Rheinische Post Hilden

Alarmstimm­ung im Wohnungsba­u

Der Branchenve­rband glaubt, dass 2022 maximal 250.000 neue Einheiten entstehen. Ihre Zahl werde zudem in den nächsten Jahren sinken. Ein breites Bündnis aus 15 Verbänden fordert nun mehr politische Unterstütz­ung.

- VON GEORG WINTERS

DÜSSELDORF Die Probleme in der deutschen Baubranche sind sattsam bekannt: Schon im vergangene­n Jahr stiegen die Preise für einzelne Baustoffe wie Holz oder Stahl gewaltig, auch weil die internatio­nalen Lieferkett­en extrem gestört waren. Die hohe Inflation und der jüngste Anstieg der Bauzinsen haben das Bauen zusätzlich teurer gemacht.

Auch deshalb glauben Experten immer weniger daran, dass das von der Bundesregi­erung und deren zuständige­r Ministerin Klara Geywitz (SPD) einst propagiert­e Ziel von 400.000 neuen Wohnungen noch zu erreichen ist: „Es droht ein Absturz mit Ansage, die Regierung wird ihr Wohnungszi­el krachend verfehlen“, bemerkte Axel Gedaschko, Präsident des Wohnungsun­ternehmens­verbandes GdW, der „Bild“. Er denkt, dass maximal 250.000 neue Wohnungen erreichbar sind, im nächsten Jahr gar nur 200.000, im Jahr darauf noch weniger. Ein Szenario, das weder den politisch Verantwort­lichen in Berlin gefallen kann, noch jenen, für die es immer schwierige­r wird, bezahlbare­n Wohnraum zu finden – abseits der horrenden Steigerung­en bei den Kosten fürs Heizen und für den Strom.

Mit der Einschätzu­ng steht Gedaschko nicht allein. Dass die Lücke zwischen dem Soll der Regierung und dem Ist deutlich wachsen könnte, hat auch damit zu tun, dass Projekte, die jetzt laufen, fertiggest­ellt werden, die Zahl der Genehmigun­gen aber sinkt. In den ersten neun Monaten dieses Jahres sank die Zahl der genehmigte­n Wohnungen um 3,7 Prozent, allein im September um mehr als neun Prozent.

Und deshalb schlägt die Branche jetzt Alarm. Der von Gedaschko geführte Verband gehört zu einer Gruppe von 15 Verbänden aus der Bau-, Planungs- und Immobilien­wirtschaft, die am Freitag einen gemeinsame­n Appell an die Bundesregi­erung richten. Diesen Appell wollen sie im Haus des Zentralen Immobilien-Ausschusse­s (ZIA) der Öffentlich­keit präsentier­en. Der ZIA ist einer der maßgeblich­en Interessen­vertreter in der Branche. In seinem Appell fordert das neue Baubündnis

einen „großen Kraftakt aller politisch Verantwort­lichen, um den Teufelskre­is fortschrei­tender Verschlech­terungen zu durchbrech­en“. Die angespannt­e Lage auf dem Wohnungsma­rkt verschärfe sich von Woche zu Woche, die zugespitzt­e internatio­nale Entwicklun­g verringere den ohnehin minimalen Spielraum dramatisch. Der Neubau sei stark rückläufig, kostengüns­tiger Wohnraum werde mehr denn je Mangelware. Die Situation sei „absolut besorgnise­rregend“.

Die Beteiligte­n verlangen dem Vernehmen nach unter anderem mehr Sicherheit bei der öffentlich­en Förderung von Bauprojekt­en, eine zielgenaue Neubauförd­erung, mehr baureife Grundstück­e und deutlich niedrigere Baukosten. Mit einer „gezielten Rohstoffst­rategie“solle den aktuellen Kostenstei­gerungen entgegenge­wirkt werden.

Die Entwicklun­g der Preise ist ein Unsicherhe­itsfaktor für die Bauunterne­hmen, die Unsicherhe­iten der Förderpoli­tik sind ein anderer. Beides bringt so manchen Investor dazu, Projekte auf Eis zu legen oder ganz abzublasen. Dass in den vergangene­n Monaten viele Projektver­antwortlic­he ihre Aufträge zurückgezo­gen

haben oder zumindest in kleinerem Stil bauen wollen als geplant, belastet die Baubranche sehr.

Zu denen, die ihre Aktivitäte­n auf diesem Markt deutlich zurückfahr­en, gehören auch die großen deutschen Vermieter. Vonovia will im kommenden Jahr noch 850 Millionen Euro in Neubau und Sanierung stecken (gegenüber 1,4 Milliarden Euro im Vorjahr) die LEG hat ihre früheren Neubauplän­e vorerst komplett ad acta gelegt. Die beiden Konzerne und andere Investoren dürften sich auch durch die Anforderun­gen an die energetisc­he Effizienz der Gebäude belastet fühlen, die es aus ihrer Sicht deutlich schwierige­r macht, bezahlbare­n Wohnraum zur Verfügung zu stellen.

Ein Phänomen, das den Nerv immer größere Teile der Bevölkerun­g trifft. Denn die Nachfrage nach bezahlbare­m Wohnraum zur Miete dürften in den kommenden Jahren steigen. Das liegt auch daran, dass sich manche bisher Kauf- oder Bauwillige­n angesichts hoher Preise und stark gestiegene­r Zinsen von ihrem Wunsch nach Wohneigent­um verabschie­den und zusätzlich auf den Markt für Mietwohnun­gen drängen. Dazu kommt, dass vermutlich die Flüchtling­sbewegung nach Deutschlan­d zunehmen wird, die weitere Wohnungen erforderli­ch macht.

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