„Machtgier und eine perfide Lust am Skandal“
Die beiden Rheinbahn-Vorstände über Kritik aus den eigenen Reihen – und milliardenschwere Kosten für die Verkehrswende.
Die beiden Rheinbahn-Vorstände Annette Grabbe und Michael Richarz haben sich eine Halle auf dem Betriebshof in Lierenfeld als Ort für das Interview ausgesucht. Dort steht ein lebensgroßes Modell der neuen Hochflurbahn HFx. Die Türen haben etwas von einem Raumschiff: Senkrecht verlaufende, grün oder rot leuchtende LED-Streifen sollen Fahrgästen zusätzliche Orientierung bieten. Nach Verzögerungen wird es laut Hersteller Siemens aber wohl noch drei Jahre dauern, bis die ersten neuen Stadtbahnen in Düsseldorf fahren. Dennoch können sich jetzt, nachdem am Modell viele Abstimmungen mit dem Hersteller erfolgt sind, auch die Mitarbeiter ein Bild von der neuen Bahn machen.
Frau Grabbe, Sie haben einen dringenden Appell an Bund und Land gerichtet, da die nötigen Investitionen in den ÖPNV nicht von Kommunen und Verkehrsbetrieben wie der Stadt Düsseldorf und der Rheinbahn geleistet werden können. Was droht denn da genau?
GRABBE Es geht um das Erreichen des politisch verbindlichen Ziels, in Düsseldorf bis 2035 klimaneutral zu werden. Hier spielt die Rheinbahn eine entscheidende Rolle. Ich bin noch zuversichtlich, dass wir die an uns gestellten Ansprüche für eine Mobilitätswende erfüllen können. Diese haben wir mit einem Preisschild versehen. Nur so können wir Transparenz in der Debatte schaffen.
Wie teuer wird es?
GRABBE Wir haben einen Finanzbedarf in Höhe von sechs bis sieben Milliarden Euro bis 2035 ermittelt. Wir sind nun dabei, diesen Gesamtüberblick in kleinere Pakete aufzuteilen, um flexibel reagieren zu können – wenn etwa neue Technologien oder die fortschreitende Digitalisierung Einsparungen möglich machen. Auswirkungen könnten etwa das autonome Fahren oder Instrumente für ein bedarfsgerechteres Angebot haben. Auf jeden Fall zeigt unser Modell sehr detailliert, was die Verkehrsunternehmen sowie die Haushalte der Kommunen in den kommenden Jahren konkret bewältigen müssen.
Herr Richarz, was soll mit den Milliarden gemacht werden?
RICHARZ Allen voran müssen wir weiter in den Ersatz von Schienenfahrzeugen investieren. Zudem muss die Dekarbonisierung des Verkehrs gelingen. Bis Ende 2034 wollen wir alle Diesel-Busse durch CO2-freie Antriebe ersetzen. Hiermit verbunden ist ein Umbau der vorhandenen Busbetriebshöfe und auch der Bau eines neuen Busbetriebshofes. Allein für diese beiden Punkte werden rund 60 Prozent der Geldmittel benötigt.
Was noch?
RICHARZ Darüber hinaus soll das Angebot ausgebaut werden, um noch mehr Menschen mit dem ÖPNV befördern zu können. Laut „Mobilitätsplan D“sollen künftig nicht mehr 21, sondern 28 Prozent der Verkehrsteilnehmer Bus und Bahn nutzen. Den gesamten Umweltverbund sollen 82 statt wie heute 64 Prozent nutzen.
Was heißt das konkret?
RICHARZ Wir gehen davon aus, dass für dieses Ziel unser Angebot um 50 Prozent ausgebaut werden müsste. Das könnte etwa über längere Bahnen, neue Strecken und dichtere Takte geschehen. Dafür braucht es zusätzliche Schienenfahrzeuge, Busse und auch Betriebshöfe in unmittelbarer Nähe zu unserem Gleisnetz. GRABBE Wir haben mit dieser sehr komplexen Berechnung eine Blaupause für andere Verkehrsbetriebe und -verbünde geschaffen, die unser Modell jetzt übernehmen können. So wird es möglich, das große Ganze zu besprechen, anstatt wochenlang nur über das Deutschlandticket zu reden. Die Verkehrsunternehmen und Kommunen können die Verkehrswende nicht alleine finanzieren. Zumal bestehende Förderungen vom Bund weggefallen sind. In dieser Dimension sind Nahverkehrsunternehmen im ganzen Land mehr denn je auf die Unterstützung von Bund und Ländern angewiesen. Es braucht einen Doppel-Wumms für die Verkehrswende.
