In trockenen Tüchern
Zur Unterzeichnung des Koalitionsvertrags kommen die schwarz-grünen Verhandlungs-Teams zum allerletzten Mal in den Düsseldorfer Malkasten. Die Opposition sieht schon jetzt großes Konfliktpotenzial für die Bündnispartner.
DÜSSELDORF Als er den schwarz-grünen Koalitionsvertrag unterschrieben hat, packt Hendrik Wüst den Stift wieder in die Box, klopft einmal drauf und wähnt sich fertig. Ein Sprecher macht den Ministerpräsidenten schnell darauf aufmerksam, dass auch der Vertrag der anderen Seite unterschrieben werden muss. Also wird der Stift, auf den der Titel „Zukunftsvertrag für NordrheinWestfalen“eingraviert wurde, noch einmal ausgepackt. Wüst lacht. Die Stimmung ist gut an diesem Montagmittag.
Es liegen schwierige Verhandlungen hinter beiden Seiten. Er sei eigentlich nie an dem Tag aus dem Düsseldorfer Malkasten getreten, an dem er hineingegangen sei, sagt Wüst. Dabei hatte man ursprünglich verabredet, Abend- und Nachtsitzungen sowie Tagungen an Wochenenden oder Feiertagen seien nicht nötig.
Das Bild, dass es manchmal anders komme als man denkt, bemühen dann sowohl Wüst als auch seine künftige Stellvertreterin Mona Neubaur (Grüne) mit Blick auf die auf 146 Seiten festgehaltenen Pläne für die kommenden fünf Jahre: „Es wird Dinge und Ereignisse geben, die sind da noch nicht abschließend beschrieben. Vor fünf Jahren hat keiner an Corona gedacht oder an diesen schlimmen Krieg jetzt in der Ukraine mit all seinen Folgen für Energieversorgung, Preise und Migration“, sagt Wüst. Und Neubaur sagt: „Die Realität ist: Das Leben kommt dann immer anders.“
Dass nichts von den Gesprächen nach außen gedrungen sei, zeige nicht nur die Disziplin, sondern habe dazu geführt, dass Vertrauen gewachsen sei, sagt Wüst. Launig lobt er die „redaktionellen Koalitions-Sherpas“, die „auf den Außenbahnen
sitzend gegen die Akustik kämpfen mussten“. Besonders hebt er seinen Staatskanzleichef Nathanael Liminski und den politischen Landesgeschäftsführer der Grünen, Raoul Roßbach, als die beiden „Organisations-Chefs“hervor, bedankt sich beim Personal des Malkastens, das nach Schließung der Küche „noch kräftig Kaffee reingekippt hat und für anderes noch gesorgt hat, was wir nachts noch brauchten, um voll verhandlungsfähig zu bleiben“. Der Saal lacht, alle imaginieren knallende Korken zu später Stunde. Wüst fügt schnell hinterher: „Kleine
Snacks und Cola meine ich. Natürlich nur Softdrinks.“
Neubaur sagt, sie sei hoffnungsvoll, dass es in den kommenden fünf Jahren gelinge, in der Sache zu streiten, mit fairen Mitteln. „Und zwar gemeinsam und auf Augenhöhe.“Auch Wüst verbreitet Zuversicht: „Ich habe das Gefühl: Das funktioniert!“
„So, dann an die Arbeit“, sagt CDUGeneralsekretär Josef Hovenjürgen, der die Szenerie von der Seite aus verfolgt. Als nächster Schritt steht für Dienstag die Wahl Wüsts zum Ministerpräsidenten an. Am Mittwochmittag will er sein Kabinett vorstellen, das dann im Landtag vereidigt wird. Viel Zeit zum Durchatmen wird es für die neue Mannschaft nicht geben. Das macht am Montagmorgen Oppositionsführer Thomas Kutschaty gleich mal deutlich, indem er vor Journalisten den Koalitionsvertrag zerpflückt.
Der SPD-Fraktionschef und Landesvorsitzende arbeitet sich an der neuen Ressortaufteilung ab, wonach das Landwirtschafts- und Verbraucherressort aus dem Umweltministerium herausgenommen werden, das dafür um das Verkehrsressort erweitert wird. „Das zeigt, wie viel Konfliktpotenzial in dieser Koalition vorhanden ist“, sagt er. Wenn zudem das Kapitel Landwirtschaft genau so viel Platz einnehme wie Arbeit und Soziales, nämlich jeweils vier Seiten, sei klar, „wo der Hammer hängt: Arbeitnehmer werden von dieser Koalition nicht viel zu erwarten haben“, sagt Kutschaty. Schwarz-Grün drohe zu einer Koalition der Besserverdienenden zu werden. Mieter hätten zu unrecht auf einen besseren Schutz ihrer Interessen gehofft, im Bereich des sozialen Wohnungsbaus bleibe Schwarz-Grün sogar hinter den Ambitionen der Ampel im Bund zurück.
Der Schulfrieden sei, anders als von Schwarz-Grün suggeriert, mit dem Koalitionsvertrag mitnichten gesichert, sagt Kutschaty und beklagt, dass es weder eine stringente Industriepolitik noch eine Finanzzusage für die Entlastung der Pflegekräfte an den Universitätskliniken in den Koalitionsvertrag geschafft hätten. Mit Anträgen zur Zukunft des Stahlherstellers Vallourec, zu den Universitätskliniken und zu einem Verkauf der Landestochter Start NRW GmbH sowie einer Aktuellen Stunde zur Gasversorgung zeigt die SPD Schwarz-Grün gleich zu Beginn: Ein Spaziergang wird die Legislaturperiode für Schwarz-Grün nicht werden.