„Bei Kassandra war ich etwas zu nahe dran“
Er ist seit 45 Jahren Polizist. 40 Jahre davon tat er im Kreis Mettmann Dienst. Seit drei Jahrzehnten ist er das Gesicht der Behörde. Nun geht Ulrich Löhe (62) in Pension.
KREIS METTMANN So eine Gretchenfrage kann eigentlich nur die Tochter stellen. „Willst Du Deine Polizei wirklich alleine lassen?“Ulrich Löhe hat nur kurz über die Antwort nachgedacht. „Ja, ich glaube, sie kommen ohne mich zurecht.“Das muss sich erst noch zeigen. Wenn der 62-jährige Polizeihauptkommissar Ulrich Löhe jetzt in den Ruhestand übertritt, war er 45 Jahre lang Polizist, davon 40 Jahre lang im Kreis Mettmann tätig. Seit knapp drei Jahrzehnten ist er das Gesicht der Kreispolizei – als Pressesprecher und jetzt Leiter der Pressestelle. Wann immer etwas Schlimmes oder Schönes mit Polizeibeteiligung passierte – Ulrich Löhe hat es der Öffentlichkeit erklärt. Ohne Schnörkel und geradeheraus.
Uniform, Dienstwaffe und –marke werden zurückbleiben. Die Erinnerungen nimmt Ulrich Löhe mit. Wenn er nun mit allen besten Wünschen, Sekt und Laudatio in einen neuen Lebensabschnitt verabschiedet wird, blitzt zugleich die Erinnerung an Adalbert Bach auf. Am 10. Januar 1993 wurde eine Tankstelle an der Wilhelmstraße in Wülfrath von bewaffneten Räubern überfallen. Damals war Löhe seit drei Jahren Pressesprecher der Kreispolizei – eine Zusatzaufgabe neben der Verantwortung für den Personen- und Objektschutz und die Einsatzplanung der Leitstelle.
„Ich wollte mich in der Leitstelle eigentlich nur kurz über den Stand der Dinge informieren.“Löhe sah einen freien Sprecherplatz am Funkgerät und half den Kollegen. „Dort habe ich den letzten Funkspruch von Adalbert Bach entgegen genommen.“Der erst 32 Jahre alte Diensthundeführer aus Mettmann teilte mit: „Ich glaube, die Täter sind vor mir.“Dann fielen Schüsse, die den Vater von zwei kleinen Kindern so schwer verletzten, dass Adalbert Bach am nächsten Tag starb. Die Täter wurden später gefasst und verurteilt. Zusammen mit Radio Neandertal und der Aktion
Lichtblicke sammelten Beamte um Ulrich Löhe Geld, mit dem Ausbildungsversicherungen für die beiden Kinder abgeschlossen werden konnten. Denn sie mussten ohne ihren Vater aufwachsen. „Der Stadt
Mettmann bin ich dankbar, dass der Platz vor unserem Dienstgebäude in Mettmann nach Adalbert Bach benannt worden ist.“
16 Jahre später kam die Gewalt noch näher an Ulrich Löhe und seine Familie heran. Er wohnt in Velbert Neviges. Sein Opa war dort Bürgermeister. „An einem der letzten Septembertage im Jahr 2009 kreiste plötzlich ein Hubschrauber über dem Talkessel. Immer mehr Fahrzeuge mit Blaulichtern fuhren am Haus von Ulrich Löhe vorbei. „Natürlich habe ich auf der Leitstelle angerufen und gefragt, was los ist.“Die erst neun Jahre alte Kassandra wurde vermisst. Und es war wie so oft in den zurückliegenden Jahrzehnten: Von jetzt auf gleich war Ulrich Löhe im Dienst. Abends, nachts, an Wochenenden.
„Heute würde ich die Pressearbeit jemandem aus meinem Team übergeben, denn ich war zu nahe dran“, sagt Löhe selbstkritisch. Der Sammelpunkt für die Suchmannschaften der Polizei war die Sporthalle des Nevigeser Turnvereins, NTV – für den Löhe noch heute ehrenamtlich die Pressearbeit macht. Durch einen Zufall wird das misshandelte und schwer verletzte Mädchen in einem Gully-Schacht hinter der Turnhalle gefunden. Der erst 14 Jahre alte Täter hatte Kassandra geschlagen, getreten und dann blutüberströmt dort hineingeworfen; den Schacht mit dem Gully-Deckel wieder verschlossen. Als ein Diensthundeführer mit seinem vierbeinigen Kollegen kurz vor
Dienstantritt hinter der Turnhalle Gassi gehen wollte, zog der Polizeihund plötzlich zu dem Gully. Kassandra überlebte. Als Täter wurde ein 14-Jähriger festgenommen. „Als die Journalisten aus ganz Deutschland mitbekamen, dass ich da wohne, wollten sie immer mehr von mir wissen“, sagt Löhe. Auch deshalb wäre – rückblickend – etwas mehr Distanz gut gewesen. „Aber damals gab es nur mich als Pressesprecher.“
Der Polizeihauptkommissar hat sich immer als Dienstleister für die Journalisten gesehen. Das haben nicht alle bei der Polizei auf Anhieb verstanden. „Meine und unsere schärfsten Kritiker saßen im eigenen Haus.“Geduldig hat Löhe auch ihnen immer wieder erklärt, wie Journalisten arbeiten und warum sie manche Fragen stellen müssen. Ob beim Massengentest im Fall der ermordeten
Stewardess Claudia Knapp aus Velbert, zur Eröffnung der Zweiradsaison im Café Schräglage, mitten im Neandertal, beim Wechsel der Polizeiuniform von Grün auf Blau oder bei der Aktion „Riegel vor“gegen Einbruchdiebstahl auf den Marktplätzen des Kreises: Ulrich Löhe war präsent.
Es ging immer auch darum, den Bürgern zu erklären, wie die Polizei arbeitet. Mittlerweile heißen die Formate für das offene Gespräch mit dem Bürger „Coffee with a Cop“und die Pressestelle der Kreispolizei Mettmann steht in puncto Followern auf den Social Media-Kanälen auf Platz sieben der 47 nordrhein-westfälischen Dienststellen. Gestartet war die Kreispolizei bei Facebook, Twitter und Co als vorletzte Polizeibehörde in NRW. „Ich wollte zunächst Mitarbeiter haben, die sich mit Social Media auskennen.“Mittlerweile bewegt sich Ulrich Löhe auch virtuell sehr souverän; nur manchmal hilft der Seitenblick auf einen Zettel. „Füttere nicht den Troll!“, steht da. Ein Mitarbeiter hat ihm den zugeschoben, als Sprache und Falschnachrichten und Anklagen gegen die Polizei wieder mal überhandnahmen.
Was bleibt? „Eine tolle Zeit“, sagt Ulrich Löhe, der am 3. Oktober 1977 seinen Polizeidienst begann. Die Küstenregionen haben an ihm einen Bootsbauer verloren – das war beim jungen Ulli eigentlich der Berufswunsch. Aber dann hatte das Arbeitsamt keine Unterlagen über diese Ausbildung und ein Nachbar war Einstellungsberater bei der Polizei. So ist Ulrich Löhe zu den Ordnungshütern in Uniform gekommen: „Damals habe ich das für einen Werbeslogan gehalten – aber es war tatsächlich kein Tag wie der andere.“
„Ja, ich glaube, sie kommen ohne mich zurecht“Ulich Löhe Polizeikommissar