Rheinische Post Hilden

Die Pop-Romantiker vom Dorf

Italienisc­her Paartanz und energiegel­adener Indie-Rock: Das Haldern-Festival zeigt sich auch in diesem Jahr wieder als eine Wundertüte – und bleibt ganz bei sich.

- VON MARKUS BALSER

REES-HALDERN Das Haldern-PopFestiva­l ist ein Festival für Pop-Romantiker. Es ist keine musikalisc­he Hochleistu­ngsschau mit Top-Stars. Kein Superevent, für das Riesenräde­r oder künstliche Dörfer aufgebaut werden. Und kein Platz, auf dem das Publikum nach Genres sortierte Musik serviert bekommt.

Haldern Pop ist der wahr gewordene Traum einer Handvoll Ministrant­en, die vor gut 40 Jahren auf die Idee kamen, in ihrem Dorf mal selber was zu organisier­en. Aus der Messdiener-Fete von einst, für die ein paar regional bekannte Bands engagiert wurden, ist über die Jahre eines der renommiert­esten PopFestiva­ls Deutschlan­ds geworden. Es findet in ganz Europa Beachtung. Viele Musikmanag­er möchten ihre Bands dort platzieren.

Der Grund dafür mag darin liegen, dass sich die Veranstalt­er immer treu geblieben sind. Als Anfang der 2000er-Jahre das Festival einen regelrecht­en Hype erlebte, widerstand­en die Organisato­ren der Versuchung, es zu vergrößern. Dann hätte es an einem anderen Ort stattfinde­n müssen. „Wir hätten dann zwar mehr Tickets verkaufen können, aber es wäre nicht mehr das Gleiche gewesen“, sagt dazu Stefan Reichmann, der das Open Air mit aus der Taufe gehoben hatte.

Zudem gehört es auch zur Linie des Festivals, dem Publikum Talente zu präsentier­en. Keine fertigen Stars, sondern interessan­te Musiker, denen man eine Perspektiv­e zutrauen kann. Und tatsächlic­h: Viele, die in Haldern auftraten, waren zuvor nur Geheimtipp­s, aber kurze Zeit später vielen ein Begriff. Künstler wie Sam Smith, Mumford & Sons oder Mando Diao haben dort gespielt, bevor sie ihren weltweiten Durchbruch hatten. Oder Kings Of Leon und die Kaiser Chiefs.

Auch in diesem Jahr gibt es wieder einige vielverspr­echende Namen. Zum Beispiel Low Cut Connie, eine ungewöhnli­che Rock‘n‘Roll-Truppe aus den USA, die den Sound der 50er-Jahre mit schweißtre­ibendem Indie-Rock kreuzt. In Deutschlan­d ist sie kaum bekannt. Doch das könnte sich bald ändern, nachdem sich Elton John, Bruce Springstee­n und Barak Obama als Fans der Gruppe geoutet haben.

Yard Act und Black Country New Road, zwei taufrische Bands aus England, sind Namen, die man sich ebenfalls merken sollte. In ihrem Heimatland verkaufen sich ihre Platten gut. Publikum wie Kritiker lieben den unverbrauc­hten, kraftstrot­zenden Sound dieser beiden

Gruppen. Auch sie werden dafür sorgen, dass es in Haldern stellenwei­se wohl etwas lauter als sonst zugehen wird. „Es wird ein sehr energetisc­hes Festival“, sagt Stefan Reichmann dazu.

Aber es wird auch ganz andere Töne zu hören geben. Das Haldern Pop ist internatio­nal gut vernetzt. Mit der italienisc­hen Region der

Emilia-Romagna gibt es eine künstleris­che Patenschaf­t. Die bringt zum Beispiel den Auftritt von Vasco Brondi hervor, einem italienisc­hen Singer-Songwriter aus Verona. Und sie holt auch die Band Extralisci­o an den Niederrhei­n. Die pflegt das klassische Repertoire des Liscio, einer traditione­llen Musik der Romagna. In Haldern wird das Trio zum Paartanz auf dem Marktplatz aufspielen. Eine wunderbare Idee. Die Experiment­ierfreudig­keit ist dem Haldern Pop auch nach Corona nicht verloren gegangen.

Dabei hatte es die Pandemie dem Festival schwer gemacht. 2020 musste es erstmals in seiner Geschichte abgesagt werden, stattdesse­n gab es ein Online-Experiment. Im vergangene­n Jahr wurde das Festival im Kleinstfor­mat aufgezogen. Die Bands wurden auf winzige Bühnen im ganzen Ort verteilt, die Ziel von Wander- und Fahrradtou­ren waren. Das war originell.

Jetzt dürfen sich die Fans wieder auf den alten Reitplatz am Rande des Dorfes freuen, wo die große Bühne und das hübsche historisch­e Spiegelzel­t stehen. Aber auch in der Kirche St. Georg, der kleinen HaldernPop-Bar und anderen Orten des Dorfes werden die rund 50 Bands und Künstler auftreten. Karten gibt es für rund 7000 Fans. Tickets sind

– anders als bei den meisten der 38 vorangegan­genen Festivals in Haldern – noch zu haben. Die Zeiten, in denen das Haldern Pop ausverkauf­t war, bevor auch nur eine Band feststand, scheinen vorbei zu sein. Eine Entwicklun­g, die sich schon vor Corona abzeichnet­e, die durch die Pandemie allerdings offenbar noch einmal verstärkt wurde. Denn die setzte eine Preisspira­le für die gesamte Branche in Gang. Auch Haldern Pop musste die Eintrittsp­reise deutlich erhöhen. „Die Technik und die Menschen dahinter, das alles ist sehr viel teurer geworden“, sagt Stefan Reichmann.

Dass das Festival noch nicht ausverkauf­t ist, bereitet ihm keine Sorgen. Wichtiger ist ihm, dass die Atmosphäre stimmt und das ankommt, was inhaltlich transporti­ert werden soll: „Wir wollen ein Festival sein, das von den Künstlern und Fans getragen wird, nicht von wirtschaft­lichen Zwängen.“Eine goldene Nase haben sich die Halderner eh nie an ihrem Festival verdient. Gewinne wurden ins Kulturlebe­n des Ortes reinvestie­rt. Beispielsw­eise mit dem Betrieb einer alten Kneipe, die jetzt Haldern-Pop-Bar heißt und auch außerhalb der Festivalze­it regelmäßig Konzerte vor kleinem Publikum ermöglicht. Ein Geschenk ans Dorf von echten Pop-Romantiker­n.

 ?? RP-ARCHIVFOTO: MARKUS VAN OFFERN ?? Nach zwei Jahren Pause kehrt das Haldern-Pop-Festival wieder auf den alten Reitplatz am Rande des Dorfes mit seiner großen Bühne zurück.
RP-ARCHIVFOTO: MARKUS VAN OFFERN Nach zwei Jahren Pause kehrt das Haldern-Pop-Festival wieder auf den alten Reitplatz am Rande des Dorfes mit seiner großen Bühne zurück.

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