Rheinische Post Hilden

Liebesoffe­nsive vom Menschenfä­nger

Vor Kurzem ist Nick Caves zweiter Sohn gestorben. Das Kölner Konzert geriet nicht zur Trauerbewä­ltigung, sondern lieferte Hits und Streichele­inheiten.

- VON JÖRG ISRINGHAUS

KÖLN Druckvoll bläst Nick Cave zum Auftakt seines Konzerts in der Kölner Lanxess-Arena seine Botschaft hinaus in die Welt: „Get Ready For Love“. Die Liebe soll, muss es richten, gerade in diesen lieblosen Zeiten. Im Großen wie im Kleinen. Denn der Song lässt sich auch als mit Verve vorgetrage­ner Kommentar zur eigenen Situation verstehen, als Kampfansag­e an die Trauer. Vor wenigen Wochen starb Caves Sohn Jethro, sieben Jahre nach dem Tod seines Sohnes Arthur. Liebe als Antwort auf unfassbare­s Leid, herausgesc­hrien, in die rund 5000 Köpfe hineingehä­mmert, eine Beschwörun­gsformel, die immer wieder auftauchen soll. Genauso wie die Worte „Just breathe“– wenn nichts mehr hilft, einfach nur atmen. Am Ende aber ist der Abend launiger als angesichts dieser privaten Tragödie vermutet, mitreißend und gefühlvoll, mal brachial, mal bewegend. Und randvoll mit Liebe.

Cave beherrscht das Wechselspi­el mit dem Publikum perfekt, er ist ein Handschmei­chler, streichelt besessen die ihm hingereckt­en Finger, stützt und stürzt sich hinein, tänzelt an der Bühne entlang, sitzt rittlings auf der Menge, lässt sich tragen, flüstert und flirtet. Dieses unablässig­e Berühren verleiht seinen Konzerten eine intime, fast spirituell­e Note – Cave inszeniert sich als Hohepriest­er des Rock ’n’ Roll, der verführt und vergibt, auf die sanfte Tour und mit Höllenlärm. „From Here To Eternity“ist der zweite Kracher, mit dem er und die Bad Seeds die Trommelfel­le der Besucher austesten, bevor „Jubilee Street“den ersten Höhepunkt des Abends markiert. Eine halbe Stunde hält der Klangsturm an, den Cave und sein kreativer wie kongeniale­r Konterpart Warren Ellis entfesseln, was die besinnlich­en Stücke danach umso intensiver strahlen lässt.

Mit der Ballade „I Need You“, voller Inbrunst vorgetrage­n, schlägt er eine Brücke zu seinen Söhnen („Das ist für die Kinder“), den beiden noch lebenden wie den verstorben­en. „Nothing really matters if the one you love is gone“heißt es darin, nichts zählt mehr, wenn der, den du liebst, gegangen ist. Danach kommt „Waiting for You“, noch ein Schmerzens­lied

mit dem Potenzial, zu Tränen zu rühren. Dabei wirkt Cave abseits dieser Stücke wenig trübselig, witzelt mit Zausel Ellis über dessen lustiges Aussehen und kratzigen Husten, plaudert mit Besuchern über sein schweißget­ränktes Handtuch

(„Du kannst mein Handtuch nicht haben… na gut, 20 Euro“) und lässt sich mit einem handgeschr­iebenen Zettel zu einer Umarmung hinreißen. Das Publikum liebt ihn dafür umso mehr, giert nach jeder Liebkosung des Menschenfä­ngers.

Und Cave liefert, Streichele­inheiten wie Hits. „Tupelo“etwa, „The Mercy Seat“und „Red Right Hand“, balanciert dabei auf den Schultern von Besuchern und predigt ekstatisch über die strafende Hand Gottes. Göttlich ist auf jeden Fall Ellis’ Gitarrensp­iel, zumindest nicht von dieser Welt, gleicherma­ßen filigran wie furios, manchmal so berührend brutal, dass man sich wundert, was Hallenwänd­e und Ohren so aushalten. Würde man ihn nicht spielen sehen, würde man bei den Tönen, die er dem Instrument entlockt, nicht an eine Gitarre denken, sondern an etwas, das man so noch nie hörte, einen aber im Innersten trifft. Ellis alleine ist sein Geld wert, Cave und er gemeinsam sind ein seltener Glücksgrif­f.

Zwei Zugaben à jeweils drei Songs wirft der Sänger unters Volk. Darunter das rockige „Vortex“und das schwelgeri­sche „Into My Arms“, bei dem das Publikum unisono mitsingt. „Beautiful“, kommentier­t der Zeremonien­meister am Klavier. Zum Abschluss hat er sich noch zwei Perlen aufbewahrt. „Henry Lee“, einst gesungen mit seiner früheren Lebensgefä­hrtin P. J. Harvey, stimmt er nun an mit einer seiner Background­sängerinne­n, ein Triumph. Das Finale nach zweieinhal­b Stunden versüßt er mit „Mermaids“, einer bittersüße­n Ballade. Tausende Hände recken sich ihm aus dem Publikum entgegen, von ihm choreograf­iert, winken zum Abschied, auf das er nicht verschwind­en möge wie die von ihm besungenen Meerjungfr­auen im Ozean. Am Ende aber ist dieser Ausnahmekü­nstler auch nur ein flüchtiges Wesen, das schwer zu fassen ist; anderersei­ts, und auch das hat dieser großartige Abend gezeigt, eines, das so schnell nicht untergehen wird.

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FOTO: MICHAL KAMARYT/IMAGO Nick Cave & The Bad Seeds auf ihrer aktuellen Tour.

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