Alarmstimmung im Wohnungsbau
Der Branchenverband glaubt, dass 2022 maximal 250.000 neue Einheiten entstehen. Ihre Zahl werde zudem in den nächsten Jahren sinken. Ein breites Bündnis aus 15 Verbänden fordert nun mehr politische Unterstützung.
DÜSSELDORF Die Probleme in der deutschen Baubranche sind sattsam bekannt: Schon im vergangenen Jahr stiegen die Preise für einzelne Baustoffe wie Holz oder Stahl gewaltig, auch weil die internationalen Lieferketten extrem gestört waren. Die hohe Inflation und der jüngste Anstieg der Bauzinsen haben das Bauen zusätzlich teurer gemacht.
Auch deshalb glauben Experten immer weniger daran, dass das von der Bundesregierung und deren zuständiger Ministerin Klara Geywitz (SPD) einst propagierte Ziel von 400.000 neuen Wohnungen noch zu erreichen ist: „Es droht ein Absturz mit Ansage, die Regierung wird ihr Wohnungsziel krachend verfehlen“, bemerkte Axel Gedaschko, Präsident des Wohnungsunternehmensverbandes GdW, der „Bild“. Er denkt, dass maximal 250.000 neue Wohnungen erreichbar sind, im nächsten Jahr gar nur 200.000, im Jahr darauf noch weniger. Ein Szenario, das weder den politisch Verantwortlichen in Berlin gefallen kann, noch jenen, für die es immer schwieriger wird, bezahlbaren Wohnraum zu finden – abseits der horrenden Steigerungen bei den Kosten fürs Heizen und für den Strom.
Mit der Einschätzung steht Gedaschko nicht allein. Dass die Lücke zwischen dem Soll der Regierung und dem Ist deutlich wachsen könnte, hat auch damit zu tun, dass Projekte, die jetzt laufen, fertiggestellt werden, die Zahl der Genehmigungen aber sinkt. In den ersten neun Monaten dieses Jahres sank die Zahl der genehmigten Wohnungen um 3,7 Prozent, allein im September um mehr als neun Prozent.
Und deshalb schlägt die Branche jetzt Alarm. Der von Gedaschko geführte Verband gehört zu einer Gruppe von 15 Verbänden aus der Bau-, Planungs- und Immobilienwirtschaft, die am Freitag einen gemeinsamen Appell an die Bundesregierung richten. Diesen Appell wollen sie im Haus des Zentralen Immobilien-Ausschusses (ZIA) der Öffentlichkeit präsentieren. Der ZIA ist einer der maßgeblichen Interessenvertreter in der Branche. In seinem Appell fordert das neue Baubündnis
einen „großen Kraftakt aller politisch Verantwortlichen, um den Teufelskreis fortschreitender Verschlechterungen zu durchbrechen“. Die angespannte Lage auf dem Wohnungsmarkt verschärfe sich von Woche zu Woche, die zugespitzte internationale Entwicklung verringere den ohnehin minimalen Spielraum dramatisch. Der Neubau sei stark rückläufig, kostengünstiger Wohnraum werde mehr denn je Mangelware. Die Situation sei „absolut besorgniserregend“.
Die Beteiligten verlangen dem Vernehmen nach unter anderem mehr Sicherheit bei der öffentlichen Förderung von Bauprojekten, eine zielgenaue Neubauförderung, mehr baureife Grundstücke und deutlich niedrigere Baukosten. Mit einer „gezielten Rohstoffstrategie“solle den aktuellen Kostensteigerungen entgegengewirkt werden.
Die Entwicklung der Preise ist ein Unsicherheitsfaktor für die Bauunternehmen, die Unsicherheiten der Förderpolitik sind ein anderer. Beides bringt so manchen Investor dazu, Projekte auf Eis zu legen oder ganz abzublasen. Dass in den vergangenen Monaten viele Projektverantwortliche ihre Aufträge zurückgezogen
haben oder zumindest in kleinerem Stil bauen wollen als geplant, belastet die Baubranche sehr.
Zu denen, die ihre Aktivitäten auf diesem Markt deutlich zurückfahren, gehören auch die großen deutschen Vermieter. Vonovia will im kommenden Jahr noch 850 Millionen Euro in Neubau und Sanierung stecken (gegenüber 1,4 Milliarden Euro im Vorjahr) die LEG hat ihre früheren Neubaupläne vorerst komplett ad acta gelegt. Die beiden Konzerne und andere Investoren dürften sich auch durch die Anforderungen an die energetische Effizienz der Gebäude belastet fühlen, die es aus ihrer Sicht deutlich schwieriger macht, bezahlbaren Wohnraum zur Verfügung zu stellen.
Ein Phänomen, das den Nerv immer größere Teile der Bevölkerung trifft. Denn die Nachfrage nach bezahlbarem Wohnraum zur Miete dürften in den kommenden Jahren steigen. Das liegt auch daran, dass sich manche bisher Kauf- oder Bauwilligen angesichts hoher Preise und stark gestiegener Zinsen von ihrem Wunsch nach Wohneigentum verabschieden und zusätzlich auf den Markt für Mietwohnungen drängen. Dazu kommt, dass vermutlich die Flüchtlingsbewegung nach Deutschland zunehmen wird, die weitere Wohnungen erforderlich macht.