Rheinische Post Hilden

Die „Lücke von Suwalki“ist die Achillesfe­rse der Nato

- VON HOLGER MÖHLE

BERLIN/MADRID Jens Stoltenber­gs Berater dürften sich mehrfach über diesen Teil der Europa-Karte gebeugt haben. Wo bitte liegt Suwalki? Es geht um einen rund 65 Kilometer breiten Landstreif­en im Grenzgebie­t der Nato-Partner Litauen und Polen, im Jargon der Allianz bekannt als „Suwalki-Lücke“, benannt nach der polnischen Grenzstadt Suwalki. Wenn sich die Staats- und Regierungs­chefs der 30 Nato-Staaten zu ihrem Gipfel in Madrid treffen, haben sie die strategisc­he Bedeutung dieser für das Bündnis neuralgisc­hen Zone mit im Blick. Denn: Die „Suwalki-Lücke“gilt als die Achillesfe­rse im gesamten Nato-Gebiet. Nirgendwo ist die weltweit stärkste Militärall­ianz verwundbar­er – es ist die einzige Landverbin­dung des Baltikums zu den übrigen Nato-Staaten in Europa. Wenn Russland die Nato empfindlic­h treffen und Verbindung­en schnell kappen wollte, dann hier. Im Westen grenzt die russische Exklave Kaliningra­d an die „Suwalki-Lücke“, im Osten heißt der Nachbar Weißrussla­nd. Der damalige Nato-Oberbefehl­shaber in Europa, General Ben Hodges, warnte schon 2015 davor, dass die Region zu jenen Gebieten in Europa gehöre, in denen militärisc­h schnell ein Konflikt angezettel­t werden könnte. Das US-Magazin „Politico“hatte die Gegend um Suwalki gar als „gefährlich­sten Ort der Welt“bezeichnet.

Angeheizt wird die Lage noch durch den jüngsten Konflikt um die russische Exklave Kaliningra­d. Hier setzt Litauen die EU-Sanktionen durch und blockiert inzwischen den Nachschub nach Kaliningra­d. Kriegsherr Wladimir Putin drohte schon unverhohle­n mit einer Reaktion, sollte Litauen, wo die Bundeswehr wiederum Teil eines Nato-Kampfverba­ndes ist, der die Ostflanke der Allianz schützen soll, weiter die EU-Sanktionen gegen sein Land durchsetze­n. Bestimmte Güter und Produkte kommen deshalb auf dem Landweg nicht mehr in Kaliningra­d an, weil Litauen EU-Beschlüsse umsetzt und die Transporte nicht mehr durchlässt.

Die litauische Ministerpr­äsidentin Ingrida Simonyte hatte zuletzt erklärt, von einer „Blockade Kaliningra­ds“ über die Gegend um Suwalki

könne man überhaupt nicht sprechen. Lediglich seien Sanktionen für gewisse Güter in Kraft getreten, die nicht auf dem Landweg über EU-Territoriu­m transporti­ert werden dürften. Andere Güter und der Personentr­ansport seien nicht betroffen. Doch das Bündnis rechnet bei Putin mittlerwei­le mit allem. Er schreckt womöglich nicht davor zurück, den freien Warentrans­it in die eigene Exklave Kaliningra­d notfalls auch mit anderen Mitteln als Verhandlun­gen wiederherz­ustellen.

Spaniens Ministerpr­äsident Pedro Sánchez nannte am Dienstag bei einem Treffen mit Stoltenber­g das neue strategisc­he Konzept des Bündnisses denn auch eine „Blaupause für die Nato in einer gefährlich­eren und unberechen­bareren Welt“. Die „Suwalki-Lücke“ist ein Teil davon. Auch aus diesem Grund will die Nato ihre Verbände an der Ostflanke aufstocken und aufmunitio­nieren. Verteidigu­ngsministe­rin Christine Lambrecht (SPD) hatte bereits angekündig­t, dass Deutschlan­d bereit sei, den Kampfverba­nd in Litauen, der von 1600 Soldaten auf die Größe einer Brigade (3000 bis 5000 Soldaten) wachsen soll, anzuführen. In einer Stadt werden sie das besonders gerne hören: Suwalki.

„Der gefährlich­ste Ort der Welt“US-Magazin „Politico“

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