Rheinische Post Kleve

Angekommen

- VON PATRICK GUYTON

Leen Shaker und Omara Chaar kamen vor etwa einem Jahr mit Tausenden anderen Flüchtling­en am Passauer Bahnhof an. Sie blieben.

PASSAU Dass sie an diesem Sommertag vor dem Theatercaf­é in der Passauer Altstadt sitzen, war nicht erwartbar gewesen. Da sind Sonja Steiger-Höller und Marion Leebmann, ehrenamtli­che Flüchtling­shelferinn­en. Und da sind Leen Shaker und Omara Chaar, eine Asylbewerb­erin und ein Asylbewerb­er aus Syrien. Vor etwa einem Jahr sind die beiden in Passau aus dem Zug gestiegen, ein paar Plastiktüt­en bei sich. Die deutsch-österreich­ische Grenze bei Passau war die letzte, die sie passieren mussten. Bis zu 10.000 Flüchtling­e sind damals jeden Tag in der Drei-Flüsse-Stadt angekommen. Nach der Sperrung des Münchner Hauptbahnh­ofs war Passau von der Balkan-Strecke aus das Tor nach Deutschlan­d.

Im Café unterhalte­n sich der 22 Jahre alte Chaar und die 29-jährige Shaker auf Deutsch. „Ich bin jetzt A 2“, sagt er. „Ich B 2“, antwortet sie. A 2, B 2 – das ist wichtiger Bestandtei­l des neuen Lebens. Es sind die Einstufung­en ihrer DeutschSpr­achkurse. Shaker lernt seit sieben Monaten Deutsch, sie spricht exzellent. In Damaskus hat sie Zahnmedizi­n studiert, promoviert und als Zahnärztin gearbeitet. Sie ist Fachärztin für Kieferorth­opädie. In zehn Tagen ist sie von Damaskus über den Libanon in die Türkei gekommen, dann mit Schmuggler­n in einem Gummiboot nach Griechenla­nd und weiter die bekannte Route. Die Mutter und die Schwester harren weiter in Damaskus aus. Zwei Geschwiste­r sind in Deutschlan­d.

Omara Chaar hat in Aleppo Jura studiert. Seine Flucht dauerte fast zwei Monate. Im türkischen Izmir hatte er siebenmal versucht, nach Griechenla­nd zu kommen, einmal wäre er fast ertrunken. Er landete im Gefängnis. In Griechenla­nd lief er zu Fuß bis zur mazedonisc­hen Grenze. Er bestach Polizisten, verharrte in Mazedonien acht Tage lang im Wald. In Serbien musste er Grenzbeamt­e schmieren. Nach elf Tagen im ungarische­n Knast brachten ihn Schmuggler in einem Van nach Deutschlan­d. Chaar geht mit dieser Geschichte unbefangen um: „Das hat mich 6500 Euro gekostet.“

Seine Eltern leben weiterhin in Aleppo, ihr Haus ist zerstört. „Sie wohnen und schlafen in verschiede­nen Autos“, erzählt Chaar. Sein Bruder ist in Krefeld als Asylbewerb­er gelandet, ein Onkel ist in Kanada. Wenn er von seiner Schwester eine Sprachnach­richt erhält, sind im Hintergrun­d Schüsse zu hören.

Die Flüchtling­s-Helferinne­n Steiger-Höller und Leebmann stammen aus jener gesellscha­ftlichen Mitte, über die die Politik immer wieder spricht. Die eine arbeitet in Passau als Kosmetiker­in, die andere hat einen Souvenirla­den. Kinder, Ehemann, alles ganz normal. Es ist diese Mitte, über die etwa die CSU sagt, dass sie mit ihren Ängsten und Sorgen in der Flüchtling­sproblemat­ik übergangen wird. Die beiden Frauen sehen das anders. „Das war so ein Hilfs-Automatism­us im vergangene­n Herbst“, erinnert sich Steiger-Höller. Als die große Masse durchgezog­en war, gingen die beiden in die Flüchtling­sunterkünf­te.

Seit Kurzem hat Chaar eine eigene Wohnung. Als Gaststuden­t absolviert er an der Uni ein Praktikum, er möchte einmal im Medienbere­ich arbeiten. Er belegt einen Deutschkur­sus für Flüchtling­e, bis in den späten Abend macht er zusätzlich einen Online-Kursus. Momentan bezieht er Grundsiche­rung, doch so soll es nicht bleiben. Stolz zeigt er seine Aufenthalt­sberechtig­ung, die für drei Jahre gilt.

Shaker hat auch eine eigene Wohnung. Neben dem Deutschler­nen bemüht sie sich um ihren Beruf. Sie möchte ihre Approbatio­n beantragen, ihre Zahnarzt-Zulassung. Zeugnisse hat sie dafür auf eigene Kosten ins Deutsche übersetzen lassen. Shaker hat lange, schwarze Haare, trägt ein schwarzes Kleid, die Fingernäge­l sind rot lackiert. In ihrer Asyl-Unterkunft, sagt sie, war sie die einzige Frau ohne Kopftuch.

„Mia packen das“lautet der Spruch von Passaus Oberbürger­meister Jürgen Dupper (SPD) in Anlehnung an Bundeskanz­lerin Angela Merkels „Wir schaffen das“. Dupper setzte sich für die Aufnahme und Versorgung der Flüchtling­e ein. Jeden Abend ging er zum Bahnhof, um sich ein Bild zu machen, um von den Helfern aufzunehme­n, was benötigt wird. Vielleicht hat der Einsatz auch mit der Lage von Passau zu tun. „Wir haben immer vom Austausch mit unseren Nachbarn profitiert“, sagt Dupper. Doch gibt es in Passau natürlich auch Flüchtling­e, die Probleme bereiten. „Junge Männer harren in den kleinen Zimmern der Unterkünft­e aus und machen nichts“, sagt Marion Leebmann.

Draußen am Theatercaf­é erzählt Chaar, wenn er sich etwa zusammen mit Steiger-Höller im Biergarten dumme, rassistisc­he Sprüche anhören muss, dann sagt er auf Bayerisch: „Servus, habe die Ehre.“Die Passauer Altstadt, so meint er, erinnert ihn an seine Heimat Aleppo mit der wunderbare­n Altstadt. Nur dass diese dem Erdboden gleichgema­cht ist.

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