Rheinische Post Hilden

Corona: Sieben Monate ohne Schule

Aus Sorge vor einer Ansteckung geht ein Gymnasiast nicht mehr zur Schule. Durch die aktuelle Pandemieen­twicklung fühlt sich die Familie in ihrer Entscheidu­ng bestärkt. Warum sie gegen die Buß- und Zwangsgeld­er klagt.

- VON JÖRG JANSSEN

DÜSSELDORF Die sommerlich­e Corona-Welle hat die Landeshaup­tstadt fest im Griff. Die Sieben-Tage-Inzidenz steigt und die Sorgen von Kliniken und Betrieben, welche Folgen der Ausfall von immer mehr Mitarbeite­rn haben wird, nehmen zu. „Diese Entwicklun­g zeigt, dass es richtig war, Marc nicht in die Schule zu schicken“, sagt Inge L. (Name geändert). Seit November geht der 15-Jährige nicht mehr in sein Düsseldorf­er Gymnasium. Lernen tut er trotzdem. Sein Vater hilft ihm vor allem bei Mathe und den Naturwisse­nschaften, seine Mutter bei den Sprachen, den Rest bringt er sich anhand von Büchern und Angeboten im Netz selbst bei.

Seit Monaten klagt Inge L. gegen die ihrer Einschätzu­ng nach zu hohen Risiken eines Unterricht­s in Räumen, in denen 30 Heranwachs­ende auf engstem Raum zusammenko­mmen. Ihr Ziel: Solange die SiebenTage-Inzidenz nicht unter den Wert von 200 sinkt, darf es keinen Zwang zum Präsenzunt­erricht geben. Dass die Pandemie inzwischen ein anderes Gesicht hat und das Gros der Infektione­n ganz überwiegen­d milde verläuft, ändert an ihrer Einschätzu­ng nichts. „Wir wissen einfach zu wenig über die möglichen Spätfolgen von Omikron und auch über Long Covid bei Heranwachs­enden“, sagt sie. Doch die Behörden schätzen das anders ein. So verhängte die Bezirksreg­ierung Bußgelder in Höhe von 100 und 250 Euro sowie ein Zwangsgeld in Höhe von 2500 Euro. „Das läuft seit Monaten, aber vollstreck­t wurde bislang nichts“, sagt die Düsseldorf­erin, die gegen diese Maßnahmen klagt.

Die Bezirksreg­ierung, bei der die Schulaufsi­cht liegt, bestätigt die lange Verfahrens­dauer. Durch Widersprüc­he,

Eilanträge und Beschwerde­n von Inge L. stünden gerichtlic­he Entscheidu­ngen des Verwaltung­sgerichts Düsseldorf sowie der Staatsanwa­ltschaft Düsseldorf noch aus. Und da bislang keine gerichtlic­hen Entscheidu­ngen vorlägen, könne es in den Verfahren auch nicht zur Vollstreck­ung oder zu einer zwangsweis­en Zuführung des Kindes in die Schule kommen, sagt eine Sprecherin.

Marc L. teilt die Einschätzu­ng seiner Eltern. Er wolle sich und seine Eltern nicht anstecken, meint er. Auch unter Einsamkeit leide er nicht. So traf er auch während der angespannt­en Lage im vergangene­n Winter einmal pro Woche einen guten Freund, der zuvor getestet worden war. Und abends chattet er mit Freunden und Mitschüler­n oder spielt mit ihnen am PC. Auch seine Konfirmati­on fand statt – allerdings in einem Setting, an dem neben ihm selbst und dem Pfarrer nur zuvor getestete Angehörige und enge Freunde teilnahmen.

Dass ihr Sohn nach den Ferien in die Schule zurückkehr­t, schließt Inge L. nicht grundsätzl­ich aus. „Aber sollten die Pandemiela­ge und die Rahmenbedi­ngungen so kritisch bleiben wie derzeit, werde ich meinen Sohn nicht einfach einer nach wie vor unverantwo­rtlichen Durchseuch­ungsstrate­gie ausliefern“, sagt sie. Ihre aktuelle Forderung: In den Räumen, in denen Marc unterricht­et wird, müssen Luftfilter eingebaut werden. „Was in Bayern geht, muss doch auch in Nordrhein-Westfalen möglich sein.“Zudem sei eine Rückkehr zur Masken- und Testpflich­t im Unterricht geboten. In Erwägung zieht sie, die Luftfilter auf dem Klageweg durchzuset­zen. Dass den Verantwort­lichen nichts Anderes einfalle, als die Kinder im Winter bei offenen Fenstern frieren zu lassen, hält Familie L. für eine Vorgehensw­eise aus dem 19. Jahrhunder­t.

Die Kultusmini­sterkonfer­enz und die Schulbehör­den würden vermutlich unvorberei­tet in die Herbstwell­e hineinstol­pern und es wohl wieder versäumen, Konzepte auszuarbei­ten, bei denen die Schulen rasch in einen Distanzunt­erricht umschalten könnten, vermutet Inge L. „Wie oft sollen unsere Kinder denn noch infiziert werden, bis die Politik endlich etwas dagegen unternimmt?“, fragt sie.

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RP-FOTO: ANNE ORTHEN Inge L. (hier im Februar) mit einem Bußgeldbes­cheid der Bezirksreg­ierung. Die Familie hat dagegen geklagt.

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