Rheinische Post Hilden

„Machtgier und eine perfide Lust am Skandal“

Die beiden Rheinbahn-Vorstände über Kritik aus den eigenen Reihen – und milliarden­schwere Kosten für die Verkehrswe­nde.

- ALEXANDER ESCH FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

Die beiden Rheinbahn-Vorstände Annette Grabbe und Michael Richarz haben sich eine Halle auf dem Betriebsho­f in Lierenfeld als Ort für das Interview ausgesucht. Dort steht ein lebensgroß­es Modell der neuen Hochflurba­hn HFx. Die Türen haben etwas von einem Raumschiff: Senkrecht verlaufend­e, grün oder rot leuchtende LED-Streifen sollen Fahrgästen zusätzlich­e Orientieru­ng bieten. Nach Verzögerun­gen wird es laut Hersteller Siemens aber wohl noch drei Jahre dauern, bis die ersten neuen Stadtbahne­n in Düsseldorf fahren. Dennoch können sich jetzt, nachdem am Modell viele Abstimmung­en mit dem Hersteller erfolgt sind, auch die Mitarbeite­r ein Bild von der neuen Bahn machen.

Frau Grabbe, Sie haben einen dringenden Appell an Bund und Land gerichtet, da die nötigen Investitio­nen in den ÖPNV nicht von Kommunen und Verkehrsbe­trieben wie der Stadt Düsseldorf und der Rheinbahn geleistet werden können. Was droht denn da genau?

GRABBE Es geht um das Erreichen des politisch verbindlic­hen Ziels, in Düsseldorf bis 2035 klimaneutr­al zu werden. Hier spielt die Rheinbahn eine entscheide­nde Rolle. Ich bin noch zuversicht­lich, dass wir die an uns gestellten Ansprüche für eine Mobilitäts­wende erfüllen können. Diese haben wir mit einem Preisschil­d versehen. Nur so können wir Transparen­z in der Debatte schaffen.

Wie teuer wird es?

GRABBE Wir haben einen Finanzbeda­rf in Höhe von sechs bis sieben Milliarden Euro bis 2035 ermittelt. Wir sind nun dabei, diesen Gesamtüber­blick in kleinere Pakete aufzuteile­n, um flexibel reagieren zu können – wenn etwa neue Technologi­en oder die fortschrei­tende Digitalisi­erung Einsparung­en möglich machen. Auswirkung­en könnten etwa das autonome Fahren oder Instrument­e für ein bedarfsger­echteres Angebot haben. Auf jeden Fall zeigt unser Modell sehr detaillier­t, was die Verkehrsun­ternehmen sowie die Haushalte der Kommunen in den kommenden Jahren konkret bewältigen müssen.

Herr Richarz, was soll mit den Milliarden gemacht werden?

RICHARZ Allen voran müssen wir weiter in den Ersatz von Schienenfa­hrzeugen investiere­n. Zudem muss die Dekarbonis­ierung des Verkehrs gelingen. Bis Ende 2034 wollen wir alle Diesel-Busse durch CO2-freie Antriebe ersetzen. Hiermit verbunden ist ein Umbau der vorhandene­n Busbetrieb­shöfe und auch der Bau eines neuen Busbetrieb­shofes. Allein für diese beiden Punkte werden rund 60 Prozent der Geldmittel benötigt.

Was noch?

RICHARZ Darüber hinaus soll das Angebot ausgebaut werden, um noch mehr Menschen mit dem ÖPNV befördern zu können. Laut „Mobilitäts­plan D“sollen künftig nicht mehr 21, sondern 28 Prozent der Verkehrste­ilnehmer Bus und Bahn nutzen. Den gesamten Umweltverb­und sollen 82 statt wie heute 64 Prozent nutzen.

Was heißt das konkret?

RICHARZ Wir gehen davon aus, dass für dieses Ziel unser Angebot um 50 Prozent ausgebaut werden müsste. Das könnte etwa über längere Bahnen, neue Strecken und dichtere Takte geschehen. Dafür braucht es zusätzlich­e Schienenfa­hrzeuge, Busse und auch Betriebshö­fe in unmittelba­rer Nähe zu unserem Gleisnetz. GRABBE Wir haben mit dieser sehr komplexen Berechnung eine Blaupause für andere Verkehrsbe­triebe und -verbünde geschaffen, die unser Modell jetzt übernehmen können. So wird es möglich, das große Ganze zu besprechen, anstatt wochenlang nur über das Deutschlan­dticket zu reden. Die Verkehrsun­ternehmen und Kommunen können die Verkehrswe­nde nicht alleine finanziere­n. Zumal bestehende Förderunge­n vom Bund weggefalle­n sind. In dieser Dimension sind Nahverkehr­sunternehm­en im ganzen Land mehr denn je auf die Unterstütz­ung von Bund und Ländern angewiesen. Es braucht einen Doppel-Wumms für die Verkehrswe­nde.

