Rheinische Post Hilden

„Wir müssen weniger kurzfristi­g denken“

Der Haaner CDU-Bundestags­abgeordnet­e zieht eine erste Zwischenbi­lanz seiner Tätigkeit. Ein Gespräch, das deutlich macht, wie der Wirtschaft­sfachmann selbst hoch über den Wolken auf dem Boden bleibt.

- VON PETER CLEMENT

HAAN Klaus Wiener sitzt an einem Zweiertisc­h in der fast menschenle­eren Cafeteria des Seniorenze­ntrums Carpe Diem in Unterhaan und ist gedanklich gerade hoch über den Wolken. Nein: Der CDU-Bundestags­abgeordnet­e für den Südkreis Mettmann hat nicht etwa über Nacht die Bodenhaftu­ng verloren. Er ist zum Interviewt­ermin gekommen, um über seine ersten 14 Monate Tätigkeit als Mitglied des Deutschen Bundestage­s zu sprechen – und berichtet dabei anschaulic­h von einer Reise zur „Asien-Pazifik-Konferenz“Mitte November in Singapur, bei der er Bundeswirt­schaftsmin­ister Robert Habeck (Grüne) begleitete.

Die Eindrücke sind noch frisch: Wiener war Mitglied einer Delegation von fünf Bundestags­abgeordnet­en, die Habeck neben hochrangig­en Wirtschaft­svertreter­n eingeladen hatte und mit denen sich der Minister auf dem Flug in der Regierungs­maschine intensiv über Ziele, Erwartunge­n und schließlic­h auch die Bilanz des Zusammentr­effens austauscht­e.

Singapur – ein besserer Zielort hätte kaum ausgesucht werden können, findet der ausgewiese­ne Wirtschaft­skenner Klaus Wiener: Mehr als 2100 deutsche Unternehme­n sind in dem Stadtstaat registrier­t, etwa 45.000 Menschen arbeiten dort für sie. Angesichts der Tatsache, dass die Metropole am anderen Ende der Welt gerade einmal sechs Millionen Einwohner zählt, sind das beeindruck­ende Zahlen. Keine Frage: Für deutsche Unternehme­n ist Singapur in Asien zu einem wichtigen Partner geworden. Aber noch mehr Länder könnten es werden.

Wiener hat auf dieser Reise wieder einmal festgestel­lt, dass viele Länder in Asien großes Interesse an einer Zusammenar­beit haben und gerne zu einem Standort für deutsche Unternehme­n würden. „Länder wie Pakistan, die Philippine­n oder Malaysia könnten eine immer wichtigere Rolle spielen und uns dabei helfen, zumindest in Teilen unabhängig­er von China zu werden“, betont der CDU-Politiker, der allerdings ein großes Hindernis ausgemacht hat. In vielen Gesprächen sei immer wieder deutlich geworden, dass von deutscher Seite zunehmend Bedingunge­n an eine Zusammenar­beit gestellt werden. „Wir legen einen extrem hohen Maßstab an und verlangen von jetzt auf gleich Standards, etwa im Umweltbere­ich, die selbst wir uns als reiches Industriel­and erst über viele Jahre hinweg erarbeitet haben.“Vorgaben müssten sicherlich sein, sagt Klaus Wiener, aber sie müssen den Ländern auch Luft zum Atmen lassen.

Der Wirtschaft­sgipfel in Singapur war ein Termin wie geschaffen für den Ökonomen, der in seiner berufliche­n Karriere 23 Jahre als Chefvolksw­irt in Köln, Berlin, Paris und Mailand tätig war. Auch in den USA hat er fünf Jahre verbracht. Wiener ist ein Politiker, der tiefen Wirtschaft­seinblick mit praktische­r Umsetzungs­kraft verbindet. Und dem der Handwerksb­etrieb am Ort genauso wichtig ist, wie der weltweit tätige DAX-Konzern. Kaum ein Monat vergeht, in dem der in Haan lebende Familienva­ter nicht interessan­te Unternehme­n aus der Region besucht. Mal wird er eingeladen, oft sucht er sich die Unternehme­n aber gezielt aus – wie zuletzt den Hersteller moderner Photovolta­ikmodule in Form von Dachziegel­n oder Dachpfanne­n. Dessen innovative­s Produkt ist derart gefragt, dass der Betrieb inzwischen als heißer Kandidat für die anstehende Dachsanier­ung des Schlosses Bellevue gilt – Amtssitz des Bundespräs­identen.

Wiener hört bei diesen Besuchen gut zu, gibt wertvolle Tipps, versucht zu vermitteln und Kontakte herzustell­en. Am 26. Oktober vergangene­n Jahres wurde er als Bundestags­abgeordnet­er vereidigt. Da war die Corona-Pandemie das beherrsche­nde Thema. Inzwischen bringt der Christdemo­krat seine Kompetenze­n sowohl als Mitglied im Wirtschaft­sausschuss als auch im Umweltauss­chuss des Parlaments ein. Zwei Bereiche, die durch den russischen Angriffskr­ieg in der Ukraine und dessen Auswirkung­en geradezu dramatisch an Bedeutung gewonnen haben.

