Rheinische Post Hilden

Abschied von der Telefonzel­le

Das Handy hat die früher wichtigen Münzfernsp­recher überflüssi­g gemacht. Nach 142 Jahren sind die öffentlich­en Kommunikat­ionsgeräte in Deutschlan­d ab Januar endgültig Geschichte. Zeit zum Schwelgen in Erinnerung­en.

- VON GREGOR THOLL

BONN (dpa) Für die Generation Smartphone ist es kaum vorstellba­r: Wer auf Reisen ist oder in der Stadt oder auf dem Land unterwegs, muss erst einmal eine Telefonzel­le suchen, um mit den Liebsten zu sprechen oder andere wichtige Dinge zu klären. Bald nun ist es in Deutschlan­d völlig aus mit den Telefonen im öffentlich­en Raum, die vom technische­n Fortschrit­t vollends überholt worden sind.

Öffentlich­e Fernsprech­er, das waren enge Häuschen, in denen es unangenehm roch, oft geradezu stank – nach modrigem Telefonbuc­hpapier, nach Schweiß, Zigaretten­qualm, gar Urin. Manchmal fiel auch das Münzgeld durch den Apparat oder es neigte sich viel zu rasch dem Ende – und vor der Tür warteten ungeduldig Mitbürger. Das alles sind Erinnerung­en aus einer längst vergangene­n Zeit. Den meisten Leuten, die jünger als 30 Jahre sind, sind sie fremd.

Am 21. November wird an den bundesweit noch rund 12.000 verblieben­en Fernsprech­ern die Münzzahlun­g „deaktivier­t“, wie die Telekom in Bonn mitteilt. „Ab Ende Januar wird dann auch die Zahlungsfu­nktion mittels Telefonkar­ten und somit der gesamte Telekommun­ikationsdi­enst an den Telefonsäu­len beziehungs­weise -häuschen eingestell­t.“Es ist nach 142 Jahren das Ende einer Ära. Begonnen hatte sie 1881 in Berlin mit dem ersten „Fernsprech­kiosk“.

Früher stachen Deutschlan­ds gelbe Telefonzel­len von der Bundespost (die es von 1947 bis 1994 gab) aus dem Stadt- oder Landschaft­sbild heraus. Der Höhepunkt ihrer Zahl war Mitte der 1990er-Jahre erreicht, als allein die Telekom (als Nachfolger­in der Bundespost) mehr als 160.000 Telefone betrieb, die nicht nur an Einkaufsst­raßen oder an Bahnhöfen standen, sondern auch in reinen Wohngebiet­en oder am Waldrand. Jahrzehnte­lang stand „Fasse dich kurz!“als Aufforderu­ng an den Häuschen, ergänzt oft durch den Hinweis „Nimm Rücksicht auf Wartende“. In der DDR war dies noch länger der Fall, weil dort das private Festnetzte­lefon weniger schnell zum Massenphän­omen wurde.

So wie das Handy für viele die Fotokamera, den Wecker und einige andere Extra-Geräte überflüssi­g machte, so ließ das Mobiltelef­on auch das festinstal­lierte Telefon in der Öffentlich­keit obsolet werden. Bis die letzten Telefon-Stelen endgültig abgebaut sind, wird wohl das Jahr 2025 angebroche­n sein, wie es von der Telekom heißt. In Absprache mit den Gemeinden will das Unternehme­n rund 3000 der letzten 12.000 Standorte ohne Telefonief­unktion weiter nutzen. „Sie baut die Standorte mit sogenannte­n Small Cells um. Das sind kleine Antennen, die Mobilfunks­ignale verstärken“, wird angekündig­t.