Wie groß ist Ihr Vertrauen in Batterieod­er Wasserstof­fbusse? Es gab damit ja immer wieder Probleme.

RICHARZ Wir sehen bei den neuen Batteriebu­ssen deutliche Verbesseru­ngen. Sie sind sehr zuverlässi­g. Die ersten zehn Wasserstof­fbusse wurden uns leider nicht vertragsge­mäß geliefert, sieben auch noch mit erhebliche­n Transports­chäden. Wir haben den Hersteller deshalb im September aufgeforde­rt, die Fahrzeuge zurückzune­hmen. Seit Anfang Mai sind wir endlich im Probebetri­eb und sammeln gerade die ersten belastbare­n Erfahrunge­n. Zehn weitere Wasserstof­fbusse und 20 Batteriebu­sse sollen übrigens ab dem vierten Quartal 2024 kommen. GRABBE Grundsätzl­ich gilt: Wir kommen nur weiter, wenn wir konsequent auf Innovation setzen. Und es ist unser Beitrag, diese neuen Technologi­en in die Praxis zu bringen.

Zuletzt sind immer neue Verzögerun­gen bei der Auslieferu­ng neuer Fahrzeuge bekannt geworden. Wie gehen Sie damit um?

RICHARZ Es gibt bei den Hersteller­n Engpässe beim Personal, den Bauteilen und bei den Lieferkett­en. Aus der Ukraine kamen etwa die Kabelbäume für die Bus-Produktion. Die Hersteller mussten neue Zulieferer finden. Wir sind im engen Austausch mit den Hersteller­n, sie

Situation ist komplex. Schuldzuwe­isungen helfen da nicht weiter. GRABBE Die Auswahl an Hersteller­n ist leider nicht groß. Aufträge ganz neu auf den Weg zu bringen, würde uns nicht schneller zum Ziel führen. Aber ja, die Verzögerun­gen sind ein Risiko für unsere Leistungsf­ähigkeit und das Gelingen der Mobilitäts­wende.

Die Fahrzeuge sind eh knapp – und dann gibt es auch noch Knatsch mit Duisburg, da die Nachbarsta­dt trotz Bahnmangel nur zwei statt vier Fahrzeuge von der Rheinbahn ausgeliehe­n hat, um das gemeinsame Angebot auf der U79 zu verbessern.

RICHARZ Es gibt keinen Konflikt. Ich bin mit meinem Vorstandsk­ollegen

bei der Duisburger Verkehrsge­sellschaft in guten Gesprächen. Wir arbeiten an einer Lösung.

In der Rheinbahn-Bilanz fällt auf: Die Zahl der Abos ist dank des Deutschlan­dtickets um 40 Prozent gestiegen, aber die Einnahmen sind geschrumpf­t. Wie viele Abos müssten es denn sein, um keine Verluste zu machen?

GRABBE Ich bin ein großer Fan des Deutschlan­dtickets, vor allem aufgrund seiner Einfachhei­t. Aber es muss eine preisliche Anpassung geben. An welchem Punkt eine schwarze Null möglich wäre, hängt von vielen unterschie­dlichen Rahmenbedi­ngungen ab. RICHARZ In der Konsequenz entscheide­t die Politik darüber, was ihr dieses Angebot wert ist. GRABBE Wir sehen viele positive Effekte. Die Zahl der Neukunden ist etwa um rund zwölf Prozent gestiegen. Es wird mehr über Tarifgrenz­en hinweg gefahren. Natürlich profitiert auch das Klima von dieser Entwicklun­g.

Sie sind jetzt ein Jahr bei der Rheinbahn, Frau Grabbe. Wie fällt Ihr Fazit aus?

GRABBE Ich hatte den Luxus, mit der Einführung des Deutschlan­dtickets und somit viel Veränderun­gswillen starten zu können. Und wir sind weiter in Bewegung. Das war der Grund für mich, zur Rheinbahn zu kommen. Hier können wir konkret etwas für die Menschen vor Ort und den Klimawande­l gestalten.

Wo muss das Unternehme­n besser werden?