Wie groß ist Ihr Vertrauen in Batterieoder Wasserstoffbusse? Es gab damit ja immer wieder Probleme.
RICHARZ Wir sehen bei den neuen Batteriebussen deutliche Verbesserungen. Sie sind sehr zuverlässig. Die ersten zehn Wasserstoffbusse wurden uns leider nicht vertragsgemäß geliefert, sieben auch noch mit erheblichen Transportschäden. Wir haben den Hersteller deshalb im September aufgefordert, die Fahrzeuge zurückzunehmen. Seit Anfang Mai sind wir endlich im Probebetrieb und sammeln gerade die ersten belastbaren Erfahrungen. Zehn weitere Wasserstoffbusse und 20 Batteriebusse sollen übrigens ab dem vierten Quartal 2024 kommen. GRABBE Grundsätzlich gilt: Wir kommen nur weiter, wenn wir konsequent auf Innovation setzen. Und es ist unser Beitrag, diese neuen Technologien in die Praxis zu bringen.
Zuletzt sind immer neue Verzögerungen bei der Auslieferung neuer Fahrzeuge bekannt geworden. Wie gehen Sie damit um?
RICHARZ Es gibt bei den Herstellern Engpässe beim Personal, den Bauteilen und bei den Lieferketten. Aus der Ukraine kamen etwa die Kabelbäume für die Bus-Produktion. Die Hersteller mussten neue Zulieferer finden. Wir sind im engen Austausch mit den Herstellern, sie
Situation ist komplex. Schuldzuweisungen helfen da nicht weiter. GRABBE Die Auswahl an Herstellern ist leider nicht groß. Aufträge ganz neu auf den Weg zu bringen, würde uns nicht schneller zum Ziel führen. Aber ja, die Verzögerungen sind ein Risiko für unsere Leistungsfähigkeit und das Gelingen der Mobilitätswende.
Die Fahrzeuge sind eh knapp – und dann gibt es auch noch Knatsch mit Duisburg, da die Nachbarstadt trotz Bahnmangel nur zwei statt vier Fahrzeuge von der Rheinbahn ausgeliehen hat, um das gemeinsame Angebot auf der U79 zu verbessern.
RICHARZ Es gibt keinen Konflikt. Ich bin mit meinem Vorstandskollegen
bei der Duisburger Verkehrsgesellschaft in guten Gesprächen. Wir arbeiten an einer Lösung.
In der Rheinbahn-Bilanz fällt auf: Die Zahl der Abos ist dank des Deutschlandtickets um 40 Prozent gestiegen, aber die Einnahmen sind geschrumpft. Wie viele Abos müssten es denn sein, um keine Verluste zu machen?
GRABBE Ich bin ein großer Fan des Deutschlandtickets, vor allem aufgrund seiner Einfachheit. Aber es muss eine preisliche Anpassung geben. An welchem Punkt eine schwarze Null möglich wäre, hängt von vielen unterschiedlichen Rahmenbedingungen ab. RICHARZ In der Konsequenz entscheidet die Politik darüber, was ihr dieses Angebot wert ist. GRABBE Wir sehen viele positive Effekte. Die Zahl der Neukunden ist etwa um rund zwölf Prozent gestiegen. Es wird mehr über Tarifgrenzen hinweg gefahren. Natürlich profitiert auch das Klima von dieser Entwicklung.
Sie sind jetzt ein Jahr bei der Rheinbahn, Frau Grabbe. Wie fällt Ihr Fazit aus?
GRABBE Ich hatte den Luxus, mit der Einführung des Deutschlandtickets und somit viel Veränderungswillen starten zu können. Und wir sind weiter in Bewegung. Das war der Grund für mich, zur Rheinbahn zu kommen. Hier können wir konkret etwas für die Menschen vor Ort und den Klimawandel gestalten.
Wo muss das Unternehmen besser werden?
