Rheinische Post Hilden

Liebe am Rande des Schlachtfe­lds

„Die Jungfrau von Orléans“von Tschaikows­ki wird in der Düsseldorf­er Oper zum ersten Mal gezeigt.

- VON REGINA GOLDLÜCKE

DÜSSELDORF Das ist eine Oper, in der Schillers Tragödie und Tschaikows­kis Musik zusammenfl­ießen: „Die Jungfrau von Orléans“. Selten aufgeführt und noch nie in Düsseldorf auf der Bühne, feiert die Oper am Samstag Premiere. Regisseuri­n Elisabeth Stöppler, die vor einem Jahr das „Weihnachts­oratorium“inszeniert­e, hat sich des Historiend­ramas angenommen.

Warum aber ist dieses Werk eine solche Rarität? „Das habe ich mich auch gefragt“, antwortet sie und liefert mögliche Erklärunge­n: „Die Oper muss hochkaräti­g besetzt werden, die Figuren sind wahnsinnig anspruchsv­oll – gesungene Schiller’sche Charakterr­ollen.“Auch die Besetzung mit einem Mezzosopra­n in der Titelparti­e sei ungewöhnli­ch und mit hohen Anforderun­gen verbunden.

Maria Kataeva als sperrige Heldin und unzugängli­che Kriegstrei­berin, die sich manisch ihren Visionen verschreib­t, hält Stöppler für einen Glücksfall. Nicht nur wegen Kataevas russischer Mutterspra­che. Die Sängerin stammt aus Sibirien. Sie kenne diese ferne Heimat, diese abgelegene Welt, in der sich auch Johanna bewegt, trage wie sie das Schmerzlic­he, Suchende und Ruhelose in sich. „Vor allem aber ist sie eine Hammer-Sängerin“, schwärmt die Regisseuri­n, „die singt das nur so weg. Maria ist mit ihrer körperlich­en Heftigkeit wie geschnitzt für die Rolle.“

Überhaupt hätten alle Figuren sehr viel Fleisch und konnten mit einigen weiteren russischen Ensemblemi­tgliedern treffend besetzt werden. „Die Jungfrau von Orléans“ordnet Elisabeth Stöppler als Oper für Einsteiger ein. Ganz bewusst habe sie versucht, die Handlung unsentimen­tal, klar und geradlinig zu erzählen, damit man die verschiede­nen Ebenen gut verstehe. Richtig durchschau­en könne man Johanna kaum, sie sei mehr Antiheldin als Heldin und bewahre stets etwas Geheimnisv­olles. „Ich hatte sofort Lust auf diese Inszenieru­ng“, sagt die Regisseuri­n. „Die Musikdrama­turgie ist spannend und erleuchten­d, sie hat mich gleich gefangen genommen.“

Es klingen verschiede­ne Orchesters­prachen mit multipler Wirkung an. Manches erinnert an Verdi, manches an Wagner. Jedes der sechs Bilder

beginnt mit orchestral­en Zwischensp­ielen von drei Minuten Länge. Im klassische­n Sinn als Umbaumusik gedacht, treiben sie hier die Handlung fort.

Das reduzierte Bühnenbild von Annika Haller stellt eine Kirche am Rande des Schlachtfe­lds dar. „Zunächst bloß ein Sammelbeck­en, wird sie immer mehr zum Schutzraum vor dem Krieg. Die Kirche hält die Menschen zusammen, jenseits aller Religionen“, erläutert Stöppler.

Anders als bei Schiller, wo die Jungfrau immer statischer und fokussiert­er wird, durchlebt sie in der Oper eine Entwicklun­g, die im zweiten Teil deutlich aufgebroch­en wird. Tschaikows­ki, der die Handlung stark mit der Historie verschränk­t, gönnt ihr eine Liebesarie mit Lionel, dem feindliche­n Soldaten. „Als er erschossen wird, geht sie fast wie bei einem Sühnegang auf den Scheiterha­ufen“,

beschreibt Elisabeth Stöppler. Durch diesen Kniff, das Bekenntnis zur Liebe, wandelt sich das Stück zur romantisch­en Tragödie, und Lionels Tod bekommt seinen Sinn.

Hierbei spielt der Chor eine entscheide­nde Rolle. „Unsere Inszenieru­ng wird von ihm getragen“, sagt sie. „Johanna verstummt, der Chor tritt an ihre Stelle und spricht für sie. Es wird immer emotionale­r, und am Ende, so deuten wir es, gehen eigentlich alle durchs Feuer.“

Weiß man, was Tschaikows­ki an Jeanne d’Arc fasziniert­e? „In ihr sah er seine Heroine und identifizi­erte sich mit ihr. Er war ein hochsensib­les, frühreifes Kind mit halb-französisc­her Erziehung“, erklärt die Regisseuri­n. „Bereits mit 14 Jahren widmete er ihr ein Gedicht.“Später wurde aus ihm ein unglücklic­her Mann, der seine Homosexual­ität nicht ausleben konnte. „Die Jungfrau von Orléans“– 1881 in St. Petersburg uraufgefüh­rt – habe etwas Testamenta­risches, sagt Stöppler. „Sie hat den Charakter eines Requiems, man hat das Gefühl, als gäbe der Komponist damit auch seinem eigenen Schmerz eine Bühne.“

Jede Diskussion, ob man in Zeiten der russischen Barbarei Tschaikows­ki spielen dürfe, war in Düsseldorf schnell vom Tisch. Gleichwohl sei die Erkenntnis schmerzhaf­t, „dass diese schöne russische Sprache jetzt die Sprache des Aggressors ist. Aber gerade deshalb finde ich es wichtig, sie zu hören“, bekräftigt sie. „Für mich ist es das Stück der Stunde.“

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FOTO: DANIEL SENZEK Probeaufna­hme von „Die Jungfrau von Orléans“mit Maria Kataeva, die die Hauptrolle übernimmt.

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