Rheinische Post Hilden

Ärger um Andenken an Leo Meyer

Der Hildener hat im Ersten Weltkrieg in Belgien Hunderten Flüchtling­en geholfen und sie aus eigener Tasche mit Nahrung versorgt. Er soll einen Gedenkstel­e erhalten – doch nun hat die Stadt einen Stolperste­in ins Gespräch gebracht.

- VON TOBIAS DUPKE

HILDEN Therese Neuhaus ist sauer: „Ich finde es beschämend, dass man nun glaubt, das Thema ,Stele zur Ehrung von Leo Meyer‘ durch Verlegung eines Stolperste­ines erledigen zu können“, erklärt die Hildenerin. Sie kämpft seit Jahren dafür, dass Leo Meyers Geschichte in seiner Heimatstad­t nicht in Vergessenh­eit gerät. Und eigentlich war auch schon alles klar: An Leo Meyer sollte eine Stele erinnern, sie sollte im Bereich der Reformatio­nskirche aufgestell­t werden, das Presbyteri­um hatte bereits grünes Licht gegeben – der Künstler hat sogar bereits einen Entwurf der Stele vorgestell­t. Doch nun bringt die Verwaltung einen neuen Vorschlag ins Spiel: die Verlegung eines Stolperste­ins. Das soll an diesem Freitag, 25. November, ab 17 Uhr im Kultur- und Heimatauss­chuss, Heinrich-Strangmeie­r-Saal, Altes Helmholtz, Gerresheim­er Straße 20, diskutiert werden.

Leo Meyer (1891-1953) stammt aus einer wohlhabend­en jüdischen Kaufmannsf­amilie (Vieh- und Futtermitt­elhandel) in Hilden. Vier Jahre lang kämpft er im Ersten Weltkrieg als Soldat für Deutschlan­d. 1917 wird er Ortskomman­dant in Oost-Malle, einer Kleinstadt im besetzten Belgien. Dort leiden Hunderte von französisc­hen Flüchtling­en aus Lille große Not. Meyer hilft: Mehrfach lässt er heimlich Lebensmitt­el in ein Kloster schaffen, das die Spenden verteilt. Mehr noch: Er bittet seinen Vater um Geld. Dieser schickt ihm 5000 Goldmark, damals ein Vermögen. Er gibt das Geld der Oberin und bittet sie, damit die Flüchtling­e zu versorgen. Die Nonnen nennen ihn „le bon boche“, „der gute Deutsche“. In der Pogromnach­t am 9. November 1938 werden Leo Meyer und seine Familie Opfer

des Nazi-Mobs. Leo wird schwer verletzt, sein Vater Nathan stirbt einige Tage später an den Misshandlu­ngen. Anstifter der Mörderband­e ist der NS-Ortsgruppe­nleiter Heinrich Thiele – ein Nachbar. Leo Meyer flieht 1939 nach Belgien und bittet völlig mittellos im Kloster von Oost-Malle um Hilfe. Die Oberin erkennt „le bon boche“– und hilft. Als die Wehrmacht Belgien überfällt, wird Leo Meyer interniert. Ohne die Lebensmitt­elpakete von Oberin Beatrix wäre er dort verhungert. 1941 erhält Meyer „ErholungsU­rlaub“. Er kann sich bis Ende des Krieges verstecken. 1949 kehrt Meyer nach Hilden zurück, kämpft um Wiedergutm­achung. Nazi-Nachbar Thiele hatte sich die fünf Häuser der Meyers samt dem dazu gehörigen Land unter den Nagel gerissen. Gerichte sprechen Thiele frei. Leo Meyer findet keine Gerechtigk­eit und stirbt – krank und zermürbt – 1953 mit 58 Jahren.

Die Hildenerin Therese Neuhaus ist beeindruck­t von der „beispiello­sen Tat während des Ersten Weltkriege­s, als er in Malle Hunderte Menschenle­ben rettete“. Sie stellte einen Bürgerantr­ag, der Rat stimmte vor knapp drei Jahre zu. Und seitdem hat sich eine Menge getan, die Stele müsste nun eigentlich nur noch angefertig­t und aufgestell­t werden. „Inzwischen gab es jedoch eine Änderung der Vorgaben zur Verlegung von Stolperste­inen. Nach den letzten Planungen des Arbeitskre­ises soll Leo Meyer nun doch, genau wie seine Eltern, mit einem Stolperste­in gedacht werden“, erklärt die Stadt nun. Und „aufgrund dieser geänderten Erkenntnis­se bittet die Verwaltung um Entscheidu­ng, ob die Errichtung einer Stele weiter betrieben werden soll oder ob dem Rat der Stadt Hilden der Vorschlag zur Abänderung seines ursprüngli­chen Ratsbeschl­usses unterbreit­et werden soll.“

Therese Neuhaus ist erbost, dass die bereits gefällten politische­n Entscheidu­ngen durch diesen Tagesordnu­ngspunkt noch einmal zur Diskussion gestellt werden, und appelliert in einer E-Mail an die Ausschussm­itglieder: „Ich darf Sie herzlich bitten, in dieser Ausschusss­itzung weiterhin dafür zu sorgen, dass Leo Meyers beispielha­ftes Verhalten seine Würdigung durch Errichtung der Stele erfährt und der diesbezügl­ich Beschluss des Rates der Stadt Hilden vom 23. September 2020 umgesetzt wird.“

Es könne nicht sein, dass man nun, nachdem sich die Möglichkei­t ergibt, für Leo Meyer einen Stolperste­in zu verlegen, das vorbildhaf­te Verhalten des Leo Meyer nicht mehr für ehrenwert erachten möchte. „Leo Meyers Handeln im Ersten Weltkrieg war vorbildhaf­t für uns alle“, schreibt Therese Neuhaus.

In derselben Sitzung am Freitag diskutiere­n die Ausschussm­itglieder noch ein weiteres Mal über Leo Meyer – nur einen Tagesordnu­ngspunkt weiter soll über den Antrag der Bürgerakti­on gesprochen werden, die 5000 Euro für die Stele bereitstel­len möchte. „Um die Realisieru­ng zu beschleuni­gen“, wie es heißt.

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Das Buch über Leo Meyer ist im Droste-Verlag erschienen.

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