„Ärzte dürfen Patienten nicht alleine lassen“
Wie ein Mediziner mit Menschen umgeht, entscheidet oft auch über die Wirksamkeit einer Therapie. Die Psychologin erforscht, wie sich der Dialog mit dem Hausarzt optimieren lässt. Ein wichtiger Aspekt ist für sie der Faktor Zeit.
BONN Jeder hat das beim Arztbesuch schon erlebt: Nach der Untersuchung verkündet der Mediziner seine Diagnose, verordnet ein Medikament oder empfiehlt, künftig mehr Sport zu treiben, und reicht die Hand zum Abschied. Rückfragen unerwünscht, die Zeit drängt. Zurück bleibt ein eingeschüchterter Patient, der sich wenig ernst genommen fühlt. Natürlich gibt es auch viele Gegenbeispiele, aber die Pandemie hat das Zeitproblem in vielen Praxen noch verschärft. Professorin Simone
Dohle widmet sich genau diesem Themenfeld.
Frau Dohle, wie bewerten Sie grundsätzlich die Kommunikation zwischen
Hausarzt und Patienten?
DOHLE Einiges läuft sehr gut.
Viele Menschen haben ein vertrauensvolles Verhältnis zu ihrem Hausarzt und besprechen Dinge, die sie mit anderen nicht bereden würden, auch sehr Persönliches.
Das ist der eine Aspekt. Zudem wird das, was der Arzt sagt, häufig sehr ernst genommen. Gesundheitskommunikation ist ja auch anders möglich – etwa über Massenmedien. Es macht jedoch schon einen Unterschied, ob man auf einem Plakat liest, man solle sich mehr bewegen, oder ob der Arzt sagt: Ich habe sie untersucht, und es wäre gut für ihre Gesundheit, wenn Sie mehr laufen würden. In dieser Hinsicht ist da viel Potenzial. Aber ich glaube, dass das nicht immer optimal genutzt wird, weil die Zeit gar nicht da ist. Für mich geht es auch um die Frage, wie man Menschen davon überzeugen kann, dass gesundheitsförderliches Verhalten wichtig ist, wie sich das in den Praxisalltag integrieren lässt und welche Kommunikationsstrategien dabei funktionieren.
Wird denn eher zu viel oder zu wenig Information vom Hausarzt transportiert?
DOHLE Ich glaube, dass häufig die Vorstellung vorherrscht, man müsse nur Informationen geben, und dann ergibt sich das entsprechende Verhalten ganz automatisch. Wenn man jemanden auf das Gesundheitsrisiko des Rauchens hinweist, dann heißt das nicht, dass daraus ein nächster Schritt abgeleitet wird. Das weiß man auch aus der gesundheitspsychologischen Forschung, dass es nach der Informationsvermittlung nicht unbedingt zu daraus abgeleiteten Handlungen kommt – da braucht es mehr. Da könnte man in der Hausarztpraxis mehr tun, sei es durch Vermittlung des Patienten an andere Fachgruppen, etwa eine Ernährungsberatung. Dort ist dann möglicherweise auch mehr Zeit vorhanden, um Dinge zu erklären. Diese Schnittstellen zwischen Hausarzt und anderen Experten könnte man verbessern. Mediziner könnten den Patienten auch mehr Hilfen an die Hand geben, wo sie sich informieren können. Es ist wichtig, diese Menschen nicht alleine zu lassen.
Heißt also auch, der Hausarzt müsste sich mehr darum kümmern, dass seine Therapie auch umgesetzt wird.
DOHLE Ich will da überhaupt keine böse Absicht unterstellen. Das ist ja oft der knappen Zeit geschuldet oder der Sorge, dass Patienten am Ende gar nicht mehr kommen. Aber ja, das ist sicher ein Punkt. Es geht ja auch um das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patienten,
und man darf dabei auch nicht zu viel Druck aufbauen, weil man ja möchte, dass die Patienten wiederkommen. Wenn man da zu sehr fordernd auftritt, kann es sein, dass der Patient sich überrumpelt fühlt. Die Kommunikation in der Hausarztpraxis muss daher sehr feinfühlig sein.
