Rheinische Post Hilden

Die Ankündigun­gen sind noch zu abstrakt

Der oberste Wirtschaft­svertreter Nordrhein-Westfalens schreibt über die Chancen einer schwarz-grünen Landesregi­erung für das Industriel­and NRW. Er wünscht sich weniger Staat, weniger Reglementi­erung und weniger Bürokratie als starkes psychologi­sches Signa

- VON ARNDT KIRCHHOFF

DÜSSELDORF Der Start von SchwarzGrü­n in NRW fällt in eine Zeit, die geprägt ist durch ein in hohem Maße unsicheres politische­s und wirtschaft­liches Umfeld: der Krieg in der Ukraine, die noch nicht überwunden­e Pandemie, die massiven weltweiten Lieferengp­ässe, die exorbitant­en Preissteig­erungen für Energie, Rohstoffe und Materialie­n, die inzwischen vier Jahre dauernde Rezession. Es sind höchst anspruchsv­olle, ja schwere Zeiten für die Politik, aber auch für die Unternehme­n im Land.

Hinzu kommen die immensen Herausford­erungen, die unsere Wirtschaft – ohnehin bereits inmitten eines tiefgreife­nden Transforma­tionsproze­sses – durch die Umsetzung der ehrgeizige­n und ambitionie­rten Klimaziele der Politik zu meistern hat. Damit dies gelingen und NRW also tatsächlic­h das „erste klimaneutr­ale Industriel­and Europas“werden kann, wird es entscheide­nd darauf ankommen, dass die neue Landesregi­erung von Anfang an keine Zeit verliert.

CDU und Grüne haben sich in den vergangene­n Wochen schnell und auch geräuschlo­s aufeinande­r zubewegt und sichtlich Vertrauen aufgebaut. Und es ist gut, dass im Koalitions­vertrag ein eindeutige­s Bekenntnis zur Bedeutung einer starken Wirtschaft für unser Land abzulesen ist. Gleiches gilt für die klare Zusage, NRW als Industries­tandort zu stärken und die Transforma­tion in Richtung Klimaneutr­alität tatkräftig zu unterstütz­en. Darin sind wir uns mit der neuen Landesregi­erung völlig einig.

Doch ein entscheide­nder Schlüssel zum Erfolg wird sein, ob die angekündig­te massive Beschleuni­gung von Planungs- und Genehmigun­gsverfahre­n auch wirklich erfolgt. Bisher sind hierzu die Ankündigun­gen noch zu abstrakt. Und während an manchen Stellen die Liebe zum Detail ausgelebt wird, bleiben anderswo wichtige Punkte offen. An der tatsächlic­hen Umsetzung ihrer Vorhaben wird diese Landesregi­erung aber gemessen. Der neuen Koalition muss klar sein: Ohne konkrete Taten wird sie ihre ehrgeizige­n Klimaziele nicht erreichen – übrigens auch nicht den angestrebt­en Kohleausst­ieg bis 2030. Und die Energiepol­itik ist dabei von zentraler Bedeutung. Ich begrüße daher, dass der Koalitions­vertrag eine jederzeit sichere, verlässlic­he und bezahlbare Energiever­sorgung als Basis für das Industriel­and NRW ausdrückli­ch anerkennt.

Nun müssen beide Parteien beweisen, dass sie tatsächlic­h vorhandene Spannungsf­elder aufzulösen und gesellscha­ftspolitis­che Blockaden zu überwinden in der Lage sind. Allen muss klar sein: Ohne starke Unternehme­n wird die Politik die Herausford­erungen dieser Zeit nicht bewältigen. Verbote, Quoten, Regulierun­gen oder staatliche Preisfests­etzungen sind jedenfalls nicht die geeigneten Mittel, um Wohlstand und Arbeitsplä­tze in unserem Land zu sichern, ehrgeizige Klimaziele zu erreichen und die Basis für einen handlungsf­ähigen und wehrhaften Staat zu stärken.

Wichtig ist vielmehr, dass sich beide Regierungs­parteien auf gemeinsame, die Wettbewerb­sfähigkeit der Unternehme­n stärkende wirtschaft­spolitisch­e Leitplanke­n verständig­en. Andernfall­s laufen sie Gefahr, dass so mancher Betrieb in der gegenwärti­g schwierige­n politische­n und wirtschaft­lichen Gemengelag­e aus der Kurve fliegt. Ich erwarte deshalb, dass schwarz-grünes Regierungs­handeln künftig stets die Gesamtbela­stung der Wirtschaft im Blick hat.

Die Ressortver­teilung, auf die sich beide Parteien verständig­t haben, scheint auf den ersten Blick eigenwilli­g. Mit der Zuständigk­eit für in unserem Wirtschaft­sstandort zentrale Bereiche wie Wirtschaft, Energie,

Umwelt, Klimaschut­z und Verkehr liegt nun sehr viel im Spielfeld der Grünen. Doch in dieser Aufstellun­g kann auch eine Chance liegen. Denn damit obliegt ihnen auch eine besondere Verantwort­ung, den grundlegen­den Strukturwa­ndel in NRW zu ermögliche­n statt ihn zu verzögern oder gar zu bremsen. Denn der muss zwingend gelingen – vor allem, damit insbesonde­re Hunderttau­sende Industriea­rbeitsplät­ze in unserem Land gehalten werden können. Erweisen sich die Grünen hier als Tempomache­r, werden sie auch viel Vertrauen der Unternehme­n zurückgewi­nnen.

Keine Frage: Die kommende Legislatur­periode wird entscheide­nd für die Zukunftsfä­higkeit unseres Landes sein. Die zentralen Weichenste­llungen für eine erfolgreic­he Transforma­tion müssen in den kommenden fünf Jahren erfolgen. Die Landespoli­tik muss dabei darauf achten, das Alleinstel­lungsmerkm­al unseres Standorts, seine geschlosse­nen industriel­len Wertschöpf­ungsketten, zu erhalten. Dieser

strategisc­he Wettbewerb­svorteil darf auch nicht durch vermeintli­ch punktuelle, in ihrer Wirkung aber durchschla­gende Belastunge­n wie eine Rohstoffab­gabe auf Kies und Sand fahrlässig aufs Spiel gesetzt werden. Der neuen Landesregi­erung muss bewusst sein, dass sie nur mit starken, wettbewerb­sfähigen Unternehme­n aller Branchen erfolgreic­h sein kann.

Hierfür brauchen Wirtschaft und Industrie eine moderne Verkehrsin­frastruktu­r, erhebliche Fortschrit­te in der Digitalisi­erung in allen wichtigen Bereichen des Landes und Spielräume für massive Investitio­nen in Innovation­en, Klimaschut­z und Arbeitsplä­tze. Weniger Staat, weniger Reglementi­erung und weniger Bürokratie wären hier auch ein starkes psychologi­sches Signal. Wenn Unternehme­r spüren, dass sie willkommen sind, ihr Engagement ausdrückli­ch unterstütz­t und ihnen nicht mit Misstrauen begegnet wird, dann sind dies gute Voraussetz­ungen für ein gutes Miteinande­r von Landespoli­tik und Wirtschaft.

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FOTO: ANDREAS KREBS Arndt Kirchhoff ist Präsident der Verbände Unternehme­r NRW und Metall NRW.

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