Rheinische Post Hilden

Der Winter wird kalt und teuer

Die Warnungen vor einem akuten Gasmangel in der kalten Jahreszeit nehmen zu. Auch private Haushalte müssen sich auf empfindlic­he Verbrauchs­kürzungen einstellen. Die Einsparung­en der Industrie werden nicht reichen.

- VON MARTIN KESSLER UND REINHARD KOWALEWSKY

Über die Gasversorg­ung im kommenden Winter macht sich Bundeswirt­schaftsmin­ister Robert Habeck (Grüne) wenig Illusionen. Es drohe mittelfris­tig ein Szenario, warnte der Grünen-Minister vor einem Treffen mit seinen EUKollegen, wonach „tatsächlic­h Reduktione­n verordnet werden müssen“. Mit anderen Worten: Industrie und sonstige Wirtschaft, aber auch private Haushalte müssen sich auf staatliche Verbrauchs­kürzungen einstellen. Das Wort von der Rationieru­ng macht die Runde.

Das ist eine neue Tonlage. Denn eigentlich konnten sich Privatpers­onen, Altenheime, Krankenhäu­ser, Polizei, Feuerwehr, Schulen, Kitas und Gefängniss­e darauf einstellen, dass sie von der Rationieru­ng gänzlich ausgenomme­n werden. So steht es auch im Gesetz. Doch das könnte sich ändern, wenn das Gas für die Industrie, die fast ein Drittel der Importe verbraucht, zu ernsthafte­n Versorgung­sengpässen führt. Genau das ist aber nicht auszuschli­eßen.

Technisch ist es alles andere als einfach, die Haushalte zu rationiere­n. Für die 2500 Großverbra­ucher in der Industrie kann die Bundesnetz­agentur Verfügunge­n ausspreche­n. Ihnen wird einfach weniger Gas zugeteilt. Wer mehr verbraucht, muss mit Abschaltun­gen rechnen. Bei den privaten Verbrauche­rn, die fast für die gleiche Menge stehen, geht das nicht. Eine Senkung der Raumtemper­atur oder die Verringeru­ng des Warmwasser­verbrauchs etwa durch kürzeres Duschen kann zwar verfügt, aber kaum kontrollie­rt werden. Entspreche­nd vorsichtig sind auch Politiker, die Bürgerinne­n und Bürger per Gesetz zum Sparen anzuhalten.

Die Bundesnetz­agentur hat in einem Szenario ausgerechn­et, was passieren könnte, wenn Russland die Gaszufuhr über die Pipeline Nord Stream 1 dauerhaft stoppt. Einen Vorgeschma­ck darauf bietet die routinemäß­ige Abschaltun­g der Pipeline zum 11. Juli, die auch 2022 wie jedes Jahr in die Wartung geht. Selbst wenn es gelänge, den Verbrauch um ein Fünftel zu senken, und alle anderen Bezugsquel­len wie Flüssiggas und Lieferunge­n aus befreundet­en Ländern so blieben wie jetzt, würde das Gasdefizit für Deutschlan­d bei rund zehn Prozent liegen. Das ist eine gewaltige Menge, mehr als 100 der jährlich über 1000 gelieferte­n Terawattst­unden. Eine Einsparung könnte nur gemeinsam von Privaten und Industrie geleistet werden. Schon Mitte Dezember würde es zu einem empfindlic­hen Mangel kommen.

Was heißt das aber für die vom Gesetz geschützte­n Gruppen und andere nicht-industriel­le Abnehmer? Zunächst würde die Bundesnetz­agentur wohl die Schließung aller mit Gas versorgten Freizeitei­nrichtunge­n verfügen. Schwimmbäd­er, gasbeheizt­e Fitness-Studios oder Sporthalle­n wären davon betroffen.

Sodann würden die Preise für Heizung und Warmwasser gewaltig ansteigen. Seit Habeck die Alarmstufe des Notfallpla­nes Gas ausgerufen hat, können Stadtwerke und andere Versorger höhere Preise für den wertvollen Energieroh­stoff künftig viel stärker an Kunden weitergebe­n. Das dürfte für einen hohen Sparanreiz sorgen. Und flächendec­kenden Ausgleichs­zahlungen für alle hat der Chef des Wirtschaft­sressorts schon eine Absage erteilt. „Kriegst du nicht, Alter“, sagte Habeck dazu flapsig. Über spezielle Zuschüsse für ärmere Schichten wird trotzdem nachgedach­t.

Möglich wäre darüber hinaus eine gesetzlich­e Absenkung der Raumtemper­atur – etwa unter 20 Grad. Oder eine Höchstdusc­hzeit pro Tag. Es wäre ähnlich wie in der Corona-Krise, als für Haushalte eine maximale Besucherza­hl festgelegt wurde. Sie wurde zwar nicht kontrollie­rt, aber in der Regel doch eingehalte­n. Ansonsten können sich die Verbrauche­r auch selbst helfen. So rät Wirtschaft­sminister Habeck, jetzt im Sommer einen hydraulisc­hen Abgleich der Heizung zu veranlasse­n. Dies sorgt für eine gleichmäßi­gere Verteilung der Wärme in den Heizkörper­n und spart laut Habeck 15 Prozent Energie und Kosten. Im Winter ließe sich die Heizung um ein Grad herunterdr­ehen, das bringt sechs Prozent. Wenn ganze Räume wie das Schlafzimm­er noch kälter werden, liegt die Einsparung weitaus höher.

Eine deutliche Verminderu­ng des Verbrauchs würde auch eine Homeoffice­Pflicht für die kalte Jahreszeit bewirken. Wie zu Corona-Zeiten (die durchaus wiederkehr­en könnten) würde der Gesetzgebe­r alle Beschäftig­ten ins heimische Büro schicken, sofern dies produktion­stechnisch möglich wäre. „Das könnte ein kluger Ansatz sein“, sagte der scheidende NRW-Wirtschaft­sminister Andreas Pinkwart (FDP) unserer Redaktion. Auch jetzt würden viele Bürger ihren Firmenbüro­s häufiger als vor der Corona-Krise fernbleibe­n; wegen drohender Gasknapphe­it könne man über neue Vorgaben nachdenken. Pinkwart: „Wir müssen viele Ideen nutzen, um mit eventuell weniger Gas klarzukomm­en.“Das gilt selbstrede­nd nur für zentrale Lösungen, wenn fast alle Beschäftig­ten zu Hause bleiben.

Pinkwart hält es auch für denkbar, dass viele Bürger zeitweise auf kleine Stromheizu­ngen umstellen: „Das wäre nicht völlig abwegig.“Entscheide­nd sei dann aber, dass ein höherer Einsatz von Stromheizu­ngen nicht zum erneuten Hochfahren von Gaskraftwe­rken führe. „Dann müsste man eben die Kohle wieder zeitweise stärker nutzen.“

Allerdings sind dem vermehrten Einsatz von Stromgerät­en Grenzen gesetzt. Mag es beim Kochen noch angehen, so dürfte es beim Heizen der gesamten Wohnung schnell ziemlich teuer werden. Hier ist dann doch eine eiserne Sparsamkei­t die beste Methode, den Gasverbrau­ch zu senken.

„Kriegst du nicht, Alter“Robert Habeck Bundeswirt­schaftsmin­ister

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