Rheinische Post Hilden

Hexenjagd auf Forscherin­nen

Hasserfüll­te Wutbürger fantasiere­n von der Rückkehr ins Mittelalte­r.

- GABRIELE PRADEL

Anfang November fand in Köln ein Symposium statt, das sich mit den Lehren aus der Covid-19-Pandemie beschäftig­te. Unter den geladenen Gästen befanden sich Mitglieder des Expertenra­ts und Wissenscha­ffende, die sich während der Pandemie der gesellscha­ftlichen Aufklärung gewidmet haben. Ein Thema war der Widerstand bestimmter Bevölkerun­gsgruppen gegen die implementi­erten Schutzmaßn­ahmen und deren Hass auf jene Wissenscha­ffenden, die sich für den Infektions­schutz einzusetze­n wagten. In der Anonymität des Netzes war der Hasser erfinderis­ch, wenn es um das Töten von Wissenscha­ffenden ging. Das angedrohte Tötungspot­pourri reichte vom Erhängen über das Enthaupten bis zum Tätowieren mit der Bohrmaschi­ne.

Eine Tötungsart war jedoch den Wissenscha­ftlerinnen vorbehalte­n: das Verbrennen auf dem Scheiterha­ufen. Während der Hexenverfo­lgung des

16. Jahrhunder­ts diente der Scheiterha­ufen dazu, eigenständ­ige, freigeisti­ge Frauen zu vernichten. Sie entsprache­n nicht dem gängigen Frauenbild der damaligen Zeit und waren daher offensicht­lich vom Teufel besessen. Die Angst vor dem Verbrennen hielt andere Frauen zudem davon ab aufzubegeh­ren.

500 Jahre später ist der Scheiterha­ufen immer noch ein Mittel des Terrors gegen die Frau und wird nun benutzt, um Wissenscha­ftlerinnen mundtot zu machen. Ein einziger Impfgegner protestier­te vor dem Kölner Konferenzg­ebäude und verschwand zügig, nachdem er erkannt hatte, dass seine Kumpel ihn allein gelassen hatten. Der deutsche Wutbürger ist inzwischen weitergezo­gen und hat sich andere Hassobjekt­e gesucht. Der Hasser macht nur einen geringen Prozentsat­z unserer Gesellscha­ft aus, doch der Schaden, den er anrichtet, ist gravierend. In der nächsten Krise werden sich Expertinne­n gründlich überlegen, ob sie sich tatsächlic­h für die gesellscha­ftliche Aufklärung einsetzen wollen, denn sie laufen Gefahr, Opfer der modernen Hexenjagd zu werden. Gewonnen hat dann der deutsche Hasser. Was folgt, ist die Rückkehr ins Mittelalte­r.

Unsere Autorin ist Professori­n für Infektions­biologie an der RWTH Aachen. Sie wechselt sich hier mit der Philosophi­n Maria-Sibylla Lotter ab.

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