Rheinische Post Hilden

Junge Menschen im Krisenmodu­s

Ein Viertel der 14- bis 29-Jährigen hat Probleme mit der psychische­n Gesundheit, zehn Prozent haben Suizidgeda­nken. Es sind alarmieren­de Ergebnisse einer Studie, die zeigen: Generation Z braucht mehr Unterstütz­ung.

- VON JANA MARQUARDT

Die junge Generation hat zuletzt häufiger für negative Schlagzeil­en gesorgt. Sie mache nur noch Dienst nach Vorschrift, hieß es. „Quiet quitting“(dt. stille Kündigung) nennt sich das Phänomen, das auf sozialen Medien wie Tiktok trendete und zu dem sich viele bekannten. Vertreter der Generation Z klebten sich fürs Klima am Boden fest und wurden dafür stark kritisiert, als ein Feuerwehrw­agen in Berlin wegen einer solchen Aktion im Stau stand und nicht rechtzeiti­g zur Unfallstel­le kam. Eine Frau starb – und wäre auch gestorben, wenn die Feuerwehr rechtzeiti­g angekommen wäre. Das ist inzwischen bewiesen, doch der Vorfall haftet der Generation und speziell den Klimaaktiv­isten bis heute an. Und sie könne nicht mit Geld umgehen, mache Schulden bei Anbietern wie Klarna, wo man alles auf Pump kaufen kann.

Doch welche Sorgen die jungen Menschen umtreiben – das dringt selten ins öffentlich­e Bewusstsei­n. Mit der neuen Trendstudi­e „Jugend in Deutschlan­d“hat sich das zumindest kurzzeitig geändert. Die Ergebnisse der repräsenta­tiven Erhebung, für die die Jugendfors­cher Simon Schnetzer und Klaus Hurrelmann mehr als 1000 junge Menschen befragt haben, sind erschrecke­nd: Ein Viertel der 14- bis 29-Jährigen ist unzufriede­n mit der psychische­n Gesundheit, 16 Prozent fühlen sich hilflos, zehn Prozent berichten sogar von Suizidgeda­nken. Diese Werte sind seit der letzten Trendstudi­e im Mai 2022 gestiegen, bei einem erschrecke­nd großen Anteil haben sich die psychische­n Sorgen verfestigt und verdichtet. Die Studienaut­oren schlagen Alarm: „Es ist nicht zu übersehen: Bei vielen jungen Menschen sind die Kräfte der psychische­n Abwehr verbraucht, und die Risikofakt­oren mehren sich. Wir werten das als dringendes Warnsignal.“

Die Ergebnisse sind angesichts der vielfältig­en Krisen nicht überrasche­nd. In den Hochzeiten der Pandemie lebten junge Menschen in der ständigen Angst, ihre Eltern oder Großeltern mit einem potenziell tödlichen Virus anzustecke­n, konnten ihre Freunde nur virtuell treffen und mussten auf prägende Erfahrunge­n wie erste Partys, Sportturni­ere oder Konzerte verzichten. Dann, rechtzeiti­g zum ersten ausgelasse­nen Karneval seit zwei Jahren, griff Russland die Ukraine an, und die Freude über das ausgelasse­ne Ereignis erlosch bei vielen.

Die Ängste, die dieser Krieg ausgelöst hat, sind verheerend. Seine Folgen beschäftig­en die junge Generation immens: Mehr als zwei Dritteln bereiten vor allem Inflation generell sowie die steigenden Energie- und Rohstoffpr­eise Sorgen. Etwas mehr als ein Drittel lebt in Angst vor dem Krieg, 28 Prozent befürchten, dass er sich auf Deutschlan­d ausweitet, und 14 Prozent, dass es Atomwolken geben könnte.

Für viele zeichnet sich auch das Ende der Wohlstands­jahre in Deutschlan­d schon ab. So empfinden sie die Lebensqual­ität, die wirtschaft­liche Lage, den gesellscha­ftlichen Zusammenha­lt und die politische­n Verhältnis­se deutlich schlechter als noch vor sechs Monaten. Und der Blick in die Zukunft ist düsterer geworden: Um Inflation (71 Prozent), Krieg in Europa (64 Prozent) und Klimawande­l (55 Prozent) sorgen sich die meisten jungen Menschen, gefolgt von Wirtschaft­skrise (54 Prozent), Knappheit von Energie (49 Prozent) und Altersarmu­t (43 Prozent).

Doch die Situation belastet die 14- bis 29-Jährigen nicht nur psychisch, sondern auch finanziell. Drei Viertel gaben an, dass sie vor allem die Preissteig­erungen bei Nahrungsmi­tteln und die hohen

Strom- und Gaspreise hart treffen. Und auch die gestiegene­n Kosten für Mobilität und Verkehrsmi­ttel (41 Prozent), Miete (37 Prozent) und Freizeitak­tivitäten (34 Prozent) wirken sich negativ auf den Geldbeutel der Jungen aus. Das führt sogar dazu, dass jeder Fünfte der 14- bis 29-Jährigen Schulden hat – was wiederum die Psyche noch stärker belastet. „Schulden können ein Gefühl der Perspektiv­losigkeit auslösen, das sich tief in die Seele eingräbt“, sagt Georg Romer, Direktor der Klinik für Kinderund Jugendpsyc­hiatrie am Universitä­tsklinikum Münster. Vor allem junge Menschen, die derartige Krisen zum ersten Mal bewältigte­n, verlören so ihren zuversicht­lichen Blick auf die Zukunft.

Romer plädiert dafür, die Zukunftsän­gste der jungen Menschen anzuerkenn­en und offen mit ihnen darüber zu reden. Erwachsene sollten sich den jungen Menschen in ihrem Umfeld offen mitteilen: Inwiefern leiden sie selbst unter den Krisen dieser Welt? Welche Ängste haben sie? Und was tun sie, um trotzdem positiv in die Zukunft zu blicken? Davon könnten die Jungen lernen. Und es lade sie ein, von sich selbst zu erzählen und führe bestenfall­s dazu, dass sie ihre Ängste als weniger überwältig­end wahrnähmen. Offene Gespräche unter Vertrauten seien entscheide­nd und milderten möglicherw­eise die Furcht vor der Zukunft.

Vor dem Hintergrun­d dieser großen Krisen ist nicht verwunderl­ich, dass es vielen jungen Menschen psychisch schlecht geht. Natürlich kann nicht das Ziel sein, nur noch Dienst nach Vorschrift zu machen oder Schulden anzuhäufen, aber es wird verständli­cher, wenn man in den Blick nimmt, unter welchem Leidensdru­ck sie stehen. Der Austausch zwischen den Generation­en könnte helfen, diese Probleme in den Griff zu bekommen. So könnten auch neue Lösungen für die Zukunft entstehen. Denn eines ist sicher: Krisen bewältigen können wir nur als Gemeinscha­ft. Und nicht allein.

„Bei vielen jungen Menschen sind die Kräfte der psychische­n Abwehr verbraucht“Simon Schnetzer Jugendfors­cher

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