GRABBE Die Rheinbahn ist ein großartiges Unternehmen, die Mitarbeitenden sind mit sehr viel Herzblut dabei. Und wir haben eine gute Mischung, von neuen Kräften, aber auch von Menschen, die dem Unternehmen lange verbunden sind. Aber ja, wir wollen und müssen an vielen Stellen besser werden. Dazu haben wir mit den Mitarbeitenden eine tiefgehende Analyse gemacht – mit Workshops, Umfragen und Gesprächen. Wir sind noch dabei, die Ergebnisse gründlich auszuwerten und gut zu verstehen. Sicher gibt es Schwachpunkte bei der Organisation und der Digitalisierung, zudem bei Prozess- und Kundenorientierung. Hinzu kommt ein Personalengpass gepaart mit Fachkräftemangel. Auch an der Unternehmensund Führungskultur wollen wir arbeiten. Genauso spüre ich bei vielen eine echte Aufbruchsstimmung. Bei jedem Veränderungsprozess gibt es natürlich auch Sorgen vor Veränderungen. Dies drückt sich in Beharrungskräften aus. Hier hilft nur Dialog mit den Beschäftigten, und den führen wir.
Diese Beharrungskräfte haben sich sogar mit anonymen Drohbriefen gezeigt. Hinzu kommt, dass
Sie Prozesse gegen zwei Betriebsratsmitglieder wegen angeblich zu hoher Gehälter führen. Da diese Mitarbeiter Rückhalt bei einigen Kollegen haben, dürfte das die Polarisierung im Unternehmen noch verstärken.
GRABBE Zunächst einmal führen wir diese Prozesse, um Rechtssicherheit herzustellen. Gesetzgeber und Rechtsprechung haben in der zu Grunde liegenden Frage ihre Maßstäbe in den vergangenen Jahren verändert, deshalb brauchen wir hier Klarheit. Und natürlich gibt es in einem Unternehmen wie der Rheinbahn unterschiedliche Meinungen. Ich habe in meinem Leben bereits viele Transformationen bei Unternehmen gemacht. Wir reden hier bei der Rheinbahn schon über eine außergewöhnlich hohe Beharrungsstruktur und Gegenkräfte aus unterschiedlichen Gründen.
Wie empfinden Sie das?
RICHARZ Ich will das nicht öffentlich bewerten. Das werden wir intern aufarbeiten. Die meisten Transformationsprozesse scheitern, weil man die Menschen nicht in den Mittelpunkt stellt. Wir müssen jetzt die Gründe verstehen und sehen, was hinter der Ablehnung Einzelner steckt. Sind es – wie in der überwiegenden Zahl der Fälle – Sorgen und Ängste, die auch berechtigt sein können? Oder ist es im Einzelfall auch Machtgier und eine perfide Lust am Skandal. Dann müssen wir eine Entscheidung treffen, wie wir damit umgehen. So oder so ist ein solches Verhalten nicht zu tolerieren. Mein Anspruch ist es, so viele Menschen wie möglich bei der Rheinbahn auf der Veränderungsreise mitzunehmen und zu beteiligen. Und meine Erfahrung ist, dass bei ersten positiven Erlebnissen durch Veränderung die Zustimmung wächst. Diese Entwicklung sehe ich auch bei der Rheinbahn.
Viel Kritik von Ihren Kunden gab es Anfang des Jahres, nachdem der Rheintakt mit verändertem Fahrplan eingeführt wurde. Wie fällt Ihre Analyse aus?
RICHARZ Es ist ganz normal, dass ein so großer Fahrplanwechsel Reaktionen der Fahrgäste hervorruft. Die technische Umsetzung hat aber in Summe sehr gut funktioniert. Viele Beschwerden bezogen sich auf Solofahrten auf der Wehrhahnlinie. Das lag an fehlenden Fahrzeugen, da wir im Dezember eine hohe Anzahl von Unfällen hatten, bei denen Pkw in unsere Fahrzeuge gefahren sind. Mittlerweile konnten wir die Probleme spürbar minimieren. Auch gibt es kaum noch Beschwerden über die veränderte Linienführung nach Benrath und Volmerswerth. Letztlich haben wir das Angebot dort ja nicht verändert, sondern nur neu sortiert. Die Analyse läuft noch.