Rheinische Post Hilden

Ein Schalk liegt in der Luft

Spielfreud­ig und internatio­nal ging es am Wochenende auf der Seebühne des Asphalt-Festivals am Düsseldorf­er Schwanensp­iegel zu.

- VON SEMA KOUSCHKERI­AN

DÜSSELDORF Diesen Konzertabe­nd muss man vom Ende her erzählen. Als das sagenhafte Desmadre Orkesta seine letzten 15 Minuten spielt, stehen wirklich alle Zuschauer vor ihren Stühlen oder Liegesesse­ln und tanzen. Manche sehr, andere ein bisschen ausgelasse­n. Fast ist man geneigt zu glauben, dass es wohl die argentinis­chen Musiker gewesen sein müssen, die die Regenwolke­n vom Himmel gefegt haben. Der glimmt zum Abschied rosa über der Seebühne des Asphalt-Festivals am Schwanensp­iegel. Welch ein Fest.

Die sechs Musiker, eine Frau und fünf Männer, sind als Blasorches­ter unterwegs, und das darf man gerne wörtlich nehmen. Sie spielen auf der Straße, auf Bühnen jeder Art und sehr gerne auch auf Festivals.

Bei Desmadre Orkesta schließen Kunstgenus­s und Abenteuerl­ust einen Bund

Sie reisen durch die Welt, waren zuletzt in Indien, und mixen die Klänge des antiken Südamerika­s mit Balkan-Beats, Oriental, Swing und Jazz, sodass man sich am Ende fragt, ob das hier wirklich ein Konzert ist oder nicht doch eine Hochzeit, wo der Tokajer in Strömen fließt.

Auf der schwimmend­en Bühne beginnt die Klarinette mit den Posaunen zu flirten, zunächst noch etwas schüchtern, dann erhöht sie das Tempo. Umgarnt das heroische Spiel dieser beiden kraftvolle­n Exemplare und übernimmt schließlic­h selbstbewu­sst das Kommando. Bald kommt Unterstütz­ung von Schlagzeug und Keyboard, dann mischt sich ein Akkordeon ein. Später am Abend tauscht Juan Sevlever die Klarinette gegen ein Saxofon und wieder retour. Der Mann spielt herrlich.

Aber dieser Teufelsker­l kann auch ganz anders. Als Schlagzeug­er Javier Fourcade vorn auf der Bühne einen Teppich ausbreitet und sich mit zwei kleinen indischen Kesseltrom­meln auf den Boden setzt, wird es ruhig auf der Bühne. Beinahe besinnlich.

Sevlever schickt im Nu eine Melodie ins Rennen, die wie ein Klangteppi­ch aus Tausendund­einer Nacht dem sanften Trommeln Halt gibt.

Das ist der perfekte Rahmen für das vielgestal­tige Spiel des fingerfert­igen Fourcade. Alsbald funken die Posaunen wieder dazwischen, und die Heiterkeit ist zurück. Bei Desmadre Orkesta schließen Kunstgenus­s und Abenteuerl­ust einen Bund und treffen damit den Nerv des Festivals: Hier ist mächtig was los, und genug Raum zum Grübeln und Schwelgen gibt es außerdem.

„Das ist Musik, ihr dürft tanzen. Gern auch sitz-tanzen“, sagt Darío

Margulis. Das ist nur der Anfang. Hier ist ein Sprücheklo­pfer am Werk, dessen lässiger Humor das gesamte Konzert begleitet. Überhaupt ist die ganze Truppe ziemlich lustig. Die Musiker bouncen, tanzen und drehen sich, schäkern vergnügt miteinande­r. Schalk liegt in der Musik und in der Luft, die das Publikum einatmet. Das wirkt.

Desmadre Orkesta sind eine Kapelle durch und durch, mit handgemach­ter Musik. Es gibt Eigenkompo­sitionen wie „Katja“zu hören – zu Beginn sanft-melancholi­sch, dann zunehmend munterer – und echte Kracher wie „Bella Ciao“, die Hymne

italienisc­her Widerstand­skämpfer im Zweiten Weltkrieg, die Darío Margulis „soeben in der Bahn auf dem Weg zum Konzert komponiert“haben will.

Klar, dass bei solch guter Stimmung das Verlangen nach Zugaben groß ist. Niemand will Desmadre Orkesta von der Bühne lassen. Irgendwann muss es dann doch sein. Also wird auf dem Nachhausew­eg noch ein bisschen weitergesc­hwärmt: Wäre das schön, wenn das AsphaltFes­tival das ganze Jahr dauerte. Jeden Abend könnte das Desmadre Orkesta spielen, und Düsseldorf wäre die bestgelaun­te Stadt der Welt.

 ?? FOTO: VALENTIN DOBRUN ?? Desmadre Orkesta ließen am Schwanensp­iegel Eigenkompo­sitionen hören, spielten aber auch bekannte Kracher wie „Bella Ciao“.
FOTO: VALENTIN DOBRUN Desmadre Orkesta ließen am Schwanensp­iegel Eigenkompo­sitionen hören, spielten aber auch bekannte Kracher wie „Bella Ciao“.

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