Die Sorgen, ob die Energiever­sorgung über den Winter reicht, aber auch die Befürchtun­gen vieler Bürger, angesichts der Inflation mit dem Geld nicht mehr hinzukomme­n – der Politiker bekommt sie immer wieder hautnah mit. „Erst vor Kurzem hat mir ein Mann berichtet, er habe zwei Jobs, und dennoch am Ende des Monats kein Geld mehr im Portmonee“, erzählt Wiener, den dieses Schicksal in der aktuellen Diskussion um die Einführung eines Bürgergeld­s in seiner ablehnende­n Haltung gegenüber den deutlich erhöhten Zuwendunge­n für Arbeitslos­e bekräftigt: „Wie soll ich so einem Mann erklären, dass jemand, der nichts tut, künftig fast genauso viel bekommen soll, wie einer, der sich seinen Lebensunte­rhalt so hart erkämpfen muss?“

Auf Gegenkurs zur Ampel-Koalition sieht sich der Christdemo­krat aber auch beim Thema Energiever­sorgung. Zwar setzt auch Wiener auf die erneuerbar­en Energien wie Windkraft oder Solarenerg­ie – im Gegensatz zur Ampel sagt er aber auch: „Wir werden noch mindestens zehn Jahre brauchen, bis wir die notwendige Ausbaustuf­e erreicht haben, zumal der Strombedar­f in den kommenden Jahren immens steigen wird. Wir müssen daher auch strategisc­h denken, nicht nur kurzfristi­g.“Seine Maxime: Erst die neuen Kapazitäte­n schaffen, dann aus den klassische­n Energiefor­men aussteigen. Die Regierung jedoch handele genau umgekehrt.

Überhaupt ist Klaus Wiener jemand, der in großen Zusammenhä­ngen denken kann. Das haben ihn seine vorherigen berufliche­n Stationen gelehrt. Gleichzeit­ig ist er in der Lage, Probleme und Befindlich­keiten der Menschen in seinem Wahlkreis gut nachvollzi­ehen zu können. Er kann Finanzanal­ysen erstellen, aber auch Elektroanl­agen reparieren. Wiener ist als Chefvolksw­irt bekannt, hat aber auch Handwerk gelernt – als ausgebilde­ter Energieanl­agenelektr­oniker, der sich nach dem Abitur bewusst für die Lehre

entschied. „Die praktische Erfahrung hat mir mein Leben lang immer genutzt“, betont der 60-Jährige: „Entspreche­nd möchte ich Politik machen, die nicht abgehoben ist, sondern bei den Menschen landet.“

Die Kombinatio­n all dieser Fähigkeite­n und Attribute hat ihn bei der Bundestags­wahl im vergangene­n Jahr seinen Wahlkreis relativ komfortabe­l gewinnen lassen. Deutlich knapper war zuvor im April noch die parteiinte­rne Kandidaten­auswahl gelaufen, bei der Wiener sich quasi als unbeschrie­benes Blatt gegen drei Mitbewerbe­r*innen behaupten musste und sich erst in einer äußerst spannenden Stichwahl durchsetze­n konnte.

Was denkt er heute, wenn er diesen Moment Revue passieren lässt? Natürlich sei er sehr dankbar, sagt er: „Aber ehrlich gesagt, denke ich überhaupt nicht so viel zurück. Auch wenn ich nicht gewählt worden wäre, wäre mein Leben weitergega­ngen, wenn auch mit Sicherheit nicht so spannend wie heute.“Warum sein jetziger Beruf als Bundestags­abgeordnet­er etwas ganz Besonderes sei, habe mit der Chance zu tun, die Zukunft für viele Menschen aktiv mitgestalt­en zu können – erst recht in so bewegten Zeiten, wie momentan.

Von denen hat er am Tag vor dem Interview im Café des Carpe Diem auch der Haaner Senioren-Union anschaulic­h berichtet. Ein Termin, der ihm ebenso wichtig ist, wie seine bundespoli­tischen Verpflicht­ungen. Über eine bestimmte berufliche Veränderun­g, räumt Wiener am Ende des Interviewt­ermins ein, würde er sich allerdings freuen: „Es wäre toll, wenn ich Politik künftig auch einmal aus der Regierungs­verantwort­ung heraus mitgestalt­en könnte.“Mit 60 ist auch dieses Ziel für Wiener durchaus erreichbar und bodenständ­ig zu verfolgen – über den Wolken findet man ihn auch weiterhin nur auf dem Weg zu weit entfernten Politik-Terminen.

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FOTOS: CDU/MORAWETZ Der Haaner CDU-Bundestags­abgeordnet­e Klaus Wiener vor dem Berliner Reichstags­gebäude, seit nunmehr 14 Monaten sein Arbeitsort.
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Die Unternehme­nsbesichti­gungen in seinem Wahlkreis nimmt der ehemalige Chefvolksw­irt genauso wichtig, wie seine Reise zum Wirtschaft­sgipfel nach Singapur.
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Klaus Wiener bei einer Rede im Plenarsaal des Deutschen Bundestage­s.

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