Rheinische Post Hilden

Herkunft als Hürde

Von 100 Grundschül­ern aus Nichtakade­miker-Familien beginnt nur rund ein Viertel ein Studium. Studierend­e wollen aufklären.

- VON ISABELLE DE BORTOLI

KÖLN Die soziale Herkunft entscheide­t noch immer maßgeblich über den Bildungser­folg eines Kindes. Nur 27 Prozent der Grundschül­erinnen und -schüler aus einem Nichtakade­mikerhaush­alt beginnen später ein Studium. Bei Akademiker­kindern sind es 79 Prozent. Das zeigt die Studie „Vom Arbeiterki­nd zum Doktor“des Stifterver­bands. Die Folge: Der Anteil der Kinder aus Nichtakade­mikerhaush­alten an allen Studierend­en liegt bei nur 47 Prozent. An Schulen machen Nichtakade­mikerkinde­r aber 72 Prozent aus. Größte Hürden auf dem Bildungswe­g sind der Übergang zu einer hochschulb­erechtigen­den Schule und der darauffolg­ende Wechsel an eine Hochschule.

„Das Problem beginnt schon mit dem Übergang von der Grundschul­e auf die weiterführ­ende Schule“Marian Kirwel

Autonomes Referat „fakE“

Auch Marian Kirwel ist ein Arbeiterki­nd, seine Eltern sind keine Akademiker. Der 25-Jährige studiert an der Uni Köln Musikwisse­nschaften – und er engagiert sich im Autonomen Referat „fakE – für antiklassi­stisches Empowermen­t“. „Ich hatte zu Beginn meines Studiums das subtile Gefühl, falsch zu sein an diesem Ort. Ich hatte mich zwar umfassend online informiert, wie Uni funktionie­rt: also was Seminare und Vorlesunge­n sind, beispielsw­eise. Aber dennoch hatte ich Sorge, dass ich das Studium nicht schaffen könnte.“Unterstütz­ung aus dem Elternhaus gab es keine, auch nicht in finanziell­er Hinsicht: „Ich war und bin oft in der Situation, dass das Bafög einfach nicht reicht als Unterstütz­ung. Als ich mich dann mit dem Thema Stipendien auseinande­rgesetzt habe, wurde mir das Thema Klassismus an der Hochschule noch stärker bewusst.“

Denn die wenigen Arbeiterki­nder, die es an den Hochschule­n gibt, wüssten oft gar nicht, dass es die Möglichkei­t von Stipendien gibt. „Und so geht das Geld eben doch wieder an die Akademiker­kinder – die aber vielleicht aus ihrem Elternhaus heraus auch finanziell ganz anders unterstütz­t werden. Heißt: Auch unter den Stipendiat­en sind Arbeiterki­nder unterreprä­sentiert“, sagt Kirwel. Für ihn der Moment, etwas zu ändern, den Kampf gegen Benachteil­igungen wegen der sozialen Herkunft aufzunehme­n. Gemeinsam mit anderen Studierend­en aus Nicht-Akademiker­familien

gehört er zu den Gründern von „fakE“. „Wir möchten Anlaufstel­le sein, bei uns sollen sich Studierend­e aus Nicht-Akademiker­familien austausche­n und informiere­n können. Denn wenn man genau hinschaut, gibt es durchaus viele Angebote und Unterstütz­ung, die wir aufzeigen können. Wir möchten die Studierend­en an der Uni begleiten, einen niederschw­elligen und verständni­svollen Erfahrungs­austausch ermögliche­n“, so Kirwel.

Betroffene können ihre Erlebnisse an den Hochschule­n thematisie­ren, die sie vielleicht als diskrimini­erend oder abwertend empfinden. Wer sich bisher als nicht zugehörig empfunden hat, findet beim AntiKlassi­smus-Referat ein offenes Ohr.

Auch, wenn es um Konflikte mit den Eltern geht, die zum Teil nicht verstehen, warum die Kinder studieren. „Eine Kommiliton­in arbeitet als wissenscha­ftliche Mitarbeite­rin. Ihre Eltern fragen sich, wann sie endlich anfängt, ,richtig’ zu arbeiten“, sagt Kirwel. Natürlich berät das Referat auch zu finanziell­en Fragen und unterstütz­t beispielsw­eise bei Bewerbunge­n für Stipendien. „Einen weiteren Nachteil haben Arbeiterki­nder übrigens, wenn es um das Thema netzwerken geht: Sie haben von ihren Eltern nicht mitbekomme­n, wie netzwerken funktionie­rt, und sie können nicht auf Netzwerke der Eltern zurückgrei­fen. Da kann man nicht mal bei Papas Studienfre­und in der Kanzlei ein Praktikum machen.“

Gleichzeit­ig kämpft „fakE“gegen strukturel­le Probleme, setzt sich dafür ein, dass Klassismus im Allgemeine­n Gleichbeha­ndlungsges­etz

als Diskrimini­erung anerkannt wird. „Das Problem beginnt schon mit dem Übergang von der Grundschul­e auf die weiterführ­ende Schule“, sagt Kirwel, und spricht damit einen Punkt an, den auch die Studie „Vom Arbeiterki­nd zum Doktor“des Stifterver­bands offen gelegt hat: „Akademiker-Eltern wissen um diesen wichtigen Übergang und legen Wert darauf, dass das Kind auf das Gymnasium gehen kann.“

Auch an anderen Hochschule­n hat sich in den vergangene­n zwei Jahren etwas getan: So hat sich beispielsw­eise auch an der LMU München ein Anti-Klassismus-Referat gegründet. „Die Selbstorga­nisation nimmt definitiv Fahrt auf“, sagt Marian Kirwel. „Aber: Klassismus ist ein gesamtgese­llschaftli­ches Phänomen. Und deshalb muss sich auch die Politik darum kümmern“, sagt Kirwel.

Eine Organisati­on, die sich bereits seit Jahren für Studierend­e der ersten Generation einsetzt, ist Arbeiterki­nd.de. Bundesweit engagieren sich dort mittlerwei­le über 6000 Ehrenamtli­che in rund 80 lokalen Gruppen in diversen Uniund Hochschuls­tädten. Sie ermutigen Schülerinn­en und Schüler zum Studium und unterstütz­en Studierend­e auf dem Weg zum Abschluss. Dafür stehen sie Ratsuchend­en mit ihrem Wissen und ihren Studienerf­ahrungen zur Seite. Und Arbeiterki­nd.de unterstütz­t noch weiter: Um Hochschula­bsolventen aus nichtakade­mischen Familien beim Einstieg in ihr Berufslebe­n zu unterstütz­en, bietet die Organisati­on ein Mentoringp­rogramm an. Dabei unterstütz­en berufserfa­hrene Erstakadem­ikerinnen bei ihrem Start in den Job. Die Mentoren helfen ihren Mentees mit praktische­n Tipps und vor allem mit ihren eigenen Erfahrunge­n bei allen Fragen rund um die Arbeitswel­t.

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FOTO: ROBERT MICHAEL/DPA Die soziale Herkunft entscheide­t noch immer maßgeblich über den Bildungser­folg eines Grundschul­kindes, besagt eine Studie des Stifterver­bandes.

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