Die Ankündigungen sind noch zu abstrakt
Der oberste Wirtschaftsvertreter Nordrhein-Westfalens schreibt über die Chancen einer schwarz-grünen Landesregierung für das Industrieland NRW. Er wünscht sich weniger Staat, weniger Reglementierung und weniger Bürokratie als starkes psychologisches Signa
DÜSSELDORF Der Start von SchwarzGrün in NRW fällt in eine Zeit, die geprägt ist durch ein in hohem Maße unsicheres politisches und wirtschaftliches Umfeld: der Krieg in der Ukraine, die noch nicht überwundene Pandemie, die massiven weltweiten Lieferengpässe, die exorbitanten Preissteigerungen für Energie, Rohstoffe und Materialien, die inzwischen vier Jahre dauernde Rezession. Es sind höchst anspruchsvolle, ja schwere Zeiten für die Politik, aber auch für die Unternehmen im Land.
Hinzu kommen die immensen Herausforderungen, die unsere Wirtschaft – ohnehin bereits inmitten eines tiefgreifenden Transformationsprozesses – durch die Umsetzung der ehrgeizigen und ambitionierten Klimaziele der Politik zu meistern hat. Damit dies gelingen und NRW also tatsächlich das „erste klimaneutrale Industrieland Europas“werden kann, wird es entscheidend darauf ankommen, dass die neue Landesregierung von Anfang an keine Zeit verliert.
CDU und Grüne haben sich in den vergangenen Wochen schnell und auch geräuschlos aufeinander zubewegt und sichtlich Vertrauen aufgebaut. Und es ist gut, dass im Koalitionsvertrag ein eindeutiges Bekenntnis zur Bedeutung einer starken Wirtschaft für unser Land abzulesen ist. Gleiches gilt für die klare Zusage, NRW als Industriestandort zu stärken und die Transformation in Richtung Klimaneutralität tatkräftig zu unterstützen. Darin sind wir uns mit der neuen Landesregierung völlig einig.
Doch ein entscheidender Schlüssel zum Erfolg wird sein, ob die angekündigte massive Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren auch wirklich erfolgt. Bisher sind hierzu die Ankündigungen noch zu abstrakt. Und während an manchen Stellen die Liebe zum Detail ausgelebt wird, bleiben anderswo wichtige Punkte offen. An der tatsächlichen Umsetzung ihrer Vorhaben wird diese Landesregierung aber gemessen. Der neuen Koalition muss klar sein: Ohne konkrete Taten wird sie ihre ehrgeizigen Klimaziele nicht erreichen – übrigens auch nicht den angestrebten Kohleausstieg bis 2030. Und die Energiepolitik ist dabei von zentraler Bedeutung. Ich begrüße daher, dass der Koalitionsvertrag eine jederzeit sichere, verlässliche und bezahlbare Energieversorgung als Basis für das Industrieland NRW ausdrücklich anerkennt.
Nun müssen beide Parteien beweisen, dass sie tatsächlich vorhandene Spannungsfelder aufzulösen und gesellschaftspolitische Blockaden zu überwinden in der Lage sind. Allen muss klar sein: Ohne starke Unternehmen wird die Politik die Herausforderungen dieser Zeit nicht bewältigen. Verbote, Quoten, Regulierungen oder staatliche Preisfestsetzungen sind jedenfalls nicht die geeigneten Mittel, um Wohlstand und Arbeitsplätze in unserem Land zu sichern, ehrgeizige Klimaziele zu erreichen und die Basis für einen handlungsfähigen und wehrhaften Staat zu stärken.
Wichtig ist vielmehr, dass sich beide Regierungsparteien auf gemeinsame, die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen stärkende wirtschaftspolitische Leitplanken verständigen. Andernfalls laufen sie Gefahr, dass so mancher Betrieb in der gegenwärtig schwierigen politischen und wirtschaftlichen Gemengelage aus der Kurve fliegt. Ich erwarte deshalb, dass schwarz-grünes Regierungshandeln künftig stets die Gesamtbelastung der Wirtschaft im Blick hat.
Die Ressortverteilung, auf die sich beide Parteien verständigt haben, scheint auf den ersten Blick eigenwillig. Mit der Zuständigkeit für in unserem Wirtschaftsstandort zentrale Bereiche wie Wirtschaft, Energie,
Umwelt, Klimaschutz und Verkehr liegt nun sehr viel im Spielfeld der Grünen. Doch in dieser Aufstellung kann auch eine Chance liegen. Denn damit obliegt ihnen auch eine besondere Verantwortung, den grundlegenden Strukturwandel in NRW zu ermöglichen statt ihn zu verzögern oder gar zu bremsen. Denn der muss zwingend gelingen – vor allem, damit insbesondere Hunderttausende Industriearbeitsplätze in unserem Land gehalten werden können. Erweisen sich die Grünen hier als Tempomacher, werden sie auch viel Vertrauen der Unternehmen zurückgewinnen.
Keine Frage: Die kommende Legislaturperiode wird entscheidend für die Zukunftsfähigkeit unseres Landes sein. Die zentralen Weichenstellungen für eine erfolgreiche Transformation müssen in den kommenden fünf Jahren erfolgen. Die Landespolitik muss dabei darauf achten, das Alleinstellungsmerkmal unseres Standorts, seine geschlossenen industriellen Wertschöpfungsketten, zu erhalten. Dieser
strategische Wettbewerbsvorteil darf auch nicht durch vermeintlich punktuelle, in ihrer Wirkung aber durchschlagende Belastungen wie eine Rohstoffabgabe auf Kies und Sand fahrlässig aufs Spiel gesetzt werden. Der neuen Landesregierung muss bewusst sein, dass sie nur mit starken, wettbewerbsfähigen Unternehmen aller Branchen erfolgreich sein kann.
Hierfür brauchen Wirtschaft und Industrie eine moderne Verkehrsinfrastruktur, erhebliche Fortschritte in der Digitalisierung in allen wichtigen Bereichen des Landes und Spielräume für massive Investitionen in Innovationen, Klimaschutz und Arbeitsplätze. Weniger Staat, weniger Reglementierung und weniger Bürokratie wären hier auch ein starkes psychologisches Signal. Wenn Unternehmer spüren, dass sie willkommen sind, ihr Engagement ausdrücklich unterstützt und ihnen nicht mit Misstrauen begegnet wird, dann sind dies gute Voraussetzungen für ein gutes Miteinander von Landespolitik und Wirtschaft.