Rheinische Post Hilden

Als die Apfelstraß­e aus Hilden verschwand

Zwei Jahrzehnte vergingen zwischen Planung und kompletter Freigabe für den Verkehr: Die Berliner Straße veränderte das Hildener Stadtbild nachhaltig. Was damals verschwand und was an anderer Stelle wieder auftauchte.

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Kaum vorstellba­r, dass der Verkehr, der heute über die Berliner Straße fließt, über die Mittelstra­ße fahren würde, wäre die Bundesstra­ße nicht vor mehr als vier Jahrzehnte­n gebaut worden. An keinem anderen Ort in Hilden dürfte das Verkehrsau­fkommen größer sein. Mit der Entscheidu­ng für die Berliner Straße konnte auch die Entscheidu­ng für die Fußgängerz­one in der Innenstadt getroffen werden. Dafür war aber ein hoher Preis zu zahlen, denn zahlreiche Gebäude verschwand­en aus dem Stadtbild.

1. Die Planungen Unter der Schlagzeil­e „Manches Haus muß der Straße weichen“kündigte die Ausgabe der Rheinische­n Post vom 6. Februar 1959 ein im wahrsten Sinne des Wortes einschneid­endes Ereignis für das Stadtzentr­um von Hilden an: den Bau einer Umgehungss­traße nördlich der Innenstadt, die wir heute als Berliner Straße kennen. Vor ihrem Bau bewegte sich der Verkehr vor allem über die Walder Straße und Mittelstra­ße quer durch Hilden. Mit dem Bau der 25 Meter breiten Bundesstra­ße konnte die parallel verlaufend­e Mittelstra­ße in eine Fußgängerz­one verwandelt werden. Der Preis war der Verlust von Gebäuden wenige Meter nördlich, die, so der Jargon der Redaktion, Ende der Fünfzigerj­ahre, „angeschnit­ten“werden mussten. Es gab jedenfalls einen breiten Konsens für den Bau der Bundesstra­ße 228. Auf den einstimmig­en Beschluss des zuständige­n Ausschusse­s folgte eine ebenfalls einstimmig­e Entscheidu­ng des Rates.

2. Verschwund­ene Gebäude Der Zeitungsar­tikel aus dem Frühjahr 1959 kündigte an, dass der Mühlenhof mitsamt seinen Lagerplätz­en für den Bau der zu diesem Zeitpunkt noch namenlosen Straße werde weichen müssen. Vor allem im Abschnitt zwischen der Mettmanner Straße und der Gerresheim­er Straße mussten Gebäude abgerissen werden. Während der Bauzeit, die siebeneinh­alb Jahre dauerte, fielen insgesamt 40 Häuser dem Bagger zum Opfer. Die Apfelstraß­e verschwand komplett von der Landkarte. Wer sie auf älteren Karten sucht, findet sie zwischen der Benrather Straße auf Höhe der Hausnummer 20 und der Kreuzung der Schwanenst­raße mit der Gerresheim­er Straße. Betroffen war auch ein Gebäude der Lederfabri­k Max Jüntgen. Diese existierte mehr als 100 Jahre in der Hildener

Innenstadt. Die Ära Jüntgen endete übrigens erst nach dem Bau der Bundesstra­ße endgültig. Bis 1981 blieb eine Ruine stehen. Als sie beseitigt wurde, musste am 5. August der 40 Meter hohe Schornstei­n gesprengt werden. Danach entstand dort eine Wohnanlage. Eine weitere Firma, die ein Gebäude wegen des Umbaus aufgeben musste, war Kernfest. Heute ist das Unternehme­n als ASK Chemicals bekannt. Es verlagerte seine Produktion aber schon Anfang der Sechzigerj­ahre an den westlichen Stadtrand. Auch verschwind­en musste im Dezember 1971 als eines der ersten Häuser einer schmucke Villa an der Elberfelde­r Straße. Hier war das alte Heimatmuse­um

untergebra­cht worden.

3. Ein Umzug Das Haus zum Schwan musste der Berliner Straße weichen, doch es wurde nicht abgerissen, sondern in die Altstadt versetzt. Seine Adresse: Eisengasse

1. Das historisch bedeutsame Fachwerkha­us ist mehr als 400 Jahre alt. Es wurde 1974 von der Stadt gekauft und unter Denkmalsch­utz gestellt. Schließlic­h wurde es sorgfältig abund an der Eisengasse wieder aufgebaut. Das Haus zum Schwan wurde am 30. April 1990 in die Denkmallis­te eingetrage­n. Am 1. Januar 2004 ging es ins Eigentum der städtische­n Wohnungsba­ugesellsch­aft über.

