Tödlicher Angriff als Machtdemonstration
Ein 31-Jähriger steht in Köln wegen Mordes vor Gericht. Er soll mit Mitgliedern seiner Großfamilie einen 37-Jährigen attackiert haben.
KÖLN Die Videosequenz dauert keine zwei Minuten und lässt wohl niemanden kalt in Saal 112 des Kölner Landgerichts. Zu sehen sind etwa 30 junge Männer, die einen Autofahrer stoppen und aus seinem Wagen zerren, dann über ihn herfallen, auf ihn einprügeln, mit Messern zustechen. Der 37-Jährige bleibt bewegungslos auf der Straße liegen, die Täter laufen davon. Ein Zeuge kniet sich neben den Schwerverletzten, bleibt bei ihm, bis nach neun Minuten, die sich wie eine Ewigkeit anfühlen, die Polizei kommt. Hinten im Saal sitzen Verwandte und Freunde des Opfers, das die Tat nicht überlebt hat. Gestandene Männer, die hemmungslos weinen, als sie das Video sehen.
Angeklagt ist nun ein 31-Jähriger wegen gemeinschaftlichen Mordes. Halil H. soll zwar nicht aktiv beteiligt gewesen sein, sondern die Tat am 10. März dieses Jahres aus einigen Metern Entfernung verfolgt haben. Die Staatsanwaltschaft geht aber von einer klaren Mittäterschaft aus und wirft H. vor, mit seiner Familie beschlossen zu haben, den 37-jährigen Jona K. (Name geändert) allein wegen seiner Familienzugehörigkeit zu töten. Der mutmaßliche Lynchmord soll der schockierende Höhepunkt einer Fehde zwischen zwei Großfamilien gewesen sein. Der Mord wurde am helllichten Tag an einer belebten Straße im Kölner Stadtteil Höhenberg verübt. Auf dem Video ist zu sehen, wie kurz vor der Tat Mütter mit Kindern an der Hand und bepackt mit Einkaufstaschen am späteren Tatort vorbeigehen.
Halil H. ist von schmaler Statur, hat ein Tattoo am Hals und seitlich die Haare abrasiert. Er ist in Köln geboren, verheiratet und sitzt seit Ende April in Untersuchungshaft. Über seinen Verteidiger lässt er am ersten Prozesstag mitteilen, dass er sich „derzeit nicht äußern will“. Als das Video gezeigt wird, zeigt er keine Regung. Auch nicht, als ein Angehöriger des Opfers mit der Faust auf eine Ablage schlägt und ihm etwas zuruft.
Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass Videos, die der Bruder des Opfers in einem sozialen Netzwerk hochgeladen hatte, Anlass für den Mord waren. In den Videos soll der Bruder die Familie von Halil H. beleidigt und bedroht haben. Dafür wollte Halils Familie offenbar Rache nehmen. „Der Bruder war aber nicht greifbar“, sagt der Staatsanwalt. Also geriet Jona K. ins Visier der Familie. Es soll Halil H. und den anderen um eine Machtdemonstration gegangen sein, so die Anklage. Am Tattag passten die Männer das Auto ab, einer von ihnen sprach zunächst mit Jona K., der offenbar nichts Böses ahnend die Scheibe heruntergelassen hatte. „Er befürchtete nichts“, sagt der Staatsanwalt. Dann ging alles blitzschnell. Einer der Männer öffnete die Beifahrertür und zog den Autoschlüssel ab. Jona K. konnte nun weder die Scheibe hoch- noch mit dem Auto wegfahren. „Er war ihnen hilflos ausgeliefert“, heißt es in der Anklage. Mindestens 17 Mal wurde mit Messern auf ihn eingestochen, einer der Täter schlug mit einem Hammer zu. Sie ließen auch nicht von Jona K. ab, als der schon am Boden lag. Jona K. starb 18 Tage nach der Tat im Krankenhaus aufgrund multiplen Organversagens und schwerer Gehirnverletzungen.
Bei den Ermittlungen half das Video, das die komplette Tat zeigt. Es stammt aus der Überwachungskamera eines Cafés. Die Täter haben die Kamera offenbar nicht gesehen. Halil H.s Verteidiger versucht vor Gericht zu verhindern, dass die Aufnahmen im Saal gezeigt werden. Sie seien als Beweismittel nicht zulässig, weil sie aus einer privaten Videoüberwachung stammten, sagt er. Zudem würden die Persönlichkeitsrechte seines Mandanten verletzt. Das Gericht lehnt seinen Antrag ab. Auch private Videos seien vor Gericht als Beweismittel verwertbar, sagt die Vorsitzende.
Nach Angaben der Staatsanwaltschaft stehen in dem Verfahren Anklageerhebungen gegen zwei weitere Beteiligte kurz bevor. Die Ermittlungen richten sich insgesamt gegen etwa 30 Beteiligte. Die meisten von ihnen konnten aber abtauchen. „Nach einem Großteil wird international gefahndet“, sagt Oberstaatsanwalt Ulrich Bremer.
Geplant sind neun Verhandlungstage. Das Urteil wird am 22. Dezember erwartet.