Rheinische Post Hilden

Tröten statt zwitschern

Der Kurznachri­chtendiens­t Twitter steht seit der Übernahme durch Elon Musk stark in der Kritik. Aber es gibt Alternativ­en.

- VON JANA MARQUARDT

DÜSSELDORF Seit Elon Musk Twitter für 44 Milliarden US-Dollar gekauft hat, herrscht Chaos beim Kurznachri­chtendiens­t. Erst entließ Musk rund die Hälfte der Mitarbeite­r, dann nahm er einige Kündigunge­n wieder zurück und sagte, sie seien versehentl­ich verschickt worden. Er führte ein Abo-Modell für den sogenannte­n blauen Haken ein, mit dem jeder Nutzer für acht Dollar im Monat seinen Account verifizier­en konnte. Doch eine Identitäts­prüfung gab es nicht. Das Modell wurde in der vergangene­n Woche gestoppt, weil viele damit Fake-Accounts von Prominente­n angelegt hatten – auch von Musk selbst. Daraufhin kündigte er an, Accounts sperren zu lassen, die andere Konten nachahmen, ohne das als Parodie zu kennzeichn­en.

1,3 Millionen Nutzer sollen sich laut einem Bericht der unabhängig­en Plattform „Bot Sentinel“abgemeldet haben, seit Musk den

Kurznachri­chtendiens­t übernahm. Darunter sind auch Prominente wie Schauspiel­erin Amber Heard und die Drehbuchau­torin Shonda Rhimes („Grey’s Anatomy“). Währenddes­sen berichtet Twitter selbst in einer Mail an seine Werbekunde­n, dass die Nutzerzahl­en auf einem Allzeithoc­h seien. Die „Financial Times“, der die E-Mail vorliegt, berichtet für 2022 von einem Zuwachs von rund 17 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Doch die Werbekunde­n reagieren gerade sehr zurückhalt­end, viele haben ihre Anzeigen ausgesetzt, andere wollen gar keine mehr dort schalten. Twitter steckt in einer Krise. Gleichzeit­ig fragen sich Nutzer, welche Alternativ­en es gibt. Und die sind – vor allem in Deutschlan­d – überschaub­ar.

Mastodon Der Mikroblogg­ingDienst gilt als die prominente­ste Alternativ­e zu Twitter. Seit Ende Oktober haben sich laut Gründer Eugen Rochko rund 500.000 neue Nutzer angemeldet. Insgesamt sollen es jetzt mehr als eine Million sein. Zum Vergleich: Im Januar 2022 waren laut Unternehme­nsangaben rund 436 Millionen Nutzer auf Twitter unterwegs. Bei Mastodon zwitschert man nicht, sondern trötet – passend zum Namensgebe­r Mastodon, einem längst ausgestorb­enen Rüsseltier, das als Vorgänger der Elefanten gilt. Die Tweets heißen „Toots“(„Tröt“) und sind – anders als bei Twitter – chronologi­sch geordnet. Das Netzwerk ist dezentral aufgebaut, besteht also aus verschiede­nen Servern. Werbung gibt es keine.

„Es bleibt abzuwarten, ob sich Mastodon durchsetzt“, sagt der Wirtschaft­shistorike­r und Digitalexp­erte Klemens Skibicki. Noch könne man nicht von der großen Abwanderun­g bei Twitter sprechen. Der Kurznachri­chtendiens­t habe sich als Nachrichte­nticker durchgeset­zt. Er sei einfach zu bedienen, und sehr viele Prominente setzten dort noch immer ihre Tweets ab. Solange das so sei, habe Mastodon mit seiner komplizier­ter anmutenden Oberfläche wenig Chancen.

Clubhouse 2021 verzeichne­te die Audio-Plattform Clubhouse einen sehr großen Zulauf. Binnen weniger Monate explodiert­en die Nutzerzahl­en, prominente Politiker wie Bundesfina­nzminister Christian Lindner (FDP) und Dorothee Bär (CSU) beteiligte­n sich an zahlreiche­n Podiumsdis­kussionen innerhalb der App. Doch wenige Monate später war das auch schon wieder vorbei. „Ich glaube nicht, dass der Hype um Clubhouse wieder aufkommt“, sagt Skibicki. Generell funktionie­re das reine Audio-Format zwar, auch Twitter und LinkedIn hätten es schließlic­h erfolgreic­h nachgeahmt, doch es sei keine echte Alternativ­e zu Twitter. Dafür werde es zu schnell langweilig, wenn gerade niemand Bekanntes in einem der verschiede­nen virtuellen Räume referiere.

Tumblr Auf der 2007 gegründete­n Plattform können Nutzer eigene

Blogs erstellen mit Texten, Fotos, Videos und Links. Vor allem junge Menschen nutzen sie – im Schnitt sind sie zwischen 13 und 22 Jahre alt. Und obwohl Tumblr eher zu den antiquiert­en Plattforme­n zählt, ist die Community noch immer sehr groß: Im Juni 2020 gab es rund 502 Millionen Blogs weltweit. „Die großen Tumblr-Zeiten sind aber vorbei“, sagt Skibicki. Für ein Nischenpub­likum sei die Blogging-Plattform zwar nach wie vor interessan­t, doch den ganz großen Ansturm erwartet der Experte nicht mehr.

T2 Der ehemalige Twitter-Mitarbeite­r Gabor Cselle hat angekündig­t, mit T2 eine Alternativ­e zum Kurznachri­chtendiens­t zu schaffen. Er halte es für sinnvoller, eine optimierte Version aufzubauen als die Probleme innerhalb von Twitter zu lösen, sagte er der Nachrichte­nagentur AP. Wann T2 auf den Markt kommt und ob sie für deutsche Nutzer eine Alternativ­e darstellt, bleibt abzuwarten.

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