Viele Patienten halten sich ja heute für sehr informiert, was die Kommunikation vielleicht zusätzlich erschwert, weil der Arzt sie manchmal vom Gegenteil überzeugen muss. DOHLE Das ist ein anderes großes Thema. Grundsätzlich ist es ja nicht schlecht, wenn Patienten sich informieren, das ist sicher anders als vor ein paar Jahrzehnten. Heute ist es gewünscht, dass der Patient eigene Vorstellungen mit einbringt und man sich als Arzt auch die Zeit nimmt, mehr über die Sicht des Patienten zu erfahren. Das ist wichtig für die Therapietreue, damit Patienten beispielsweise verordnete Medikamente auch wirklich einnehmen. Und das geht eben nur, wenn sie von der Sinnhaftigkeit des Ganzen überzeugt sind. Die Kehrseite bei informierten Patienten ist, dass man manchmal mit Mythen aufräumen muss. Und das kostet ebenfalls Zeit.
Was gibt es denn für Hilfsmittel, die dem Arzt bei der Kommunikation helfen, sein Anliegen überzeugend darzustellen?
DOHLE Es gibt zum Beispiel die Möglichkeit, Zahlen und Statistiken anschaulich darzustellen. Wenn man dem Patienten etwa sagt, er habe eine 34-prozentige Wahrscheinlichkeit, an einem Herzinfarkt zu sterben, kann der eher wenig damit anfangen. Man kann diese Zahlen aber auch als natürliche Häufigkeit darstellen, als gruppierte Symbole, und das verstehen Patienten oft besser.
Solche Darstellungen kann man vielfach nutzen, mit den individuellen Werten der jeweiligen Person, und das macht es sehr anschaulich.
Das klingt alles gut, angesichts des Zeitproblems aber auch aufwendig. DOHLE Mit eigens dafür entwickelten Computerprogrammen geht das mit den grafischen Darstellungen eigentlich sehr gut. Aber ich gebe Ihnen recht: Das ist sicher ein weiterer Schritt. Da muss man natürlich immer wieder schauen, ob die Ärzte die zusätzliche Zeit auch abrechnen können. Diese Realitäten muss man bei allen Projekten mit einfließen lassen, und darüber muss ich mir bei meiner Forschung auch Gedanken machen.
Man muss Kommunikation also so optimieren, dass sie in den Zeitrahmen passt, aber qualitativ besser wird. DOHLE Ganz genau. Umgekehrt ist es natürlich ein Irrglaube zu sagen, es ist billiger, wenn man sich diese Zeit nicht nimmt. Denn man kann das alles auch schnell abfertigen, aber dann gehen die Patienten nicht mit, nehmen wichtige Medikamente zum Beispiel nicht ein. Die eingesparte Zeit rentiert sich also nach hinten raus nicht, wenn dann eventuell Krankheiten entstehen, die man durch Prävention hätte verhindern können.
Ich stelle es mir auch schwierig vor, mit einem Gespräch eine dauerhafte Verhaltensänderung zu bewirken. Braucht es da nicht Auffrischungen? DOHLE Ja, das könnte man machen, aber da denke ich insbesondere an digitale Hilfsmittel wie Apps. Beispielsweise könnten Patienten, sofern sie das wollen, durch Apps regelmäßig vom Arzt informiert werden, oder regelmäßig Gesundheits- und Verhaltensdaten an die Arztpraxis senden. So würden auch weniger Praxisbesuche anfallen.
Wie sieht die Bereitschaft der Ärzte aus, neue Wege einzuschlagen? DOHLE Da gibt es verschiedene Tendenzen. Gerade während Corona war in den Praxen so viel zu tun, dass es gar keine Zeit gab, über neue Dinge nachzudenken. Andere Ärzte wiederum sind offener. Aber man kann das so pauschal gar nicht sagen, das hängt sehr mit der Belastung der Praxen zusammen. Grundsätzlich sehe ich schon eine hohe Bereitschaft, weil viele erkennen, dass eine verbesserte Kommunikation einen hohen Nutzen bringen würde. Aber natürlich ist da Luft nach oben.
SIMONE DOHLE
JÖRG ISRINGHAUS FÜHRTE DAS INTERVIEW.