Herkunft als Hürde
Von 100 Grundschülern aus Nichtakademiker-Familien beginnt nur rund ein Viertel ein Studium. Studierende wollen aufklären.
KÖLN Die soziale Herkunft entscheidet noch immer maßgeblich über den Bildungserfolg eines Kindes. Nur 27 Prozent der Grundschülerinnen und -schüler aus einem Nichtakademikerhaushalt beginnen später ein Studium. Bei Akademikerkindern sind es 79 Prozent. Das zeigt die Studie „Vom Arbeiterkind zum Doktor“des Stifterverbands. Die Folge: Der Anteil der Kinder aus Nichtakademikerhaushalten an allen Studierenden liegt bei nur 47 Prozent. An Schulen machen Nichtakademikerkinder aber 72 Prozent aus. Größte Hürden auf dem Bildungsweg sind der Übergang zu einer hochschulberechtigenden Schule und der darauffolgende Wechsel an eine Hochschule.
„Das Problem beginnt schon mit dem Übergang von der Grundschule auf die weiterführende Schule“Marian Kirwel
Autonomes Referat „fakE“
Auch Marian Kirwel ist ein Arbeiterkind, seine Eltern sind keine Akademiker. Der 25-Jährige studiert an der Uni Köln Musikwissenschaften – und er engagiert sich im Autonomen Referat „fakE – für antiklassistisches Empowerment“. „Ich hatte zu Beginn meines Studiums das subtile Gefühl, falsch zu sein an diesem Ort. Ich hatte mich zwar umfassend online informiert, wie Uni funktioniert: also was Seminare und Vorlesungen sind, beispielsweise. Aber dennoch hatte ich Sorge, dass ich das Studium nicht schaffen könnte.“Unterstützung aus dem Elternhaus gab es keine, auch nicht in finanzieller Hinsicht: „Ich war und bin oft in der Situation, dass das Bafög einfach nicht reicht als Unterstützung. Als ich mich dann mit dem Thema Stipendien auseinandergesetzt habe, wurde mir das Thema Klassismus an der Hochschule noch stärker bewusst.“
Denn die wenigen Arbeiterkinder, die es an den Hochschulen gibt, wüssten oft gar nicht, dass es die Möglichkeit von Stipendien gibt. „Und so geht das Geld eben doch wieder an die Akademikerkinder – die aber vielleicht aus ihrem Elternhaus heraus auch finanziell ganz anders unterstützt werden. Heißt: Auch unter den Stipendiaten sind Arbeiterkinder unterrepräsentiert“, sagt Kirwel. Für ihn der Moment, etwas zu ändern, den Kampf gegen Benachteiligungen wegen der sozialen Herkunft aufzunehmen. Gemeinsam mit anderen Studierenden aus Nicht-Akademikerfamilien
gehört er zu den Gründern von „fakE“. „Wir möchten Anlaufstelle sein, bei uns sollen sich Studierende aus Nicht-Akademikerfamilien austauschen und informieren können. Denn wenn man genau hinschaut, gibt es durchaus viele Angebote und Unterstützung, die wir aufzeigen können. Wir möchten die Studierenden an der Uni begleiten, einen niederschwelligen und verständnisvollen Erfahrungsaustausch ermöglichen“, so Kirwel.
Betroffene können ihre Erlebnisse an den Hochschulen thematisieren, die sie vielleicht als diskriminierend oder abwertend empfinden. Wer sich bisher als nicht zugehörig empfunden hat, findet beim AntiKlassismus-Referat ein offenes Ohr.
Auch, wenn es um Konflikte mit den Eltern geht, die zum Teil nicht verstehen, warum die Kinder studieren. „Eine Kommilitonin arbeitet als wissenschaftliche Mitarbeiterin. Ihre Eltern fragen sich, wann sie endlich anfängt, ,richtig’ zu arbeiten“, sagt Kirwel. Natürlich berät das Referat auch zu finanziellen Fragen und unterstützt beispielsweise bei Bewerbungen für Stipendien. „Einen weiteren Nachteil haben Arbeiterkinder übrigens, wenn es um das Thema netzwerken geht: Sie haben von ihren Eltern nicht mitbekommen, wie netzwerken funktioniert, und sie können nicht auf Netzwerke der Eltern zurückgreifen. Da kann man nicht mal bei Papas Studienfreund in der Kanzlei ein Praktikum machen.“
Gleichzeitig kämpft „fakE“gegen strukturelle Probleme, setzt sich dafür ein, dass Klassismus im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz
als Diskriminierung anerkannt wird. „Das Problem beginnt schon mit dem Übergang von der Grundschule auf die weiterführende Schule“, sagt Kirwel, und spricht damit einen Punkt an, den auch die Studie „Vom Arbeiterkind zum Doktor“des Stifterverbands offen gelegt hat: „Akademiker-Eltern wissen um diesen wichtigen Übergang und legen Wert darauf, dass das Kind auf das Gymnasium gehen kann.“
Auch an anderen Hochschulen hat sich in den vergangenen zwei Jahren etwas getan: So hat sich beispielsweise auch an der LMU München ein Anti-Klassismus-Referat gegründet. „Die Selbstorganisation nimmt definitiv Fahrt auf“, sagt Marian Kirwel. „Aber: Klassismus ist ein gesamtgesellschaftliches Phänomen. Und deshalb muss sich auch die Politik darum kümmern“, sagt Kirwel.
Eine Organisation, die sich bereits seit Jahren für Studierende der ersten Generation einsetzt, ist Arbeiterkind.de. Bundesweit engagieren sich dort mittlerweile über 6000 Ehrenamtliche in rund 80 lokalen Gruppen in diversen Uniund Hochschulstädten. Sie ermutigen Schülerinnen und Schüler zum Studium und unterstützen Studierende auf dem Weg zum Abschluss. Dafür stehen sie Ratsuchenden mit ihrem Wissen und ihren Studienerfahrungen zur Seite. Und Arbeiterkind.de unterstützt noch weiter: Um Hochschulabsolventen aus nichtakademischen Familien beim Einstieg in ihr Berufsleben zu unterstützen, bietet die Organisation ein Mentoringprogramm an. Dabei unterstützen berufserfahrene Erstakademikerinnen bei ihrem Start in den Job. Die Mentoren helfen ihren Mentees mit praktischen Tipps und vor allem mit ihren eigenen Erfahrungen bei allen Fragen rund um die Arbeitswelt.