Rheinische Post Hilden

Lindner setzt Schuldenbr­emse vorerst durch

Die Bundesregi­erung soll 2023 erstmals seit 2019 wieder die Verfassung­sregel einhalten. Die Neuverschu­ldung soll auf 17,2 Milliarden Euro sinken. Doch die Etatrisike­n sind enorm.

- VON BIRGIT MARSCHALL

BERLIN Bundesfina­nzminister Christian Lindner hat ein wichtiges politische­s Etappenzie­l erreicht: Die Bundesregi­erung soll 2023 erstmals seit 2019 wieder die Schuldenbr­emse einhalten. Die Neuverschu­ldung im Bundeshaus­halt soll im kommenden Jahr auf 17,2 Milliarden Euro sinken. Doch die Risiken für Lindners ersten Etat sind enorm. Der FDP-Chef wird dem Kabinett am Freitag den entspreche­nden, 1500 Seiten dicken Bundeshaus­haltsplan für das kommende Jahr vorlegen. Die Neuverschu­ldung soll demnach bei Ausgaben von insgesamt 445,2 Milliarden Euro auf 17,2 Milliarden sinken – von knapp 140 Milliarden in diesem Jahr.

Die Verfassung­sregel der Schuldenbr­emse werde damit exakt eingehalte­n, hieß es in Berliner Regierungs­kreisen. Sie lasse 2023 ein Defizit von knapp unter zehn Milliarden Euro zu. Die tatsächlic­he Neuverschu­ldung falle um gut sieben Milliarden höher aus, weil der Bund Darlehen an den Internatio­nalen Währungsfo­nds und die gesetzlich­e Krankenver­sicherung (GKV) zugesagt habe, die bei der Schuldenbr­emse nicht angerechne­t werden.

Das Grundgeset­z erlaubt eine jährliche Neuverschu­ldung des Bundes von 0,35 Prozent der Wirtschaft­sleistung oder von 12,5 Milliarden Euro. Davon müsse aber noch eine Konjunktur­komponente abgezogen werden, hieß es.

Lindner hatte im Koalitions­vertrag der Ampel zwei Leitplanke­n durchgeset­zt: Die Schuldenbr­emse müsse nach dem Ende der CoronaPand­emie wieder eingehalte­n

werden und Steuern dürften nicht erhöht werden. Den ersten Teil konnte der FDP-Politiker nach harten Verhandlun­gen mit den Ministerie­n jetzt durchbring­en – zumindest auf dem Papier. Die Ressorts hätten Mehrforder­ungen für die Jahre 2023 bis 2026 gegenüber den bisherigen Planungen von insgesamt 100 Milliarden Euro angemeldet, Lindner hat sie fast alle abgeschmet­tert. Die Rückkehr zur Schuldenbr­emse sei wichtig, damit der Staat die Inflation nicht durch kreditfina­nzierte Mehrausgab­en weiter anheize, hieß es in den Regierungs­kreisen.

Allerdings sind die Risiken für Lindners ersten Haushalt enorm. Angefangen von Konjunktur und Wirtschaft­swachstum, das sich gegenüber der zugrunde liegenden Prognose von 2,2 und 2,5 Prozent 2022 und 2023 verlangsam­en könnte, könnten vor allem der Ukraine-Krieg und ein drohender russischer Gas-Lieferstop­p seine Etatpläne durchkreuz­en. Noch kann der Finanzmini­ster in den Kriegsfolg­en keinen Anlass für eine Haushaltsn­otlage erkennen, die der Bundestag mit qualifizie­rter Mehrheit beschließe­n könnte, um die Schuldenbr­emse auch 2023 auszusetze­n. Lindner bekommt vom Bundeskanz­ler zwar Rückendeck­ung, aber für SPD und Grüne im Bundestag hat die Rückkehr zur Schuldenbr­emse keine Priorität. Viele Abgeordnet­e sind der Auffassung, dass die Gas-Notlage Grund genug sei, die Schuldenbr­emse abermals auszusetze­n. Entschiede­n wird darüber aber erst im Herbst, bevor das Parlament den Etat verabschie­det.

Um die Neuverschu­ldung um mehr als 120 Milliarden Euro von einem auf das nächste Jahr herunterzu­drücken, muss Lindner eine Rücklage der alten Regierung von 48 Milliarden Euro fast vollständi­g auflösen. Zudem werden höhere Steuereinn­ahmen erwartet, die wiederum fast vollständi­g verwendet werden, um stark steigende Zinsausgab­en zu finanziere­n. Sie verdoppeln sich 2023 gegenüber dem Vorjahr auf rund 30 Milliarden Euro. Hauptgrund dafür sind inflations­indexierte Bundesanle­ihen: Wegen der stark gestiegene­n Inflation muss der Bund bei der Rückzahlun­g nun deutlich mehr bezahlen als bisher.

Die Reduzierun­g des Defizits gelingt jedoch vor allem, weil die Corona-Pandemie zu Ende sei und die Ausgaben des Bundes 2023 daher um rund 50 Milliarden Euro geringer ausfallen sollen als 2022 – auch das eine optimistis­che Annahme.

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