„Wir müssen weniger kurzfristig denken“
Der Haaner CDU-Bundestagsabgeordnete zieht eine erste Zwischenbilanz seiner Tätigkeit. Ein Gespräch, das deutlich macht, wie der Wirtschaftsfachmann selbst hoch über den Wolken auf dem Boden bleibt.
HAAN Klaus Wiener sitzt an einem Zweiertisch in der fast menschenleeren Cafeteria des Seniorenzentrums Carpe Diem in Unterhaan und ist gedanklich gerade hoch über den Wolken. Nein: Der CDU-Bundestagsabgeordnete für den Südkreis Mettmann hat nicht etwa über Nacht die Bodenhaftung verloren. Er ist zum Interviewtermin gekommen, um über seine ersten 14 Monate Tätigkeit als Mitglied des Deutschen Bundestages zu sprechen – und berichtet dabei anschaulich von einer Reise zur „Asien-Pazifik-Konferenz“Mitte November in Singapur, bei der er Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) begleitete.
Die Eindrücke sind noch frisch: Wiener war Mitglied einer Delegation von fünf Bundestagsabgeordneten, die Habeck neben hochrangigen Wirtschaftsvertretern eingeladen hatte und mit denen sich der Minister auf dem Flug in der Regierungsmaschine intensiv über Ziele, Erwartungen und schließlich auch die Bilanz des Zusammentreffens austauschte.
Singapur – ein besserer Zielort hätte kaum ausgesucht werden können, findet der ausgewiesene Wirtschaftskenner Klaus Wiener: Mehr als 2100 deutsche Unternehmen sind in dem Stadtstaat registriert, etwa 45.000 Menschen arbeiten dort für sie. Angesichts der Tatsache, dass die Metropole am anderen Ende der Welt gerade einmal sechs Millionen Einwohner zählt, sind das beeindruckende Zahlen. Keine Frage: Für deutsche Unternehmen ist Singapur in Asien zu einem wichtigen Partner geworden. Aber noch mehr Länder könnten es werden.
Wiener hat auf dieser Reise wieder einmal festgestellt, dass viele Länder in Asien großes Interesse an einer Zusammenarbeit haben und gerne zu einem Standort für deutsche Unternehmen würden. „Länder wie Pakistan, die Philippinen oder Malaysia könnten eine immer wichtigere Rolle spielen und uns dabei helfen, zumindest in Teilen unabhängiger von China zu werden“, betont der CDU-Politiker, der allerdings ein großes Hindernis ausgemacht hat. In vielen Gesprächen sei immer wieder deutlich geworden, dass von deutscher Seite zunehmend Bedingungen an eine Zusammenarbeit gestellt werden. „Wir legen einen extrem hohen Maßstab an und verlangen von jetzt auf gleich Standards, etwa im Umweltbereich, die selbst wir uns als reiches Industrieland erst über viele Jahre hinweg erarbeitet haben.“Vorgaben müssten sicherlich sein, sagt Klaus Wiener, aber sie müssen den Ländern auch Luft zum Atmen lassen.
Der Wirtschaftsgipfel in Singapur war ein Termin wie geschaffen für den Ökonomen, der in seiner beruflichen Karriere 23 Jahre als Chefvolkswirt in Köln, Berlin, Paris und Mailand tätig war. Auch in den USA hat er fünf Jahre verbracht. Wiener ist ein Politiker, der tiefen Wirtschaftseinblick mit praktischer Umsetzungskraft verbindet. Und dem der Handwerksbetrieb am Ort genauso wichtig ist, wie der weltweit tätige DAX-Konzern. Kaum ein Monat vergeht, in dem der in Haan lebende Familienvater nicht interessante Unternehmen aus der Region besucht. Mal wird er eingeladen, oft sucht er sich die Unternehmen aber gezielt aus – wie zuletzt den Hersteller moderner Photovoltaikmodule in Form von Dachziegeln oder Dachpfannen. Dessen innovatives Produkt ist derart gefragt, dass der Betrieb inzwischen als heißer Kandidat für die anstehende Dachsanierung des Schlosses Bellevue gilt – Amtssitz des Bundespräsidenten.
Wiener hört bei diesen Besuchen gut zu, gibt wertvolle Tipps, versucht zu vermitteln und Kontakte herzustellen. Am 26. Oktober vergangenen Jahres wurde er als Bundestagsabgeordneter vereidigt. Da war die Corona-Pandemie das beherrschende Thema. Inzwischen bringt der Christdemokrat seine Kompetenzen sowohl als Mitglied im Wirtschaftsausschuss als auch im Umweltausschuss des Parlaments ein. Zwei Bereiche, die durch den russischen Angriffskrieg in der Ukraine und dessen Auswirkungen geradezu dramatisch an Bedeutung gewonnen haben.
