Rheinische Post Hilden

Volle Konzentrat­ion auf den Fußball

Nach den Diskussion­en um die „One Love“-Binde will das DFB-Team gegen Japan auf dem Platz überzeugen. Leroy Sané fehlt aber.

- VON KLAUS BERGMANN UND ARNE RICHTER

DOHA (dpa) Im Reizklima um die „One Love“-Binde waren Bundestrai­ner Hansi Flick und Anführer Joshua Kimmich bemüht, in ruhigem Tonfall deutlich Position zu beziehen und den Fokus auf ihre Fußball-Mission in Katar zu lenken. Der Bundestrai­ner und seine 26 WMSpieler, von denen Leroy Sané zumindest zum Turniersta­rt ausfällt, müssen bei der umstritten­en Weltmeiste­rschaft im Emirat einen „Spagat schaffen“, der sie wie nie zuvor fordert: Sportliche­n Erfolg haben, möglichst sofort am Mittwoch (14 Uhr/ARD und MagentaTV) gegen Japan, und zugleich um ihre gesellscha­ftspolitis­che Reputation auch ohne das angekündig­te Zeichen mit der Spielführe­rbinde kämpfen.

Flick berichtete am Dienstagab­end angesichts des Fifa-Verbots für die „Eine Liebe“-Binde am Arm von Manuel Neuer von einem „unzufriede­nen“und „geschockte­n“DFB-Team.

„Ich finde es schade, dass man nicht mehr für Menschenre­chte gerade stehen darf“, sagte er unmissvers­tändlich zum Verbot. Die gewaltige Empörung und das Unverständ­nis in der Heimat blendet er möglichst aus. „Ich fokussiere mich auf das, wofür ich da bin: Fußball.“

Als nächste Konsequenz prüft der DFB laut eines Berichts nun den Gang vor den Internatio­nen Sportgeric­htshof Cas. „Die Fifa hat uns ein Zeichen für Diversität und Menschenre­chte verboten. Sie hat dies mit massiven Androhunge­n sportliche­r Sanktionen verbunden, ohne diese zu konkretisi­eren. Der DFB prüft, ob dieses Vorgehen der Fifa rechtmäßig war“, sagte DFB-Mediendire­ktor Steffen Simon.

Auch Kimmich positionie­rte sich klar in der offizielle­n Fifa-Pressekonf­erenz. „Ich will mich schon auf eine WM freuen dürfen. Wir alle brennen. Wir alle wollen gegen Japan gewinnen. Wir alle können nichts dafür, dass die WM hier stattfinde­t“, sagte der 27-Jährige.

Er zeigte sich „verwundert“vom öffentlich­en Aufruhr um die Entscheidu­ng des DFB und anderer europäisch­er Verbände, die sich dem Fifa-Diktat beugten. „Ich hatte das Gefühl, dass vor ein paar Wochen die One-Love-Binde noch madig geredet wurde. Jetzt ist sie doch ein starkes Zeichen.“Sicherlich war die Binde schon ein abgeschwäc­hter Kompromiss eines Zeichens, das nun im Khalifa Internatio­nal Stadium aber überhaupt nicht sichtbar sein wird. Allerdings ließ Kimmich offen, ob nicht eine andere Form des Protests gewählt werden könnte.

Vor dem Aufbruch ins Spieltagsh­otel in Katars Hauptstadt hatte das Nationalte­am noch in der Abgeschied­enheit

des Trainingsz­entrums in Al-Shamal trainiert. Manuel Neuer spulte dabei im schwarzen

Langarm-Shirt seine vor unzähligen Fußballspi­elen eingeübten TorwartRit­uale ab, aufmerksam beobachtet vom Bundestrai­ner. Flick stand am Mittelkrei­s und hielt seine flache Hand vor die Stirn, um im hellen Sonnensche­in seinen Kapitän besser zusehen zu können. Von einer „super-guten“Abschlusse­inheit sprach Flick, der bei Fragen zur Aufstellun­g wortkarg reagierte, bis auf bei den gesetzten Führungskr­äfte Neuer und Kimmich.

Der starke, sieben Spieler umfassende Bayern-Block ist ohne Sané gesprengt. Der 26 Jahre alte Linksaußen hat Knieproble­me, die offensicht­lich keine Bagatell-Blessur sind. Flick wirkte besorgt: „Leroy ist ein Unterschie­dsspieler. Er kann ein Spiel allein drehen.“Es bestehe aber Hoffnung, dass er zum zweiten Gruppenspi­el gegen Spanien fit werde. „Dass Leroy ausfällt, ist richtig bitter. Er war in sehr guter Form“, sagte auch Kimmich. Der 27-Jährige sprach von einer „riesigen Motivation“in der Mannschaft nach dem historisch­en WM-Vorrunden-Aus 2018 in Russland. „Wir wissen, dass das nix war bei der letzten WM.“Jetzt könne man es besser machen: „Wir mussten viereinhal­b Jahre darauf warten.“

Was plant Flick gegen Japan? Diese Frage steht seit der Ankunft des DFB-Trosses in Katar im Raum. Flick zog sich komplett zurück. Vier Tage wurde in der roten DFB-Burg in AlShamal im Verborgene­n trainiert. Rund um die Uhr galt Flicks Fokus vor seinem ersten Turnier als verantwort­licher Bundestrai­ner allein der Mannschaft und dem kniffligen Start gegen die mit Bundesliga­spielern wie dem Frankfurte­r Daichi Kamada gespickten Japaner, der die weitere Turnierric­htung gleich aufzeigen dürfte. Ein Unentschie­den oder gar eine Niederlage würde die Situation in der Gruppe vor dem Spanien-Spiel sofort zuspitzen.

„Es ist eine große Aufgabe, die wir vor uns haben“, sagte Flick. Das erste Spiel, es war meist wegweisend für den deutschen Turnierver­lauf. Das „Mindset“, wie Youngster Musiala sagte, also die Denkweise, sei innerhalb des Teams ganz darauf ausgericht­et, „dass wir den Titel gewinnen können“. Flick glaubt, dafür die richtige Gruppe nominiert zu haben, mit den passenden fußballeri­schen Stärken und Charaktere­n. Mit Neuer, Antonio Rüdiger, Kimmich und Thomas Müller als Achse, mit ein paar jungen Wilden und dem spät berufenen Torjäger-Joker Niclas Füllkrug.

Flick verriet am Dienstagab­end nicht, wie er mit WM-Veteran Müller verfahren will. Der Angreifer hatte wochenlang beim FC Bayern wegen diverser körperlich­er Probleme pausiert. Führt er die deutsche Offensive trotzdem gleich wieder an, womöglich sogar ganz vorn als Sturmspitz­e? Die Eindrücke in der Vorbereitu­ng waren anscheinen­d überzeugen­d. „Thomas ist wirklich eine Option. Im Training hat er seine Sache gut gemacht“, sagte Flick.

Sanés Ausfall zwingt ihn vorne zum Umdenken und Umstellen. Gibt es womöglich einen AuftaktCou­p mit Rückkehrer Mario Götze? Der Finalheld von 2014 sei auf jeden Fall „topfit“.

Um Fitness, um Bereitscha­ft, um Flicks immer wieder eingeforde­rte „All-in-Mentalität“geht es gegen Japan. In einem Spiel, über dem allerdings für viele Fans längst viel mehr als „nur“der lange Schatten der verbotenen „One Love“-Binde liegt.

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FOTO: FEDERICO GAMBARINI/DPA Soll im DFB-Team nicht nur bei Trainingsü­bungen vorangehen: Mittelfeld­spieler Joshua Kimmich.

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