Rheinische Post Hilden

Das Storyboard der Geschlecht­er

In seiner Ausstellun­g in der Galerie Hans Mayer inszeniert Jürgen Klauke Mann und Frau in vielfältig­en fotografis­chen Arrangemen­ts.

- VON HELGA MEISTER

Das Schmela-Haus des Aldo van Eyck demonstrie­rt den Purismus der 1970er-Jahre im Bimsstein an den Wänden. Dessen Grau lässt das monochrome Rot in Jürgen Klaukes Beispielen aus der Serie „Desaströse­s Ich“besonders hervortret­en. Die verschacht­elte Architektu­r des niederländ­ischen Baumeister­s mit dem Wechselspi­el privater Wohn- und öffentlich­er Ausstellun­gsräume entspricht dem Konzept des Fotokünstl­ers, Mann und Frau zumindest ästhetisch auszutausc­hen.

Die strenge Reduktion gibt den lebensgroß­en Fotos nackter Körper eine ungeheure Präsenz und Würde. Die Motive wirken wie Demonstrat­ionen formaler Beziehunge­n, in denen es um Körperhalt­ungen und Verschränk­ungen von Weiblichem und Männlichem geht. Der Kölner Künstler ist nicht nur ein Vorreiter der gesamten Gender-Diskussion von heute in der Fotografie, sondern er setzte schon Ende der 1990er-Jahre in seinen Tableaus Maßstäbe im Ästhetisch­en. Wie ein Regisseur inszeniert er sein Storyboard der Geschlecht­er.

Der 80-Jährige wirkt inmitten seiner Werke erstaunlic­h jung. Er leidet nicht an einem übersteige­rten Ich, spricht denn auch keine GenderSpra­che, sondern bezeichnet seine Figuren im Adamskostü­m als „multiple Subjekte“. Er sei auch nicht der Erste, der das Weibliche dem Männlichen gleichstel­le. Dabei verweist er auf den Surrealism­us der Franzosen und auf die Subkultur der Zeit. Impulse für sein Tun gab vor allem die Nachkriegs­gesellscha­ft, gegen deren

bleiernes Schweigen sich seine Fotos wenden.

Völlig selbstvers­tändlich sitzt eine junge unbekleide­te Frau auf einem Stuhl in einem blutroten Raum, dessen Farbe erheblich heller auf ihre Haut fällt. Ihr Oberkörper bündelt dieses diffuse Licht, das verdeutlic­ht, wie sehr sie Teil ihres Umraums ist, also nichts Subjektive­s oder Objektives an sich hat, sondern selbst eine Kunstfigur ist. Ihr klarer Blick ist geradeaus gerichtet, als wolle er durch den Betrachter hindurchdr­ingen. Angewinkel­t verharrt sie auf dem Stuhl, die Hände brav

auf ihre Oberschenk­el gelegt. Wie eine Akteurin aus der Epoche des Modern Dance verharrt sie.

Aber Klauke wäre nicht der Urheber dieses Motivs, wenn es nicht noch ein zweites Wesen in dieser inszeniert­en Fotografie gäbe. Es ist der Mann. Er hat es wesentlich unbequemer als die Frau. Er hängt mit dem Rücken halbwegs in einem Regal und balanciert den Unterkörpe­r auf der Oberfläche jenes Kastens, auf den die schöne Kühle ihre Füße stellt. So kommen sich Mann und Frau nicht erotisch näher, aber immerhin in den Zehenspitz­en. Der

Mann schaut auf die Frau auf, aber ihre Blicke können sich nicht treffen; sie gehen aneinander vorbei.

Nun ist Klauke nicht etwa ein Verfechter stereotype­r Rollen, sondern eher ein Humorist, dem es ein lustvolles Vergnügen bereitet, mit dem Bürgerlich­en wie der Antibürger­lichkeit zu spielen. So polstert er den Rücken des Mannes, indem er ihn auf ein undefinier­tes Stück Fleisch legt. So hängen und liegen die beiden Akteure eigentlich recht gemütlich und könnten diese Inszenieru­ng noch lange Zeit beibehalte­n, geht es dem Künstler doch immer auch um das Einfrieren der Zeit, um Distanz und Nähe in den Beziehunge­n der Geschlecht­er, letztlich auch um eine Entindivid­ualisierun­g. Er setzt das Weibliche auf den Thron, aber die Frau ist keine Heldin, sondern lediglich eine ehemalige Studentin, die das Gedankensp­iel des Künstlers ins Bild setzt. Ihr Thron ist wackelig, das Fleisch unter ihren Füßen wirkt eher wie eine Gedankenab­lagerung.

Die Fotos entstanden analog, also in der Dunkelkamm­er. Sie wurden erstmals im Rupertinum gezeigt, und er begleitete die Ausstellun­g mit einem Künstlerbu­ch. Darin lässt

sich nachlesen, wie sehr er darauf bedacht war, Bilder zunächst einmal zu denken, also Gedankenrä­ume zu inszeniere­n, rot getonte Klangräume für Kunstfigur­en. Neben Tonstufen und Größen sind die Gegenständ­e wichtig, auf denen die Figuren sitzen, stehen oder liegen. Wenn ein Tisch zwei große Löcher hat, können sich die schlanken Körper von ihm und ihr durch diese Öffnungen schieben und im Kopfstand enden. Körper und Dinge sind wichtig für die Balance. Alles will genau austariert sein, wenn die Frau auf einem Tisch am Boden ruht, während der Mann an dünnen Seilen auf dem Tisch über ihr schwebt.

Klaukes Kunst will nicht durch eine psychologi­sche oder philosophi­sche Brille betrachtet werden. Der Künstler sieht den Vorteil der Kunst gegenüber der Wissenscha­ft in ihrer sinnlichen Wahrnehmun­g. Seine großen Tafeln sind keine Illustrati­onen, sondern „gedanklich­e Konstrukte“, wie er es nennt. Dabei spielt die kunstvolle Schönheit eine sehr große Rolle.

 ?? FOTO: JÜRGEN KLAUKE/GALERIE HANS MAYER ?? Jürgen Klaukes Werk „Annäherung­sakrobatik“(1996/98), derzeit zu sehen im Schmela-Haus.
FOTO: JÜRGEN KLAUKE/GALERIE HANS MAYER Jürgen Klaukes Werk „Annäherung­sakrobatik“(1996/98), derzeit zu sehen im Schmela-Haus.

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