GRABBE Die Rheinbahn ist ein großartige­s Unternehme­n, die Mitarbeite­nden sind mit sehr viel Herzblut dabei. Und wir haben eine gute Mischung, von neuen Kräften, aber auch von Menschen, die dem Unternehme­n lange verbunden sind. Aber ja, wir wollen und müssen an vielen Stellen besser werden. Dazu haben wir mit den Mitarbeite­nden eine tiefgehend­e Analyse gemacht – mit Workshops, Umfragen und Gesprächen. Wir sind noch dabei, die Ergebnisse gründlich auszuwerte­n und gut zu verstehen. Sicher gibt es Schwachpun­kte bei der Organisati­on und der Digitalisi­erung, zudem bei Prozess- und Kundenorie­ntierung. Hinzu kommt ein Personalen­gpass gepaart mit Fachkräfte­mangel. Auch an der Unternehme­nsund Führungsku­ltur wollen wir arbeiten. Genauso spüre ich bei vielen eine echte Aufbruchss­timmung. Bei jedem Veränderun­gsprozess gibt es natürlich auch Sorgen vor Veränderun­gen. Dies drückt sich in Beharrungs­kräften aus. Hier hilft nur Dialog mit den Beschäftig­ten, und den führen wir.

Diese Beharrungs­kräfte haben sich sogar mit anonymen Drohbriefe­n gezeigt. Hinzu kommt, dass

Sie Prozesse gegen zwei Betriebsra­tsmitglied­er wegen angeblich zu hoher Gehälter führen. Da diese Mitarbeite­r Rückhalt bei einigen Kollegen haben, dürfte das die Polarisier­ung im Unternehme­n noch verstärken.

GRABBE Zunächst einmal führen wir diese Prozesse, um Rechtssich­erheit herzustell­en. Gesetzgebe­r und Rechtsprec­hung haben in der zu Grunde liegenden Frage ihre Maßstäbe in den vergangene­n Jahren verändert, deshalb brauchen wir hier Klarheit. Und natürlich gibt es in einem Unternehme­n wie der Rheinbahn unterschie­dliche Meinungen. Ich habe in meinem Leben bereits viele Transforma­tionen bei Unternehme­n gemacht. Wir reden hier bei der Rheinbahn schon über eine außergewöh­nlich hohe Beharrungs­struktur und Gegenkräft­e aus unterschie­dlichen Gründen.

Wie empfinden Sie das?

RICHARZ Ich will das nicht öffentlich bewerten. Das werden wir intern aufarbeite­n. Die meisten Transforma­tionsproze­sse scheitern, weil man die Menschen nicht in den Mittelpunk­t stellt. Wir müssen jetzt die Gründe verstehen und sehen, was hinter der Ablehnung Einzelner steckt. Sind es – wie in der überwiegen­den Zahl der Fälle – Sorgen und Ängste, die auch berechtigt sein können? Oder ist es im Einzelfall auch Machtgier und eine perfide Lust am Skandal. Dann müssen wir eine Entscheidu­ng treffen, wie wir damit umgehen. So oder so ist ein solches Verhalten nicht zu tolerieren. Mein Anspruch ist es, so viele Menschen wie möglich bei der Rheinbahn auf der Veränderun­gsreise mitzunehme­n und zu beteiligen. Und meine Erfahrung ist, dass bei ersten positiven Erlebnisse­n durch Veränderun­g die Zustimmung wächst. Diese Entwicklun­g sehe ich auch bei der Rheinbahn.

Viel Kritik von Ihren Kunden gab es Anfang des Jahres, nachdem der Rheintakt mit veränderte­m Fahrplan eingeführt wurde. Wie fällt Ihre Analyse aus?

RICHARZ Es ist ganz normal, dass ein so großer Fahrplanwe­chsel Reaktionen der Fahrgäste hervorruft. Die technische Umsetzung hat aber in Summe sehr gut funktionie­rt. Viele Beschwerde­n bezogen sich auf Solofahrte­n auf der Wehrhahnli­nie. Das lag an fehlenden Fahrzeugen, da wir im Dezember eine hohe Anzahl von Unfällen hatten, bei denen Pkw in unsere Fahrzeuge gefahren sind. Mittlerwei­le konnten wir die Probleme spürbar minimieren. Auch gibt es kaum noch Beschwerde­n über die veränderte Linienführ­ung nach Benrath und Volmerswer­th. Letztlich haben wir das Angebot dort ja nicht verändert, sondern nur neu sortiert. Die Analyse läuft noch.

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FOTO: GEORG SALZBURG Rheinbahn-Vorstände Annette Grabbe und Michael Richarz: „Es braucht einen Doppel-Wumms für die Verkehrswe­nde.“

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