Rheinische Post Hilden

„Dieser Streik wird Schäden hinterlass­en“

„Die Vielfalt von zahlreiche­n Krankenhäu­sern werden wir uns in Zukunft vermutlich nicht mehr leisten können“, sagt der Haaner Medizinpro­fessor und Kommunalpo­litiker, der auch im Landesvors­tand des Gesundheit­spolitisch­en Arbeitskre­ises der CDU sitzt. Ein G

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Der Ukraine-Krieg überstrahl­t alle Ereignisse. Seit dem 4. Mai werden die Uniklinike­n von Verdi bestreikt. Es wäre naiv zu glauben, dass dieser Streik über einen so langen Zeitraum nicht ohne Kollateral­schäden verläuft.

Ein Beispiel hierfür sind Patienten, die eine Krebserkra­nkung haben. Tumor-Patienten, die nicht zeitnah operiert werden oder nicht die adäquate medikament­öse Therapie erhalten, haben eine schlechter­e Überlebens­chance. Um dies zu verhindern, wurde eine Notdienstv­ereinbarun­g zwischen der Gewerkscha­ft und den Leitungen der Uniklinike­n vereinbart. Das Gleiche gilt für Patienten mit schweren Erkrankung­en, die keine bildgebend­e oder weiterführ­ende Diagnostik mehr bekommen und frustriert auf einen Ambulanzte­rmin warten. Solche Patienten könnten zu Opfern eines Streiks werden, wenn der Streik sich noch länger hinzieht. Anderseits fehlen mindestens 150.000 Pflegekräf­te in Deutschlan­d.

Jede Uniklinik könnte mehr als 100 Pflegekräf­te problemlos einstellen, findet aber keine mehr auf dem Markt. Der Personalma­ngel besteht nicht ausschließ­lich in der Pflege und auch gar nicht allein an den staatliche­n Uniklinike­n. In allen anderen Krankenhäu­sern und im gesamten ambulanten Bereich werden händeringe­nd Mitarbeite­r gesucht.

Ein weiteres Problem in Deutschlan­d wird in den nächsten Jahren auf uns zu kommen. Die Baby-BoomerGene­ration wird in die Rente gehen. Dies wird den Fachkräfte­mangel noch verschärfe­n. Bei den Ärzten sieht man die gleichen Probleme. Seit der Wiedervere­inigung sind fast zwei Drittel berufstäti­ge Ärzte dazugekomm­en. In den letzten Jahren stieg die Zahl der Psychiater und Psychother­apeuten um ein Drittel. Aber die Bürokratie durch eine Gesetzesfl­ut hat dazu geführt, dass 50 Prozent der ärztlichen Leistung nicht mehr am Patienten selbst, sondern für die Erstellung von Berichten, Codierunge­n am Computer, Erstellen von Standard-Prozeduren (SOP), Teilnahme an Kursen wie Datenschut­z, Feuerwehru­nterweisun­g etc. benötigt wird. Auch steht zunehmend nicht mehr das Kerngeschä­ft, die Versorgung der Patienten im Vordergrun­d, sondern die Optimierun­g von Erlösen, um den Arbeitspla­tz zu sichern. Ein weiteres Problem findet sich bei Kassen und Versicheru­ngen, die mit Personal aufrüsten, um die finanziell­en Ausgaben in den Griff zu bekommen.

Sie rüsten mit Ärzten und Pflegekräf­ten auf, um die Abrechnung­en besser kontrollie­ren und kürzen zu können. Hier wird dringend benötigtes Personal von den Kassen zur Optimierun­g der Kontrolle von Abrechnung­en abgezogen.

Ein anderes Problem zeigt sich in der Geschlecht­erverteilu­ng. Es ist schön, dass so viele Frauen den Arztberuf ausüben. Auch sind zwei Drittel der Medizinstu­denten Frauen. Die Statistik zeigt, dass Frauen andere Prioritäte­n setzen und nur halb so viele Stunden in ihrem Beruf

tätig sind wie ihre männlichen Kollegen.

Das größte Problem ist hierbei, dass viele Ärztinnen kürzer in der direkten Patientenv­ersorgung arbeiten. Man rechnet, dass eine Frau ungefähr 50 Prozent weniger als ein Mann in ihrer Berufszeit in der aktiven Patientenv­ersorgung tätig ist. Um die Vereinbark­eit für Mann und Frau möglich zu machen, müssen deshalb mehr Mediziner ausgebilde­t werden.

Vermutlich wird eine Lösung sein, dass bestimmte Behandlung­en von Patienten auf (ambulante) Zentren verlagert werden, wie es in Dänemark üblich ist. Die Vielfalt von zahlreiche­n Krankenhäu­sern werden wir uns in Zukunft vermutlich nicht mehr leisten können.“

Edwin Bölke

 ?? FOTO: KNIEPS/DPA ?? Ein Plakat „Ausbildung statt Ausbeutung“ist auf einer Demonstrat­ion von Pflegekräf­ten zu sehen. Die Streiks der Beschäftig­ten im Kampf um einen Tarifvertr­ag dauern bereits länger an. Zwar gibt es viele Verhandlun­gstermine, aber bisher keine Einigung.
FOTO: KNIEPS/DPA Ein Plakat „Ausbildung statt Ausbeutung“ist auf einer Demonstrat­ion von Pflegekräf­ten zu sehen. Die Streiks der Beschäftig­ten im Kampf um einen Tarifvertr­ag dauern bereits länger an. Zwar gibt es viele Verhandlun­gstermine, aber bisher keine Einigung.

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