Zuletzt standen die sogenannte­n Basistelef­one und Stelen eigentlich nur noch an belebten Bahnhöfen, Flughäfen oder auf Messegelän­den. Wirtschaft­lich rentabel waren die Säulen längst nicht mehr. Außerdem sind sie laut Telekom Stromfress­er: „Im Schnitt sind es zwischen 500 und 1250 Kilowattst­unden im Jahr.“Seit der Änderung des Telekommun­ikationsge­setzes Ende 2021 gebe es zudem keine „Verpflicht­ung zum Betrieb öffentlich­er Telefone“mehr. Selbst für Notrufe seien sie irrelevant. Auch da habe der Mobilfunk übernommen.

In unzähligen Filmen und Fernsehpro­duktionen spielt die Telefonzel­le, manchmal auch nur Telefonsäu­le, eine Rolle. Öfter vor kam sie zum Beispiel in der 1970er-Jahre-Serie „Ein Herz und eine Seele“mit „Ekel Alfred“Tetzlaff. Auch 1998 in Tom Tykwers „Lola rennt“ist die Telefonzel­le bedeutend. In dem Actionthri­ller ruft der kriminelle Kurier Manni (Moritz Bleibtreu) sorgenvoll aus einer Berliner Telefonzel­le seine Freundin an, weil er 100.000 DMark

verloren hat. Er droht, in den folgenden 20 Minuten einen Supermarkt zu überfallen und Lola (Franka Potente) rennt los, um das Problem anders zu lösen.

Auch in Filmen aus anderen Ländern dienten Telefonzel­len als Drehort, zum Beispiel in Kultstreif­en wie „Fahrstuhl zum Schafott“(1958) mit Jeanne Moreau, „Dirty Harry“(1971) mit Clint Eastwood, „Matrix“(1999) mit Keanu Reeves und Carrie-Anne Moss oder „Nicht auflegen“(2002) mit Colin Farrell. Und manchmal waren sie sogar magisch, etwa in „Harry Potter und der Orden des Phönix“(2007), in dem ein typisches rotes Londoner Telefonhäu­schen als Eingang zum Zaubereimi­nisterium fungiert.

Besonders symbolisch setzte Altmeister Alfred Hitchcock die Telefonzel­le ein. Im 60 Jahre alten Horror-Klassiker „Die Vögel“schaut Tippi Hedren als Melanie Daniels anfangs auf gefiederte Tierchen in einem Käfig. Später ist sie im Sturm mordlustig­er Vögel in einer Telefonzel­le gefangen – wie in einem Käfig. Nur knapp kann sich Hedrens Figur hinaus und in ein Haus retten, bevor die Scheiben der Telefonzel­le nach Sturzfluga­ttacken der Vögel zu Bruch gehen.

Auch wenn Telefonhäu­schen und -zellen verschwund­en sind aus dem Straßenbil­d: Ältere haben noch viele Erinnerung­en an sie. Sie wissen noch, wie aufwendig es sein konnte, sich zum Beispiel aus dem Urlaub zu melden, und zu sagen, man sei gut angekommen, was heute nur eine SMS oder Whatsapp-Nachricht wäre. Nostalgike­r können in Frankfurt am Main im Museum für Kommunikat­ion weit mehr als 50 Objekte rund um die öffentlich­e Telefonie ansehen.

Zahlreiche umfunktion­ierte Telefonzel­len – sei es als Bücherschr­ank, Eiskiosk, Mini-Tonstudio oder gar Duschkabin­e – sind deutschlan­dweit im Einsatz. Ausrangier­te Telefonzel­len gibt es etwa bei Ebay oder auch bei der Telekom selbst zu kaufen. Eine Telekom-Sprecherin sagt, es gebe ein zentrales Lager in der Nähe von Potsdam. Die gelben Zellen von einst seien längst ausverkauf­t, einige der etwa 300 Kilogramm schweren Grau-MagentaFar­benen gebe es noch zur Selbstabho­lung. Preis: ungefähr 500 Euro.

„Fasse dich kurz! Nimm Rücksicht auf Wartende“

Hinweis an Telefonzel­len

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