Erst arbeitslos, dann überschuldet
Der Jobverlust ist der häufigste Grund dafür, dass Menschen in Deutschland in Not geraten.
DÜSSELDORF Verbraucherschützer warnen regelmäßig davor, dass man den Dispositionskredit für die Kontoüberziehung bei Banken und Sparkassen möglichst nicht in Anspruch nehmen sollte. Der im Volksmund „Dispo“genannte Kredit, bei dem die Geldhäuser aktuell Zinsen von fast bis zu 20 Prozent verlangen, ist eine teure Form, sich kurzzeitig Geld zu leihen.
Dass fast jede(r) vierte Deutsche das trotzdem zuletzt getan hat, wie die Auskunftei Schufa jetzt berichtet, zeigt, wie groß die Not der Verbraucherinnen und Verbraucher in manchen Fällen durch die aktuelle Energiekrise und die enorm hohen Inflationsraten geworden ist. Etwa 28 Prozent der von der Schufa befragten 1000 Personen haben zuletzt die Zahlung von Rechnungen hinausgezögert – mitunter auch über die vom Verkäufer oder Handwerker gewährte Zahlungsfrist hinaus. Jeder Zweite hat im vergangenen Halbjahr auf Ersparnisse zurückgegriffen; ein Drittel aller Befragten geht davon aus, in nächster Zeit mit dem Einkommen nicht mehr auszukommen. Genau deshalb sind die sinkenden Überschuldungszahlen, die die Neusser Auskunftei Creditreform am Dienstag vorgelegt hat, noch längst kein Grund zur Erleichterung. „Die guten Zahlen sind trügerisch“, so Patrik-Ludwig Hantzsch, Leiter der Abteilung Wirtschaftsforschung bei Creditreform, die den neuen Schuldenatlas mit den Markt- und Geodatenexperten der Neusser Firma Microm erstellt hat.
Hantzschs Skepsis scheint berechtigt. Denn der Kostenhammer kommt für viele ja erst noch. Mit der nächsten Gasrechnung, mit der nächsten Nebenkostenabrechnung, im schlimmsten Fall mit der Pleite des Arbeitgebers, mit der dann auch der Job weg wäre. In der Pandemie konnten viele Deutsche noch fleißig Geld beiseitelegen. Doch in den vergangenen zwei Jahren ist der Anteil jener, die regelmäßig sparen konnten, von 70 auf 50 Prozent gesunken. „Dabei gerät auch zunehmend die Mitte der Gesellschaft unter Druck“, erklärt Creditreform. Am häufigsten trifft die Überschuldung die 30- bis 39-Jährigen, also jene Altersgruppe, aus der viele noch in der Aufbauphase sind, die sich ein Haus gebaut oder gekauft haben und deren Schuldenlast deshalb ohnehin schon hoch ist. Zwar ist die Zahl dort wie in anderen Altersgruppen gesunken.
Doch noch immer trifft es bei den Erwachsenen zwischen 30 und 39 fast jede(n) Siebte(n) über 18 Jahren. Am geringsten ist die Quote bei den über 70-Jährigen (etwas mehr als drei Prozent) und den unter 30-Jährigen (rund 6,6 Prozent).
Nach wie vor ist Arbeitslosigkeit in Deutschland der häufigste Grund für die Überschuldung. Genauer gesagt, in etwa 1,5 Millionen Fällen. Wer seinen Job verliert, dessen Einkommen sinkt deutlich, da fallen die aktuell hohen Kosten für Energie und Lebensmittel noch stärker ins Gewicht. Gleich danach kommen als Gründe Trennung, Scheidung
und Tod. Wenn sich zwei Menschen trennen, wird’s vor allem für jene schwierig, die in der Partnerschaft das kleinere Einkommen hatten. Und wer den anderen oder die andere bei einer gemeinsam angeschafften Immobilie auszahlt, für den wird der Spielraum auch kleiner. Wie häufig für diejenigen, deren Mann oder Frau stirbt.
Diese beiden Gründe, dazu Erkrankungen und Unfallfolgen, eine unwirtschaftliche Haushaltsführung, eine gescheiterte Existenzgründung und ein längerfristig niedriges Einkommen: Diese Punkte machen zusammen etwa 85 Prozent aller Überschuldungsfälle aus. Den „schleichenden Einstieg in eine Überschuldungsphase“bildet nach Creditreform-Einschätzung häufig „irrationales Konsumverhalten“, ein Synonym für schlechte Haushaltsführung. Ein Phänomen, bei dem keineswegs immer menschliche Tragödien ausschlaggebend sind, sondern mitunter schlichtweg die Neigung, mehr Geld auszugeben als man einnimmt. Auch solche Fälle gibt es nach Erfahrung der Experten immer wieder.
„Die guten Zahlen sind trügerisch“Patrik-Ludwig-Hantzsch Creditreform