Die Sorgen, ob die Energieversorgung über den Winter reicht, aber auch die Befürchtungen vieler Bürger, angesichts der Inflation mit dem Geld nicht mehr hinzukommen – der Politiker bekommt sie immer wieder hautnah mit. „Erst vor Kurzem hat mir ein Mann berichtet, er habe zwei Jobs, und dennoch am Ende des Monats kein Geld mehr im Portmonee“, erzählt Wiener, den dieses Schicksal in der aktuellen Diskussion um die Einführung eines Bürgergelds in seiner ablehnenden Haltung gegenüber den deutlich erhöhten Zuwendungen für Arbeitslose bekräftigt: „Wie soll ich so einem Mann erklären, dass jemand, der nichts tut, künftig fast genauso viel bekommen soll, wie einer, der sich seinen Lebensunterhalt so hart erkämpfen muss?“
Auf Gegenkurs zur Ampel-Koalition sieht sich der Christdemokrat aber auch beim Thema Energieversorgung. Zwar setzt auch Wiener auf die erneuerbaren Energien wie Windkraft oder Solarenergie – im Gegensatz zur Ampel sagt er aber auch: „Wir werden noch mindestens zehn Jahre brauchen, bis wir die notwendige Ausbaustufe erreicht haben, zumal der Strombedarf in den kommenden Jahren immens steigen wird. Wir müssen daher auch strategisch denken, nicht nur kurzfristig.“Seine Maxime: Erst die neuen Kapazitäten schaffen, dann aus den klassischen Energieformen aussteigen. Die Regierung jedoch handele genau umgekehrt.
Überhaupt ist Klaus Wiener jemand, der in großen Zusammenhängen denken kann. Das haben ihn seine vorherigen beruflichen Stationen gelehrt. Gleichzeitig ist er in der Lage, Probleme und Befindlichkeiten der Menschen in seinem Wahlkreis gut nachvollziehen zu können. Er kann Finanzanalysen erstellen, aber auch Elektroanlagen reparieren. Wiener ist als Chefvolkswirt bekannt, hat aber auch Handwerk gelernt – als ausgebildeter Energieanlagenelektroniker, der sich nach dem Abitur bewusst für die Lehre
entschied. „Die praktische Erfahrung hat mir mein Leben lang immer genutzt“, betont der 60-Jährige: „Entsprechend möchte ich Politik machen, die nicht abgehoben ist, sondern bei den Menschen landet.“
Die Kombination all dieser Fähigkeiten und Attribute hat ihn bei der Bundestagswahl im vergangenen Jahr seinen Wahlkreis relativ komfortabel gewinnen lassen. Deutlich knapper war zuvor im April noch die parteiinterne Kandidatenauswahl gelaufen, bei der Wiener sich quasi als unbeschriebenes Blatt gegen drei Mitbewerber*innen behaupten musste und sich erst in einer äußerst spannenden Stichwahl durchsetzen konnte.
Was denkt er heute, wenn er diesen Moment Revue passieren lässt? Natürlich sei er sehr dankbar, sagt er: „Aber ehrlich gesagt, denke ich überhaupt nicht so viel zurück. Auch wenn ich nicht gewählt worden wäre, wäre mein Leben weitergegangen, wenn auch mit Sicherheit nicht so spannend wie heute.“Warum sein jetziger Beruf als Bundestagsabgeordneter etwas ganz Besonderes sei, habe mit der Chance zu tun, die Zukunft für viele Menschen aktiv mitgestalten zu können – erst recht in so bewegten Zeiten, wie momentan.
Von denen hat er am Tag vor dem Interview im Café des Carpe Diem auch der Haaner Senioren-Union anschaulich berichtet. Ein Termin, der ihm ebenso wichtig ist, wie seine bundespolitischen Verpflichtungen. Über eine bestimmte berufliche Veränderung, räumt Wiener am Ende des Interviewtermins ein, würde er sich allerdings freuen: „Es wäre toll, wenn ich Politik künftig auch einmal aus der Regierungsverantwortung heraus mitgestalten könnte.“Mit 60 ist auch dieses Ziel für Wiener durchaus erreichbar und bodenständig zu verfolgen – über den Wolken findet man ihn auch weiterhin nur auf dem Weg zu weit entfernten Politik-Terminen.