Corona: Sieben Monate ohne Schule
Aus Sorge vor einer Ansteckung geht ein Gymnasiast nicht mehr zur Schule. Durch die aktuelle Pandemieentwicklung fühlt sich die Familie in ihrer Entscheidung bestärkt. Warum sie gegen die Buß- und Zwangsgelder klagt.
DÜSSELDORF Die sommerliche Corona-Welle hat die Landeshauptstadt fest im Griff. Die Sieben-Tage-Inzidenz steigt und die Sorgen von Kliniken und Betrieben, welche Folgen der Ausfall von immer mehr Mitarbeitern haben wird, nehmen zu. „Diese Entwicklung zeigt, dass es richtig war, Marc nicht in die Schule zu schicken“, sagt Inge L. (Name geändert). Seit November geht der 15-Jährige nicht mehr in sein Düsseldorfer Gymnasium. Lernen tut er trotzdem. Sein Vater hilft ihm vor allem bei Mathe und den Naturwissenschaften, seine Mutter bei den Sprachen, den Rest bringt er sich anhand von Büchern und Angeboten im Netz selbst bei.
Seit Monaten klagt Inge L. gegen die ihrer Einschätzung nach zu hohen Risiken eines Unterrichts in Räumen, in denen 30 Heranwachsende auf engstem Raum zusammenkommen. Ihr Ziel: Solange die SiebenTage-Inzidenz nicht unter den Wert von 200 sinkt, darf es keinen Zwang zum Präsenzunterricht geben. Dass die Pandemie inzwischen ein anderes Gesicht hat und das Gros der Infektionen ganz überwiegend milde verläuft, ändert an ihrer Einschätzung nichts. „Wir wissen einfach zu wenig über die möglichen Spätfolgen von Omikron und auch über Long Covid bei Heranwachsenden“, sagt sie. Doch die Behörden schätzen das anders ein. So verhängte die Bezirksregierung Bußgelder in Höhe von 100 und 250 Euro sowie ein Zwangsgeld in Höhe von 2500 Euro. „Das läuft seit Monaten, aber vollstreckt wurde bislang nichts“, sagt die Düsseldorferin, die gegen diese Maßnahmen klagt.
Die Bezirksregierung, bei der die Schulaufsicht liegt, bestätigt die lange Verfahrensdauer. Durch Widersprüche,
Eilanträge und Beschwerden von Inge L. stünden gerichtliche Entscheidungen des Verwaltungsgerichts Düsseldorf sowie der Staatsanwaltschaft Düsseldorf noch aus. Und da bislang keine gerichtlichen Entscheidungen vorlägen, könne es in den Verfahren auch nicht zur Vollstreckung oder zu einer zwangsweisen Zuführung des Kindes in die Schule kommen, sagt eine Sprecherin.
Marc L. teilt die Einschätzung seiner Eltern. Er wolle sich und seine Eltern nicht anstecken, meint er. Auch unter Einsamkeit leide er nicht. So traf er auch während der angespannten Lage im vergangenen Winter einmal pro Woche einen guten Freund, der zuvor getestet worden war. Und abends chattet er mit Freunden und Mitschülern oder spielt mit ihnen am PC. Auch seine Konfirmation fand statt – allerdings in einem Setting, an dem neben ihm selbst und dem Pfarrer nur zuvor getestete Angehörige und enge Freunde teilnahmen.
Dass ihr Sohn nach den Ferien in die Schule zurückkehrt, schließt Inge L. nicht grundsätzlich aus. „Aber sollten die Pandemielage und die Rahmenbedingungen so kritisch bleiben wie derzeit, werde ich meinen Sohn nicht einfach einer nach wie vor unverantwortlichen Durchseuchungsstrategie ausliefern“, sagt sie. Ihre aktuelle Forderung: In den Räumen, in denen Marc unterrichtet wird, müssen Luftfilter eingebaut werden. „Was in Bayern geht, muss doch auch in Nordrhein-Westfalen möglich sein.“Zudem sei eine Rückkehr zur Masken- und Testpflicht im Unterricht geboten. In Erwägung zieht sie, die Luftfilter auf dem Klageweg durchzusetzen. Dass den Verantwortlichen nichts Anderes einfalle, als die Kinder im Winter bei offenen Fenstern frieren zu lassen, hält Familie L. für eine Vorgehensweise aus dem 19. Jahrhundert.
Die Kultusministerkonferenz und die Schulbehörden würden vermutlich unvorbereitet in die Herbstwelle hineinstolpern und es wohl wieder versäumen, Konzepte auszuarbeiten, bei denen die Schulen rasch in einen Distanzunterricht umschalten könnten, vermutet Inge L. „Wie oft sollen unsere Kinder denn noch infiziert werden, bis die Politik endlich etwas dagegen unternimmt?“, fragt sie.