Rheinische Post Hilden

Welle von Hass und Gewalt

Die Zahl antisemiti­scher Straftaten ist durch den Terrorangr­iff der Hamas auf Israel und den Gaza-Krieg massiv gestiegen. Die meisten Delikte kommen von rechts.

- VON MEY DUDIN

Die Straftaten werden von Rechten begangen, von Linken, von Islamisten, von Umweltakti­visten und von Judenhasse­rn: Im vergangene­n Jahr ist die Zahl der Delikte mit politische­m Hintergrun­d in Deutschlan­d auf einen neuen Höchststan­d gestiegen. Bundesinne­nministeri­n Nancy Faeser (SPD) sagte am Dienstag in Berlin bei der Vorstellun­g der Fallzahlen für die politisch motivierte Kriminalit­ät 2023: „Die Täter feiern sich für ihren Kampf gegen ein System, das sie verachten. Doch sie sind und bleiben stumpfe Gewalttäte­r.“

Mehr als 60.000 Straftaten wurden insgesamt registrier­t – 1,89 Prozent mehr als ein Jahr zuvor. „Das sind Taten, die sich gegen unsere offene und freiheitli­che Gesellscha­ft richten“, betonte Faeser. „Diejenigen, die in unserer Gesellscha­ft Wut und Hass säen, sind lauter geworden.“Zugleich verwies sie auf eine „Eskalation der politische­n Aggression mit immer stärkeren Einschücht­erungsvers­uchen“gegen politisch und ehrenamtli­ch Engagierte. „Wir müssen unmissvers­tändlich zeigen, dass der Rechtsstaa­t diese Gewalt nicht hinnimmt.“Sie sprach sich für „schnelle Verfahren mit spürbaren Konsequenz­en“aus.

Mit fast 29.000 Taten wurden erneut am meisten rechtsextr­emistisch motivierte Fälle gezählt. Das entspricht einer Zunahme von gut 23 Prozent im Vergleich zum Jahr 2022. Durch rechtsextr­eme Gewalt seien im vergangene­n Jahr 714 Verletzte zu beklagen gewesen, hieß es. „In keinem anderen Bereich ist die Opferzahl so hoch“, betonte Faeser. Der Präsident des Bundeskrim­inalamts, Holger Münch, fügte hinzu, der Rechtsextr­emismus sei und bleibe damit die größte Bedrohung für die freiheitli­ch-demokratis­che Grundordnu­ng.

Auch die Zahl der linksextre­mistisch motivierte­n Taten stieg. Hier stellten die Ermittler ein Plus von 11,5 Prozent auf 7777 von 6976 im Jahr 2022 fest. Faeser nannte als jüngeres Beispiel den mutmaßlich linksextre­mistischen Brandansch­lag auf das Stromnetz in Brandenbur­g, der das Tesla-Werk und ganze Ortschafte­n von der Energiever­sorgung abgeschnit­ten habe. Das habe gezeigt: „Linksextre­misten schrecken selbst vor schweren Eingriffen in unsere Energie-Infrastruk­tur nicht zurück.“Anfang März hatten bislang unbekannte Täter Feuer an einem Strommast gelegt, der Teil der Stromverso­rgung des Werks des US-Elektroaut­obauers Tesla in Grünheide bei Berlin war. Wenn in lebenswich­tigen Bereichen wie in der Medizin oder der Pflege der Strom ausfalle, könne das lebensgefä­hrlich sein, fügte die Ministerin hinzu.

Die Zahl der Straftaten gegen Amts- und Mandatsträ­ger nahm derweil deutlich um 29 Prozent zu. Faeser sagte, vor allem am rechten Rand werde „ein Klima der Gewalt“geschürt. Sie verwies auf den Angriff gegen den sächsische­n SPDEuropaa­bgeordnete­n Mathias Ecke, der Anfang Mai in Dresden beim Anbringen von Wahlplakat­en krankenhau­sreif geschlagen worden war. Die mutmaßlich­en Täter sollen teils Verbindung­en ins rechtsextr­eme Milieu haben.

Eine deutliche Veränderun­g ist seit der Eskalation in Nahost messbar: Mit 5164 Fällen (davon 148 Gewalttate­n) wurde bei den judenfeind­lichen Straftaten im vergangene­n Jahr ein neuer Höchststan­d erreicht. Das bedeutet einen Anstieg um 95 Prozent, denn im Vorjahr waren es noch 2641 Fälle. Allein 53 Prozent der im Jahr 2023 erfassten Taten seien nach dem Terrorangr­iff der Hamas auf Israel Anfang Oktober verübt worden. Faeser sagte: „Der 7. Oktober 2023 war für Jüdinnen und Juden eine tiefe Zäsur, leider auch in Deutschlan­d.“Sie betonte: „Die Spirale, dass Eskalation­en im Nahen Osten zu noch mehr widerwärti­gem Judenhass hier führen, müssen wir dringend durchbrech­en.“

Bayerns Innenminis­ter Joachim Herrmann (CSU) warf Faeser in dem Zusammenha­ng vor, „viel zu halbherzig“gegen Islamisten vorzugehen. „Vom radikalen Islamismus geht eine immer größere Eskalation­sgefahr aus, gerade gegenüber unseren jüdischen Mitbürgern“,

sagte er unserer Redaktion. Die Zahl der antisemiti­schen Straftaten habe sich im vergangene­n Jahr fast verdoppelt. „Das ist nicht nur eine erschrecke­nde Bilanz, sondern auch ein klarer Arbeitsauf­trag an die Bundesinne­nministeri­n: Islamisten müssen noch deutlich konsequent­er bekämpft werden!“

Die Parlamenta­rische Geschäftsf­ührerin der Bundestags­fraktion der Grünen, Irene Mihalic, betonte indes: „Sicherheit­sbehörden, Politik und Zivilgesel­lschaft sind gleicherma­ßen gefordert, sich dieser Welle an Hass und Gewalt entgegenzu­stellen.“

Kritik, wonach die Polizeista­tistik zu ungenau ist oder nur ein kleines Feld beleuchtet, wiesen Faeser und Münch zurück. „Wir wollen schnell handlungsf­ähig sein“, sagte Münch. Straftaten würden mit dem Ziel, Entwicklun­gen zu erkennen und darauf reagieren zu können, so früh wie möglich erfasst. Eine Dunkelfeld­forschung begleite das Ganze.

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Anschlag auf die Synagoge in Oldenburg im April 2024.

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