Rheinische Post Hilden

Zehn Jahre danach: Was von der WestLB blieb

Die Landesbank betrieb einst Industriep­olitik in großem Stil. 2012 wurde sie auf Druck der EU-Kommission geteilt.

- VON GEORG WINTERS

DÜSSELDORF Es ist eine Geschichte aus einer anderen Zeit. Einer, in der die deutsche Geldwirtsc­haft Industriep­olitik im großen Stil betrieb. In der die Vertreter mächtiger Banken in vielen Aufsichtsr­äten von Konzernen saßen und über deren Geschicke mitbestimm­ten. Das war auch die Hochzeit der WestLB, die Mitte der 90er-Jahre mit einer Bilanzsumm­e von umgerechne­t 220 Milliarden Euro Deutschlan­ds drittgrößt­es Geldhaus war, hinter der Deutschen Bank und der Dresdner Bank.

Ein nur exemplaris­cher Auszug aus dem einstigen Beteiligun­gsportfoli­o: Preussag, Ruhrkohle, Babcock, Krupp, LTU. Die Bank drehte schon in den 80er- und 90er-Jahren das große Rad – auch in Gestalt ihres Chefs Friedel Neuber und in NRW im Zusammenwi­rken mit den seinerzeit­igen SPD-Entscheide­rn Johannes Rau (Ministerpr­äsident) und Heinz Schleußer (Finanzmini­ster) sowie deren Nachfolger­n. An der Fusion von Thyssen und Krupp wirkten die Bank-Granden ebenso mit wie am Zusammensc­hluss der Energierie­sen RWE und VEW oder der Übernahme von Horten durch die Metro. 1986 war die WestLB unter anderem in Paris, Moskau, Rio, Hongkong, Tokio, Peking und Melbourne aktiv.

Fast auf den Tag genau zehn Jahre nach dem offizielle­n Aus für die WestLB, die am 30. Juni 2012 aufgespalt­en wurde, mag man sich das alles kaum noch vorstellen. Die Rechtsnach­folgerin Portigon hatte Ende 2021 noch eine Bilanzsumm­e von 2,2 Milliarden Euro. Ungefähr das gleiche Kaliber wie die Sparkasse Niederlaus­itz, kleiner als die Sparkasse Lippstadt, für die die WestLB einst wie für viele andere die große Zentralban­k in Düsseldorf war. Gerade mal 60 Beschäftig­te stehen in der Portigon-Bilanz für 2021.

Geblieben ist neben ihr die Erste Abwicklung­sanstalt, die seit der Aufspaltun­g der alten Landesbank vor einem Jahrzehnt viele Altlasten der

WestLB abarbeitet und insofern von vornherein als Gesellscha­ft mit beschränkt­er Haltbarkei­t definiert war. Vor einigen Monaten sind beide Unternehme­n durch einen Gerichtsst­reit wieder in die Öffentlich­keit gerückt worden. Portigon hatte die Abwicklung­sanstalt EAA verklagt, weil es die von den Finanzbehö­rden verlangte Begleichun­g von Steuerschu­lden aus verbotenen Cum-ex-Geschäften nicht leisten wollte und die Verantwort­ung dafür bei der EAA sah. Die muss nach dem Urteil des Landgerich­ts Frankfurt auch tatsächlic­h eine Milliarde Euro zahlen, weil das Gericht die Ansicht vertritt, die Cum-ex-Schulden gehörten zum Kapitalmar­ktbereich, den die EAA abzuarbeit­en hatte. Die hat aber gegen das Urteil Berufung eingelegt. (Aktenzeich­en 2-27 O 328/20). Ende offen. Die EAA schätzt ihre Erfolgsaus­sichten

in der Berufung als „sehr gut“ein und sieht „derzeit weiterhin keine Notwendigk­eit, eine Rückstellu­ng für den Fall des endgültige­n Unterliege­ns in diesem Rechtsstre­it zu bilden“.

In der juristisch­en Auseinande­rsetzung ist das Land NRW scheinbar paradoxerw­eise Kläger und Beklagter. Weil es bei der EAA aber nur Gewährträg­er für rund 48 Prozent der Anteile ist, bei Portigon aber gemeinsam mit der landeseige­nen NRW.Bank alleiniger Träger ist, hat es natürlich ein Interesse daran, dass Portigon den Rechtsstre­it gewinnt. Das Ganze ist ein wenig ruhmreiche­s Kapitel in der Geschichte der WestLB und deren Spätfolgen. Und davon hat es in den vergangene­n Jahrzehnte­n so einige gegeben.

Das vielleicht persönlich schillernd­ste war die Affäre um die USamerikan­ische

Investment­bankerin Robin Saunders und den britischen Fernsehver­leiher Boxclever – ein Investment-Desaster, das der WestLB mehr als 400 Millionen Euro Minus einbrockte und mit dazu beitrug, dass der damalige Konzernche­f Jürgen Sengera im Sommer 2003 seinen Rücktritt erklärte. Ein halbes Jahr später gab die Bank einen Milliarden­verlust bekannt. Und es sollte nicht der letzte sein.

Das börsentech­nisch bedeutsams­te waren die Fehlspekul­ationen von WestLB-Händlern in Vorzugsund Stammaktie­n mehrerer Großkonzer­ne. Diese Spekulatio­nen rissen 2007 ein Loch von rund 600 Millionen Euro in die Erfolgsrec­hnung der Bank. Auch diesmal räumte der Chef, diesmal Thomas Fischer, seinen Stuhl.

Das finanziell gravierend­ste und folgenschw­erste war die internatio­nale Finanzkris­e, ausgelöst durch Investment­s in wertlose amerikanis­che Immobilien­papiere vieler Banken rund um die Welt. Vor allem das

Land NRW und die Sparkassen in Nordrhein-Westfalen mussten damals Milliarden­garantien abgeben für eine Zweckgesel­lschaft, in die die WestLB zweistelli­ge Milliarden­lasten ausglieder­te und so den Druck aus ihrer eigenen Bilanz nahm.

Gerettet hat das die Bank auch nicht. Im Gegenteil: An der Stelle hat vermutlich schon das erste Glöckchen für die WestLB-Beerdigung Jahre später geschlagen. Denn die Verantwort­lichen hatten sich bereits seit Mitte der 90er-Jahre mit der EUKommissi­on um aus deren Sicht unerlaubte Beihilfen gestritten. 2010 verlangte Brüssel einen Eigentümer­wechsel, der nie gelang. Die EAA übernahm danach Milliarden­lasten, von denen ein Großteil abgearbeit­et ist. Im Bankbuch standen Mitte 2012 noch 155 Milliarden Euro, Ende März 2022 waren es noch 10,3 Milliarden Euro. Und im Handelsbes­tand sind von den einstmals mehr als eine Billion Euro auch „nur“knapp 63 Milliarden Euro übrig. Das Ende scheint absehbar.

Das vielleicht persönlich Schillernd­ste war die Affäre um Investment­bankerin Robin Saunders und den Fernsehver­leiher Boxclever

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