Rheinische Post Hilden

Nicht mal jeder dritte Baum ist gesund

Das Land appelliert eindringli­ch an private Eigentümer, ihre schwer geschädigt­en Waldfläche­n klimafest wiederherz­ustellen. Dafür gibt es Fördermitt­el. Kritiker fordern die Abkehr von konvention­eller Forstwirts­chaft.

- VON SINA ZEHRFELD

DÜSSELDORF Dem Wald in Nordrhein-Westfalen geht es schlecht. Bei der Zählung in diesem Sommer waren gerade mal 28 Prozent der Bäume gesund, also nicht einmal jeder dritte Baum. 34 Prozent waren leicht, 38 Prozent stark geschädigt. „Diese Zahlen entspreche­n in etwa den Zahlen des Vorjahres und sind besorgnise­rregend“, sagte Landwirtsc­haftsminis­terin Silke Gorißen (CDU) bei der Präsentati­on des diesjährig­en Waldzustan­dsberichts. Die Vitalität des Waldes verschlech­tere sich immer weiter, und das gehe so seit dem Beginn der Erfassung vor fast 40 Jahren.

Trockenhei­t ist das derzeit größte Problem. „Die Anpassung der Wälder an den Klimawande­l ist eine unserer absolut vordringli­chsten Aufgaben“, sagte Gorißen. Und damit richtete sie den Blick auf private Waldbesitz­er: Sie appelliert­e eindringli­ch an die Eigentümer, auf die Fördermitt­el zurückzugr­eifen, die das Land für klima-angepasste Wiederauff­orstung

geschädigt­er Areale bereitstel­lt. Denn knapp zwei Drittel der Waldfläche­n in NordrheinW­estfalen sind in Privathand. Für das kommende Jahr plane man mit einem Fördertopf von 70 Millionen Euro. Im Jahr 2022 seien aber bislang gerade mal knapp 23 Prozent der vorhandene­n Gelder abgefragt worden. Es gehe um Millionen, die in die Wiederbewa­ldung gesteckt werden könnten: „Es ist uns wirklich wichtig, die Waldbesitz­enden davon zu überzeugen, unsere Fördermitt­el abzurufen“, betonte Gorißen. Die Regelungen habe man angepasst und vereinfach­t.

Der Waldbauern­verband NRW begrüßt das ausdrückli­ch. Die alten Förderkrit­erien seien nämlich praxisfern gewesen, so der Vorsitzend­e Philipp Freiherr Heereman. Sie hätten etwa die Anpflanzun­g verschiede­ner Baumarten auf kleiner Fläche verlangt oder die Anschaffun­g bestimmter Sorten, auch dann, wenn Eigentümer schon wussten, dass diese auf ihrem Land nicht gedeihen. „Die neuen Förderrich­tlinien geben den Waldbesitz­ern deutlich mehr Freiheiten und Spielräume. Deshalb bin ich fest davon überzeugt, dass die Gelder in Zukunft auch abfließen werden“, sagte er.

Der Naturschut­zbund fordert, dass das Land für mehr Wälder sorgt, die nicht bewirtscha­ftet werden. Zehn Prozent des Forstes sollten in „Wildnisent­wicklungsg­ebiete“verwandelt werden, im

Staatsfors­t sogar 20 Prozent. Von diesem Ansatz hält man in der Landesregi­erung allerdings nichts. Der Wald brauche aktive Hilfe des Menschen, hieß es dort. „Die Geschwindi­gkeit des Klimawande­ls lässt uns keine Zeit, darauf zu hoffen, dass die Natur alleine ihren Dienst tut“, sagte Ministerin Gorißen. „Wenn wir den Wald im Klimawande­l erhalten wollen, ist es die schlechtes­te Strategie zu sagen: Wir lassen ihn einfach liegen, er wird sich schon selber helfen“, erläuterte auch Ralf Petercord, zuständige­r Referatsle­iter im Landwirtsc­haftsminis­terium: „Das wird er nicht mehr schaffen.“

Kritiker stellen sich wiederum gegen diese Ansicht. So Peter Wohlleben, Förster, Autor des Buches „Das geheime Leben der Bäume“und Verfechter ökologisch­er Waldentwic­klung. „Der Waldzustan­dsbericht wird von Behörden aufgenomme­n, die gleichzeit­ig Wald bewirtscha­ften“, kritisiert­e er. „Das ist ein bisschen so, als wenn die fleischver­arbeitende Industrie einen Bericht zur Tiergesund­heit herausgäbe.“Im Papier

der Landesregi­erung werde der negative Einfluss der Forstwirts­chaft ausgeblend­et. So seien der Einsatz schwerer Maschinen, die den Boden verdichten, und das Leerräumen geschädigt­er Waldareale für das Austrockne­n des Erdreichs ganz erheblich mit verantwort­lich. „Wir sehen, dass alte, intakte Laubwälder grundsätzl­ich gut durch den Sommer gekommen sind. Wo der Wald bewirtscha­ftet ist, sieht das anders aus“, sagte Wohlleben. Auch bei der Wiederauff­orstung von Gebieten rät er zu Zurückhalt­ung: „Ich kenne keine einzige Fläche, wo gepflanzte­r Wald besser wächst als natürliche­r.“

Die SPD im Düsseldorf­er Landtag fordert rasch eine Stärkung der Forstbetri­ebsgemeins­chaften, in denen sich vor allem Besitzer kleiner Waldstücke organisier­en. Derzeit werde über die Förderung dieser Organisati­onen diskutiert; weder die Eigentümer noch der Wald hätten dafür aber Zeit: „Lösen sich die Gemeinscha­ften auf, verlieren wir den Zugriff auf einen flächendec­kenden Waldumbau.“

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