Rheinische Post Hilden

Zahlungsun­fähig, aber nicht pleite

Russland kann seine Schulden nicht begleichen – jedoch nur wegen der Sanktionen.

- VON GEORG WINTERS

DÜSSELDORF Rund 100 Millionen Dollar Zinsen hätte Russland spätestens am Montag jenen Investoren zahlen müssen, die zwei Dollar-Anleihen des Landes gezeichnet hatten, von denen die eine in vier und die anderen in 14 Jahren zur Rückzahlun­g ansteht. Doch die Investoren sind bisher allem Anschein nach leer ausgegange­n, weil Moskau nicht gezahlt hat. Und wer seine Schulden nicht begleichen kann – beziehungs­weise die versproche­nen Zinsen nicht überweist –, gilt als zahlungsun­fähig.

Entspreche­nd hat die Ratingagen­tur Moody’s genau dies festgestel­lt. Allerdings kann sie wegen der geltenden Sanktionen die aktuelle Verfassung Russlands gar nicht bewerten. Es bleibt die Frage: Droht Russland der Staatsbank­rott? Keineswegs. Wladimir Putin hätte genug Geld, um die Schulden zu begleichen, aber an einen Teil davon kommt er gegenwärti­g nicht ran.

Die russische Zentralban­k verfügt nach eigenen Angaben über Devisenres­erven von knapp 600 Milliarden Dollar, dazu kommen Einnahmen aus dem Verkauf von Öl und

Gas. Und: Russlands Verschuldu­ng liegt mit einer Quote von 20 Prozent des Bruttoinla­ndsprodukt­s deutlich unter der westlicher Industrien­ationen. Deutschlan­ds Verschuldu­ng beispielsw­eise ist 2021 auch wegen der Lasten aus der Corona-Krise auf knapp 70 Prozent gestiegen, andere europäisch­e Länder wie Frankreich, Spanien, Portugal und Italien kommen auf deutlich dreistelli­ge Werte. Auch da kann der Mann im Kreml also entspannt sein.

Chefvolksw­irt der Dekabank

Aber Russland hat trotzdem ein Zahlungspr­oblem. Das liegt unter anderem daran, dass fast die Hälfte der Devisenres­erven durch die Sanktionen der westlichen Welt blockiert ist. Die Banken des Landes sind weitgehend vom internatio­nalen Zahlungsve­rkehr abgeschnit­ten. Die US-amerikanis­chen Banken beispielsw­eise dürfen keine Zahlungen Moskaus an ihre Kunden weiterleit­en.

Aktuell nicht zahlungsfä­hig, aber das zunächst nur technisch, lautet daher das Ergebnis der Analyse. „Dies ist eine besondere Art der Zahlungsun­fähigkeit. Sie dokumentie­rt, dass Russland nicht mehr Bestandtei­l der westlichen Wirtschaft­swelt ist. Insgesamt hat Russland mehr Vermögen als Schulden im Westen“, sagt Ulrich Kater, Chefvolksw­irt der Dekabank. Das zeige, dass man in Russland bei allen ideologisc­hen Vorbehalte­n doch viele Vorteile der westlichen Demokratie­n in Anspruch genommen habe. Katers Urteil: „Materiell sind die Ausfälle zu verkraften, insbesonde­re, weil sie sich ja schon lange abgezeichn­et haben.“Russland selbst sieht sich auch nicht als zahlungsun­fähig an und pocht darauf, längst gezahlt zu haben.

Mittel- bis langfristi­g könnte die aktuelle Lage trotzdem zum Problem werden. Nämlich dann, wenn die Zahlungsun­fähigkeit offiziell festgestel­lt wird und alle Gläubiger die Rückzahlun­g aller Schulden verlangen könnten. Derzeit können sie noch entspannt sein. Denn ihre Forderunge­n verfallen erst drei Jahre nach dem vorgegeben­en Zahlungsze­itpunkt.

„Russland ist nicht mehr Bestandtei­l der westlichen Wirtschaft­swelt“Ulrich Kater

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