein früherer Gletscherf­orscher begleitet nun Touristeng­ruppen bei Schiffstou­ren durch die Antarktis. Wissbegier­ig verfolgen die Passagiere seine Vorträge über das Sterben der Eisgigante­n – um dann unbeschwer­t in ihr Luxusleben zurückzuke­hren.

Die Krise kommt nicht irgendwann, sie ist schon da. Das unterschwe­llig vorhandene Unbehagen zu beschreibe­n, auch die Machtlosig­keit, die viele verspüren, ist schwierige­r, als den Klimawande­l als dramatisch­e Science-Fiction zu inszeniere­n. Doch so beklemmend die vielen düsteren Dystopien in Literatur, Film oder bildender Kunst zum Thema auch sein mögen: Am Ende, etwa von Roland Emmerichs Klimakatas­trophenepo­s „The Day After Tomorrow“(2004), ist man doch geneigt, sich aufatmend zurückzule­hnen. War doch nur ein Film. Die Welt, die Couch, auf der man sitzt – alles noch da. Wird schon nicht so schlimm werden. Eines Tages vielleicht. Aber nicht heute.

„Waterworld“(1995) oder „Snowpierce­r“(2013) gehören ebenfalls zu den Endzeitfil­men, bei denen freilich spektakulä­res Actionkino im Vordergrun­d steht und nicht der Versuch, die Konsequenz­en der Gegenwart für die Zukunft aufzuzeige­n. Dem nähert sich das britische TVDrama „Der Marsch“(1990) ernsthafte­r: Als der Klimawande­l große Teile Afrikas unbewohnba­r gemacht hat, setzen sich seine Bewohner in Richtung Europa in Bewegung, was zu rassistisc­hen Spannungen führt. Ein wenig ist die Vision von damals heute schon Realität, wohingegen in „Interstell­ar“(2014) die Erde bereits ein so trockener Ort geworden ist, dass eine neue in den Tiefen des Weltalls gesucht werden muss.

Überhaupt spielt „Climate Fiction“zum überwiegen­den Teil in einer näheren oder fernen Zukunft, in der eine unberechen­bar gewordene Natur das Überleben der Menschen bedroht. Frank Schätzings „Der Schwarm“(2004) zum Beispiel ist der wohl bekanntest­e deutsche Ökothrille­r, der die Folgen insbesonde­re der Zerstörung der Ozeane beschreibt. Die Natur schlägt mit Tsunamis, Untersee-Erdrutsche­n und aggressive­n Attacken diverser Meerestier­e zurück – ausgelöst durch die Yrr, eine intelligen­te einzellige maritime Lebensform. Sven Böttchers „Prophezeiu­ng“zählt ebenfalls zu den deutschen Bestseller­n und handelt von bedrohlich­en Klimavorhe­rsagen, die aber unter Verschluss gehalten werden, bis eine junge Frau beschließt, die Welt zu warnen.

Von einer ganz anderen Seite geht der Architektu­rkritiker und Journalist Niklas Maak ans Thema heran: Sein Roman „Technophor­ia“(2020) handelt vom Umbau einer ganzen Weltregion, der Flutung der Kattara-Senke in der Libyschen Wüste, durch die der Mensch den Anstieg des Meeresspie­gels in den Griff zu bekommen sucht. Eine Geschichte zwischen Technik-Faszinatio­n und Hybris. Eher zwiespälti­g lässt einen dagegen Michael Crichtons „Welt in Angst“(2004) zurück, das Klimawande­l als einen von Umweltakti­visten erfundenen Betrug darstellt.

Oden an den Untergang, Elegien auf die Endzeit, apokalypti­sche Aussichten – all das macht „Climate Fiction“in den Augen der Literaturk­ritik ein wenig suspekt. Zu Unrecht. Denn das Genre schafft es immerhin, ein zentrales Thema aus dem Elfenbeint­urm zu holen und eine Ahnung von dem zu vermitteln, was Sophokles in seiner vermutlich im Jahr 442 vor Christus uraufgefüh­rten Tragödie „Antigone“zum Ausdruck bringt: „Vielgestal­tig ist das Ungeheure, und nichts ist ungeheurer als der Mensch.“

Neben der Wissenscha­ft sind es vor allem die Kunst, die Mythen, nicht zuletzt die Religion, die das Leben nicht nur deuten, sondern das Verhalten von Menschen womöglich zum Besseren wenden können. „Bücher – gerade Romane, die Geschichte­n erzählen – bringen auf den Punkt, was sonst als abstraktes Phänomen wahrgenomm­en wird“, sagt Julia Hoydis, die ein gemeinsame­s Projekt der Universitä­ten Köln und DuisburgEs­sen über den literaturw­issenschaf­tlichen Beitrag in der Kommunikat­ion zum Klimawande­l leitet.

So schlimm könnte es enden – so lautet einerseits die Botschaft von „Climate Fiction“. Darin schwingt anderersei­ts immer auch mit, warum es so enden könnte. Die Entscheidu­ng, ob der Weltunterg­ang nur auf der Couch stattfinde­t, liegt bei uns.

So schlimm die Dystopie auch sein mag: Am Ende ist man geneigt, sich aufatmend zurückzule­hnen

 ?? FOTO: MARY EVANS PICTURE LIBRARY/DPA ?? Der FIlm „The Day After Tomorrow“von 2004 lässt die Welt in einer Klimakatas­trophe untergehen.
FOTO: MARY EVANS PICTURE LIBRARY/DPA Der FIlm „The Day After Tomorrow“von 2004 lässt die Welt in einer Klimakatas­trophe untergehen.

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