Die Pop-Romantiker vom Dorf
Italienischer Paartanz und energiegeladener Indie-Rock: Das Haldern-Festival zeigt sich auch in diesem Jahr wieder als eine Wundertüte – und bleibt ganz bei sich.
REES-HALDERN Das Haldern-PopFestival ist ein Festival für Pop-Romantiker. Es ist keine musikalische Hochleistungsschau mit Top-Stars. Kein Superevent, für das Riesenräder oder künstliche Dörfer aufgebaut werden. Und kein Platz, auf dem das Publikum nach Genres sortierte Musik serviert bekommt.
Haldern Pop ist der wahr gewordene Traum einer Handvoll Ministranten, die vor gut 40 Jahren auf die Idee kamen, in ihrem Dorf mal selber was zu organisieren. Aus der Messdiener-Fete von einst, für die ein paar regional bekannte Bands engagiert wurden, ist über die Jahre eines der renommiertesten PopFestivals Deutschlands geworden. Es findet in ganz Europa Beachtung. Viele Musikmanager möchten ihre Bands dort platzieren.
Der Grund dafür mag darin liegen, dass sich die Veranstalter immer treu geblieben sind. Als Anfang der 2000er-Jahre das Festival einen regelrechten Hype erlebte, widerstanden die Organisatoren der Versuchung, es zu vergrößern. Dann hätte es an einem anderen Ort stattfinden müssen. „Wir hätten dann zwar mehr Tickets verkaufen können, aber es wäre nicht mehr das Gleiche gewesen“, sagt dazu Stefan Reichmann, der das Open Air mit aus der Taufe gehoben hatte.
Zudem gehört es auch zur Linie des Festivals, dem Publikum Talente zu präsentieren. Keine fertigen Stars, sondern interessante Musiker, denen man eine Perspektive zutrauen kann. Und tatsächlich: Viele, die in Haldern auftraten, waren zuvor nur Geheimtipps, aber kurze Zeit später vielen ein Begriff. Künstler wie Sam Smith, Mumford & Sons oder Mando Diao haben dort gespielt, bevor sie ihren weltweiten Durchbruch hatten. Oder Kings Of Leon und die Kaiser Chiefs.
Auch in diesem Jahr gibt es wieder einige vielversprechende Namen. Zum Beispiel Low Cut Connie, eine ungewöhnliche Rock‘n‘Roll-Truppe aus den USA, die den Sound der 50er-Jahre mit schweißtreibendem Indie-Rock kreuzt. In Deutschland ist sie kaum bekannt. Doch das könnte sich bald ändern, nachdem sich Elton John, Bruce Springsteen und Barak Obama als Fans der Gruppe geoutet haben.
Yard Act und Black Country New Road, zwei taufrische Bands aus England, sind Namen, die man sich ebenfalls merken sollte. In ihrem Heimatland verkaufen sich ihre Platten gut. Publikum wie Kritiker lieben den unverbrauchten, kraftstrotzenden Sound dieser beiden
Gruppen. Auch sie werden dafür sorgen, dass es in Haldern stellenweise wohl etwas lauter als sonst zugehen wird. „Es wird ein sehr energetisches Festival“, sagt Stefan Reichmann dazu.
Aber es wird auch ganz andere Töne zu hören geben. Das Haldern Pop ist international gut vernetzt. Mit der italienischen Region der
Emilia-Romagna gibt es eine künstlerische Patenschaft. Die bringt zum Beispiel den Auftritt von Vasco Brondi hervor, einem italienischen Singer-Songwriter aus Verona. Und sie holt auch die Band Extraliscio an den Niederrhein. Die pflegt das klassische Repertoire des Liscio, einer traditionellen Musik der Romagna. In Haldern wird das Trio zum Paartanz auf dem Marktplatz aufspielen. Eine wunderbare Idee. Die Experimentierfreudigkeit ist dem Haldern Pop auch nach Corona nicht verloren gegangen.
Dabei hatte es die Pandemie dem Festival schwer gemacht. 2020 musste es erstmals in seiner Geschichte abgesagt werden, stattdessen gab es ein Online-Experiment. Im vergangenen Jahr wurde das Festival im Kleinstformat aufgezogen. Die Bands wurden auf winzige Bühnen im ganzen Ort verteilt, die Ziel von Wander- und Fahrradtouren waren. Das war originell.
Jetzt dürfen sich die Fans wieder auf den alten Reitplatz am Rande des Dorfes freuen, wo die große Bühne und das hübsche historische Spiegelzelt stehen. Aber auch in der Kirche St. Georg, der kleinen HaldernPop-Bar und anderen Orten des Dorfes werden die rund 50 Bands und Künstler auftreten. Karten gibt es für rund 7000 Fans. Tickets sind
– anders als bei den meisten der 38 vorangegangenen Festivals in Haldern – noch zu haben. Die Zeiten, in denen das Haldern Pop ausverkauft war, bevor auch nur eine Band feststand, scheinen vorbei zu sein. Eine Entwicklung, die sich schon vor Corona abzeichnete, die durch die Pandemie allerdings offenbar noch einmal verstärkt wurde. Denn die setzte eine Preisspirale für die gesamte Branche in Gang. Auch Haldern Pop musste die Eintrittspreise deutlich erhöhen. „Die Technik und die Menschen dahinter, das alles ist sehr viel teurer geworden“, sagt Stefan Reichmann.
Dass das Festival noch nicht ausverkauft ist, bereitet ihm keine Sorgen. Wichtiger ist ihm, dass die Atmosphäre stimmt und das ankommt, was inhaltlich transportiert werden soll: „Wir wollen ein Festival sein, das von den Künstlern und Fans getragen wird, nicht von wirtschaftlichen Zwängen.“Eine goldene Nase haben sich die Halderner eh nie an ihrem Festival verdient. Gewinne wurden ins Kulturleben des Ortes reinvestiert. Beispielsweise mit dem Betrieb einer alten Kneipe, die jetzt Haldern-Pop-Bar heißt und auch außerhalb der Festivalzeit regelmäßig Konzerte vor kleinem Publikum ermöglicht. Ein Geschenk ans Dorf von echten Pop-Romantikern.