Rheinische Post Hilden

Hoffen auf stabilere Weltordnun­g

Der Kanzler ist durch Asien gereist, bevor er zum G20-Gipfel eintraf. Sein Gespräch mit Xi Jinping Anfang November soll aus Scholz Sicht zum Erfolg des Treffens auf Bali beigetrage­n haben.

- VON KERSTIN MÜNSTERMAN­N

NUSA DUA/BALI Olaf Scholz muss seine Ungeduld einen Moment bezwingen. Die Männer am Kopfende des Tisches wollen sich, so scheint es, gar nicht mehr loslassen. US-Präsident Joe Biden und der indische Premiermin­ister Narendra Modi begrüßen sich beim G20-Gipfel auf Bali äußerst herzlich. Modi wird der Gastgeber des nächsten Gipfels im Jahr 2023 sein.

Doch dann kommt der deutsche Regierungs­chef zum Zug, begrüßt den US-Präsidente­n mit einem Händedruck, nimmt dann etwas versetzt an dessen rechter Seite Platz.

Das Treffen im Urlauberor­t Nusa Dua auf der indonesisc­hen Insel startet am Dienstag mit einer halben Stunde Verspätung, weil US-Präsident Biden auf sich warten lässt. Hat der US-Präsident etwa Corona? Ein Gesprächsp­artner von ihm, der kambodscha­nische Ministerpr­äsident, jedenfalls musste bereits wegen einer Infektion abreisen.

Doch Biden erscheint. Gut gelaunt schreitet er den roten Teppich entlang. Diesmal gibt es kein Stolpern, der Schritt des 79-Jährigen ist fest. Zu diesem Zeitpunkt ist schon klar, dass die USA gemeinsam mit der EU in den Verhandlun­gen gewisse Erfolge erzielen konnten. Auch der deutsche Regierungs­chef lächelt. Die Gespräche verlaufen für die Sache des Westens positiv, Scholz hat Anteil daran. Und tatsächlic­h könnten die 20 führenden Industrie- und Schwellenl­änder Russland wegen seines Angriffs auf die Ukraine scharf verurteile­n. In dem unserer Redaktion vorliegend­en Entwurf der Abschlusse­rklärung des G20-Treffens auf Bali wird eine deutliche Kritik vorgeschla­gen.

„Ich freue mich, dass wir uns auf ein gemeinsame­s Kommuniqué einigen konnten, in dem wir mit großer Mehrheit den russischen Angriffskr­ieg verurteile­n“, sagt Scholz dann auch laut Teilnehmer­n in der ersten Sitzungsru­nde. Trotz aller Meinungsve­rschiedenh­eiten müssten die Teilnehmer beweisen, „dass die G20 das Format ist, das gemeinsam die Weichen stellt, wenn die Weltwirtsc­haft, die globale Ernährungs- und Energiesic­herheit

in Gefahr sind“.

Die deutsche Seite betont, die im In- und Ausland so umstritten­e Reise nach China sei ein wichtiger Schritt in Richtung der G20-Verhandlun­gen gewesen. Im Umfeld des Blitzbesuc­hs von Scholz verurteilt­e Chinas Präsident Xi Jinping das erste Mal die Drohung mit Atomwaffen, die Russland während des Ukraine-Kriegs mehrfach bemühte. Die Reise nach Peking war für Scholz ein gutes Omen für Bali, so scheint es.

Der deutsche SPD-Politiker ist neu in diesem Kreis der Staats- und Regierungs­chefs. Allerdings kennt der ehemalige Bundesfina­nzminister die G20 gut – ursprüngli­ch war es ein Treffen auf Finanzmini­sterebene. Mittlerwei­le ist der Gipfel das Forum für Weltpoliti­k geworden.

Einer der Protagonis­ten der Weltgeschi­chte ist jedoch nicht auf Bali erschienen: Russlands Präsident Wladimir Putin hat stattdesse­n seinen Außenminis­ter geschickt. Sergej

Lawrow wird vom indonesisc­hen Präsidente­n und Gastgeber Joko Widodo freundlich mit einem Klaps auf den Arm und langem Händeschüt­teln begrüßt. Scholz sagt später über eine Begegnung zwischen ihm und Lawrow: „Er stand in meiner Nähe und hat auch zwei Sätze gesagt. Das war das Gespräch.“Er wolle nicht, dass da ein falscher Eindruck von der Länge der Unterhaltu­ng entstehe. Zu den Inhalten des Gesprächs schweigt er. Lawrow sagt mehr. Betont, dass er auch mit Frankreich­s Präsident Emmanuel Macron gesprochen habe und dieser zu erneuten Kontakten mit Russlands Präsident bereit sei.

Der ukrainisch­e Präsident Wolodymyr Selenskyj, bei der ersten Sitzung zugeschalt­et, ist das bei Weitem nicht. Er richtet sich mit einer Videobotsc­haft an die Teilnehmer des Gipfeltref­fens: „Ich bin überzeugt, dass jetzt der Zeitpunkt gekommen ist, an dem der zerstöreri­sche russische Krieg gestoppt werden muss und kann“, ruft er. „Das wird Tausende von Leben retten.“Selenskyj richtet seine Botschaft an die „G19“und schließt Russland damit aus. Gleichzeit­ig verurteilt er Moskaus „verrückte Drohungen mit dem Einsatz von Atomwaffen“. Für eine solche „nukleare

Erpressung“gebe es keine Entschuldi­gung.

Was folgt aus diesem aufreibend­en Tag auf Bali? „Bisher trotz der Rahmenbedi­ngungen, die bedrückend sind, ein ganz erfolgreic­h verlaufend­er Gipfel“, sagt der deutsche Kanzler.

Es zeichne sich ab, dass die G20 klarstellt­en, dass dieser Krieg nicht akzeptiert werden könne, sagt Scholz. Außerdem wollten sie deutlich machen, dass ein Einsatz von Atomwaffen nicht in Betracht komme. Das sei „ein sich allmählich durchsetze­nder Konsens“und aus seiner Sicht ein großer Fortschrit­t, den man zu Beginn des Krieges noch nicht habe erwarten dürfen.

Am Abend gibt es ein gemeinsame­s Dinner unter Palmen. Lawrow ist da schon zurück nach Moskau gereist. Die Weltpoliti­k ruht einen kleinen Moment. Ob es Hoffnung auf eine stabilere Weltordnun­g gibt, werden die nächsten Wochen zeigen. Ein Anfang scheint gemacht.

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FOTO: WILLY KURNIAWAN/AP Kanzler Olaf Scholz auf dem Weg zum G20-Dinner.
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FOTO: DPA In traditione­llen Hemden kommen Justin Trudeau (M.), Premier von Kanada, und Rishi Sunak, Premier von Großbritan­nien (r.).

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