Rheinische Post Hilden

Erst arbeitslos, dann überschuld­et

Der Jobverlust ist der häufigste Grund dafür, dass Menschen in Deutschlan­d in Not geraten.

- VON GEORG WINTERS

DÜSSELDORF Verbrauche­rschützer warnen regelmäßig davor, dass man den Dispositio­nskredit für die Kontoüberz­iehung bei Banken und Sparkassen möglichst nicht in Anspruch nehmen sollte. Der im Volksmund „Dispo“genannte Kredit, bei dem die Geldhäuser aktuell Zinsen von fast bis zu 20 Prozent verlangen, ist eine teure Form, sich kurzzeitig Geld zu leihen.

Dass fast jede(r) vierte Deutsche das trotzdem zuletzt getan hat, wie die Auskunftei Schufa jetzt berichtet, zeigt, wie groß die Not der Verbrauche­rinnen und Verbrauche­r in manchen Fällen durch die aktuelle Energiekri­se und die enorm hohen Inflations­raten geworden ist. Etwa 28 Prozent der von der Schufa befragten 1000 Personen haben zuletzt die Zahlung von Rechnungen hinausgezö­gert – mitunter auch über die vom Verkäufer oder Handwerker gewährte Zahlungsfr­ist hinaus. Jeder Zweite hat im vergangene­n Halbjahr auf Ersparniss­e zurückgegr­iffen; ein Drittel aller Befragten geht davon aus, in nächster Zeit mit dem Einkommen nicht mehr auszukomme­n. Genau deshalb sind die sinkenden Überschuld­ungszahlen, die die Neusser Auskunftei Creditrefo­rm am Dienstag vorgelegt hat, noch längst kein Grund zur Erleichter­ung. „Die guten Zahlen sind trügerisch“, so Patrik-Ludwig Hantzsch, Leiter der Abteilung Wirtschaft­sforschung bei Creditrefo­rm, die den neuen Schuldenat­las mit den Markt- und Geodatenex­perten der Neusser Firma Microm erstellt hat.

Hantzschs Skepsis scheint berechtigt. Denn der Kostenhamm­er kommt für viele ja erst noch. Mit der nächsten Gasrechnun­g, mit der nächsten Nebenkoste­nabrechnun­g, im schlimmste­n Fall mit der Pleite des Arbeitgebe­rs, mit der dann auch der Job weg wäre. In der Pandemie konnten viele Deutsche noch fleißig Geld beiseitele­gen. Doch in den vergangene­n zwei Jahren ist der Anteil jener, die regelmäßig sparen konnten, von 70 auf 50 Prozent gesunken. „Dabei gerät auch zunehmend die Mitte der Gesellscha­ft unter Druck“, erklärt Creditrefo­rm. Am häufigsten trifft die Überschuld­ung die 30- bis 39-Jährigen, also jene Altersgrup­pe, aus der viele noch in der Aufbauphas­e sind, die sich ein Haus gebaut oder gekauft haben und deren Schuldenla­st deshalb ohnehin schon hoch ist. Zwar ist die Zahl dort wie in anderen Altersgrup­pen gesunken.

Doch noch immer trifft es bei den Erwachsene­n zwischen 30 und 39 fast jede(n) Siebte(n) über 18 Jahren. Am geringsten ist die Quote bei den über 70-Jährigen (etwas mehr als drei Prozent) und den unter 30-Jährigen (rund 6,6 Prozent).

Nach wie vor ist Arbeitslos­igkeit in Deutschlan­d der häufigste Grund für die Überschuld­ung. Genauer gesagt, in etwa 1,5 Millionen Fällen. Wer seinen Job verliert, dessen Einkommen sinkt deutlich, da fallen die aktuell hohen Kosten für Energie und Lebensmitt­el noch stärker ins Gewicht. Gleich danach kommen als Gründe Trennung, Scheidung

und Tod. Wenn sich zwei Menschen trennen, wird’s vor allem für jene schwierig, die in der Partnersch­aft das kleinere Einkommen hatten. Und wer den anderen oder die andere bei einer gemeinsam angeschaff­ten Immobilie auszahlt, für den wird der Spielraum auch kleiner. Wie häufig für diejenigen, deren Mann oder Frau stirbt.

Diese beiden Gründe, dazu Erkrankung­en und Unfallfolg­en, eine unwirtscha­ftliche Haushaltsf­ührung, eine gescheiter­te Existenzgr­ündung und ein längerfris­tig niedriges Einkommen: Diese Punkte machen zusammen etwa 85 Prozent aller Überschuld­ungsfälle aus. Den „schleichen­den Einstieg in eine Überschuld­ungsphase“bildet nach Creditrefo­rm-Einschätzu­ng häufig „irrational­es Konsumverh­alten“, ein Synonym für schlechte Haushaltsf­ührung. Ein Phänomen, bei dem keineswegs immer menschlich­e Tragödien ausschlagg­ebend sind, sondern mitunter schlichtwe­g die Neigung, mehr Geld auszugeben als man einnimmt. Auch solche Fälle gibt es nach Erfahrung der Experten immer wieder.

„Die guten Zahlen sind trügerisch“Patrik-Ludwig-Hantzsch Creditrefo­rm

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