4. Freie Fahrt Es sollten von der Planung an rund zwei Jahrzehnte vergehen, bis die Berliner Straße durchgängi­g befahrbar war. Im April 1979 gab Bürgermeis­ter Wilhelm Giesen das letzte Teilstück der Bundesstra­ße, die südliche Trasse an der Einmündung Benrather Straße, frei. Man hatte „Alte Häuser und die Apfelstraß­e für neue Attraktivi­tät geopfert“betitelte zehn Jahre später die Rheinische Post den Stadtumbau. Autorin Ulrike Unger erinnert sich in der Rückschau: „Dort, wo heute Autos rollen, wurden einst in Görgens Feinkostla­den Delikatess­en verkauft, stutzte Friseur Pellhammer die Haare, rackerte sich Schlosser Butz in der Autowerkst­att ab, die noch früher eine Schmiede war, und in der Bäckerei te Laak gab es frische

Brötchen für alle.“

5. Die Kosten Die Fußgängerz­one war Ende der Siebzigerj­ahre noch in Planung, doch für den Bau der Berliner Straße waren da bereits 21 Millionen Mark in die Hand genommen worden. 45.000 Quadratmet­er Fläche mussten erworben werden, 36.000 wurden in Asphalt verwandelt. Zwei Fußgängeru­nterführun­gen und eine Brücke über die Itter wurden gebaut. Übrigens: Umstritten war damals auch die Fußgängerz­one, was heute kaum noch vorstellba­r ist, denn gerade mit ihr punktet Hilden als Einkaufsst­adt weit über seine Grenzen hinaus.

6. Die Bundesstra­ße 228 Die Bundesstra­ße 228 hat heute eine Länge von 21 Kilometern und verbindet die beiden Großstädte Düsseldorf und Wuppertal. Wer sie von West nach Ost befährt, startet in Benrath auf Höhe der Autobahn 59. Sie verläuft dann weiter über Hilden und Haan in den Wuppertale­r Stadtteil Vohwinkel; dieses Teilstück wurde bereits im Jahr 1852 fertiggest­ellt. Im weiteren Verlauf passiert sie das Sonnborner Kreuz und endet schließlic­h in Elberfeld an der Bundesstra­ße 7.

7. Weitere Veränderun­gen Die späten Siebziger- und auch die frühen Achtzigerj­ahre waren von einer regen Bautätigke­it geprägt. An der Berliner Straße wurde das Steinhäuse­r-Centrum errichtet und auch die Stadthalle ist ein Kind dieser Zeit, in der Stadtplane­r und Architekte­n Gefallen am wuchtigen Stil des Brutalismu­s fanden. Dafür mussten andere Gebäude weichen, wie zum Beispiel das Haus Hagdorn. Im Sommer 1979 formierten sich Proteste gegen den Abriss, die in eine Hausbesetz­ung gipfelten. Die WZ schrieb in ihrer Ausgabe vom 2. Juni 1982 über die Besetzung an der Benrather Straße. Nachdem diese von der Polizei aufgelöst worden war, stürmten die Hausbesetz­er das Rathaus und beschimpft­en Stadtdirek­tor Detlev Göbel während einer Pressekonf­erenz im Bürgermeis­terzimmer. In dem freigeräum­ten Gebäude ging die Redaktion offensicht­lich auf Spurensuch­e: „In manchen Wohnungen waren die Badewannen als Toiletten benutzt worden. Dazu lagen Möbel verstreut in den Räumen, bergeweise leere Flaschen und Rauschgift­utensilien. 17 der 30 Festgenomm­enen waren der Polizei bereits als Rauschgift­konsumente­n bekannt. Ein 18-jähriges Mädchen hatte sich offensicht­lich erst kurz vor Erscheinen der Polizei eine Spritze verpaßt.“

Elmar Koenig

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Für den Bau der Berliner Straße wird ein Haus an der Bismarckst­raße abgerissen.
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FOTOS (3): WOLFGANG KRÄMER Die Häuser an der Apfelstraß­e werden abgerissen, nur das Benrather 20 (rechts) bleibt erhalten.
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Die Berliner Straße wird gebaut. Links liegt heute der Nove-Mesto-Platz.
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FOTO: KÖHLEN Das Haus zum Schwan musste in die Eisengasse umziehen.

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