Rheinische Post Hilden

Wenn sich der Körper zu schnell entwickelt

Medikament­e, die den Eintritt in die Pubertät verzögern, sind umstritten. Wissenswer­tes über Wirkung, Nutzen und Risiken.

- VON REGINA HARTLEB

Was sind Pubertätsb­locker? Wie der Name besagt: Solche Mittel verzögern bei Heranwachs­enden die Pubertät, also den Eintritt in die Geschlecht­sreife. Diese wird normalerwe­ise von einem Teil des Zwischenhi­rns gesteuert, dem Hypothalam­us. Er produziert Botenstoff­e, die sogenannte­n Gonadotrop­ine, die in Hoden und Eierstöcke­n die Produktion der weiblichen und männlichen Geschlecht­shormone ankurbeln.

Wie wirken sie? Pubertätsb­locker sind die hormonelle­n Gegenspiel­er der Gonadotrop­ine. Sie blockieren deren Ausschüttu­ng im Hypothalam­us. Das führt dazu, dass etwa bei einem Jungen die Hoden kein Testostero­n mehr produziere­n, Stimmbruch und Bartwuchs bleiben aus. Bei Mädchen wird in den Eierstöcke­n die Ausschüttu­ng von Östrogen blockiert.

Wann werden Pubertätsb­locker verabreich­t? Es gibt grob eingeteilt drei Anwendungs­gebiete für derartige Medikament­e. Wenn etwa ein Kind oder Jugendlich­er sich im eigenen Geschlecht unwohl fühlt, bezeichnen Ärzte dies als Genderdysp­horie.

Damit solche Heranwachs­ende die Pubertät nicht in einem Geschlecht durchleben müssen, dem sie sich nicht zugehörig fühlen, können Ärzte Pubertätsb­locker verschreib­en. Sie sollten dann vor dem Beginn der Pubertät verabreich­t werden.

Ein weiteres Anwendungs­gebiet ist eine Krankheit namens Pubertas praecox. Betroffene Kinder kommen schon extrem früh, teils deutlich vor dem achten Lebensjahr, in die Pubertät. Dies kann große psychische und auch physische Belastunge­n für die Mädchen und Jungen mit sich bringen. In solchen Fällen können Pubertätsb­locker vorschnell­e Reifungsun­d Wachstumsp­rozesse stoppen. Und auch bei bestimmten Tumorerkra­nkungen können die Gegenspiel­er der Gonadotrop­ine zum Einsatz kommen, etwa bei hormonempf­indlichen Krebsarten, wie sie in der Gynäkologi­e vorkommen. Die Verabreich­ung der Pubertätsb­locker geschieht per Injektion.

Wer darf sie verabreich­en? Die Gabe von Pubertätsb­lockern ist vor allem bei der Klärung des unsicheren Geschlecht­s immer eine Gemeinscha­ftsentsche­idung von Medizinern verschiede­ner Diszipline­n in enger Absprache mit den betroffene­n Kindern und ihren Eltern: Kinder- und Jugendpsyc­hiater und Fachärzte für pädiatrisc­he Endokrinol­ogie sollten hier mit im Boot sein. Der Entscheidu­ngsprozess kann mitunter sehr lange dauern. Bei der Pubertas praecox greift die Leitlinie der Deutschen Gesellscha­ft für Kinderendo­krinologie und -diabetolog­ie (DGKED). Demnach können hier die Diagnose und gegebenenf­alls die Verabreich­ung durch einen pädiatrisc­hen Endokrinol­ogen oder eine Endokrinol­ogin erfolgen.

Welche Nebenwirku­ngen und Spätfolgen sind möglich? Bislang ist wenig darüber bekannt, was Pubertätsb­locker auf lange Sicht betrachtet mit dem Körper Heranwachs­ender machen. Das liegt unter anderem daran, dass etwa toxikologi­sche Studien an Kindern nahezu unmöglich sind. „Zu Nebenwirku­ngen und Spätfolgen gerade bei der Anwendung bei Kindern liegen aus medizinisc­her Sicht keine ausreichen­den Daten vor“, sagt Martin Korte, Professor für Neurobiolo­gie an der Technische­n Universitä­t Braunschwe­ig. Er fordert dringend weitere Studien vor allem auch zu den langfristi­gen Folgen speziell bei Kindern und Jugendlich­en. Ebenfalls Bedenken äußert Alexander Korte, Kinder- und Jugendpsyc­hiater an der Ludwig-Maximilian­s-Universitä­t München. Gegenüber dem Redaktions­netzwerk Deutschlan­d erklärte er: „Zu der Behandlung von Kindern mit vorzeitige­r Pubertät mit Pubertätsb­lockern gibt es eine Fallstudie, wonach sich der IQ der Betroffene­n messbar verschlech­tert hat. Das war auch bei Beendung der Behandlung nicht reversibel.“

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FOTO: IMAGO Wenn sich ein Kind mit dem eigenen Geschlecht unwohl fühlt, setzen Ärzte Pubertätsb­locker ein.

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