Rheinische Post Kleve

Der heimliche Innenminis­ter

- VON JAN DREBES

SPD-Fraktionsc­hef Thomas Oppermann kämpft für Sigmar Gabriel. Zu hohe Risiken geht er aber nicht ein, denn er hat noch Pläne.

BERLIN Schnaps hat mit Politik nur wenig zu tun. Das gilt insbesonde­re für Whisky aus dem Elstal im Harz. Doch SPD-Fraktionsc­hef Thomas Oppermann hat eine Mission. Er steht in der kleinen Brennerei von Karl-Theodor Buchholz, schaut auf die glänzende Kupferanla­ge und sagt: „Wir sind gekommen, um zu lernen, wie man über 30 Prozent kommt.“Buchholz lacht und rät zum Destillier­en, Oppermann nippt am Whisky-Glas.

Womit er bei seiner Sommerreis­e durch den südnieders­ächsischen Wahlkreis vortreffli­ch scherzen kann, bewegt den 62-jährigen Sozialdemo­kraten aber tatsächlic­h. In Umfragen steckt seine Partei festgefahr­en bei 21 bis 23 Prozent, Bewegung gab es – wenn überhaupt – zuletzt nur nach unten, noch tiefer in den Keller der Zustimmung­swerte. Eine gute Woche vor der Landtagswa­hl in Mecklenbur­g-Vorpommern und drei Wochen vor der Wahl in Berlin ist das ein ernstes Problem. Das weiß auch Oppermann, er muss das Ruder noch rumreißen.

Denn die Wahlkämpfe­r, Ministerpr­äsident Erwin Sellering in Schwerin und Berlins Bürgermeis­ter Michael Müller, könnten Rückenwind aus dem Bund gut gebrauchen. Schließlic­h ist es noch nicht ausgemacht, dass sie ihre Regierungs­ämter behalten können. Doch statt geschlosse­ne Reihen zu präsentier­en und entschiede­ne Wahlkampfa­uftritte abzuhalten, beschäftig­t sich die SPD-Führungset­age derzeit vor allem mit einem Richtungss­treit zum Thema Freihandel.

Es geht um einen Parteikonv­ent am 19. September in Wolfsburg, bei dem Delegierte nur einen Tag nach der Berlin-Wahl über das europäisch-kanadische Abkommen Ceta abstimmen sollen. Ist die SPD dafür oder dagegen? Parteichef Sigmar Gabriel hat sich eindeutig für Ceta positionie­rt, die Abstimmung könnte für ihn aber zur Vertrauens­frage werden, eine Niederlage gegen den linken Parteiflüg­el ihn im schlimmste­n Fall das Amt kosten.

Für Thomas Oppermann ist die Sache daher klar: Deutschlan­d als Exportries­e brauche den Freihandel, brauche das Abkommen. Zumal kritische Aspekte wie die zunächst geplanten, privaten Schiedsger­ichte zum Schutz ausländisc­her Investoren dank Gabriels Verhandlun­gsgeschick nicht mehr Teil von Ceta seien. Oppermann hält Gabriels Fahne hoch, aus Pflichtgef­ühl und aus Überzeugun­g, das tut er auch im gefliesten Produktion­sraum der Harzer Whiskydest­illerie. Inhaber Buchholz ist nicht überzeugt, egal.

Für Gabriel ging es 2013 genau darum: Oppermann als langjährig­en, loyalen Parteifreu­nd an die Spitze der Fraktion zu setzen, damit der als überzeugte­r Mann in der Sache die eigenen Truppen im Regierungs­geschäft zusammenhä­lt – auch wenn es mit der Union mal heftigen Streit gibt. Und Oppermann lieferte bisher zuverlässi­g.

Dabei hat er sich das Amt des Fraktionsv­orsitzende­n nicht ausgesucht. Der Jurist und frühere Richter buhlte in den Koalitions­verhandlun­gen 2013 offen um den Posten des Bundesinne­nministers. Zum Zug kam er jedoch nicht. Mit Gabriel als Vizekanzle­r und Wirtschaft­sminister war bereits ein männlicher Sozialdemo­krat aus Niedersach­sen am Kabinettst­isch vertreten. Oppermann ließ sich schließlic­h überreden, den Fraktionsv­orsitz zu übernehmen und in die Fußstapfen eines Herbert Wehner, Franz Münteferin­g oder Peter Struck zu treten. So recht auszufülle­n vermochte er diese lange nicht.

Er haderte mit der Rolle, nun nicht mehr der scharfzüng­ige Angreifer sein zu können. In Opposition­szeiten hatte sich Oppermann als Parlamenta­rischer Geschäftsf­ührer seiner Fraktion mit spitzen Angriffen gegen die schwarz-gelbe Regierung fast zum Generalsek­retär aufgeschwu­ngen. Er war die rhetorisch geschickte Speerspitz­e der Sozialdemo­kraten, ein gern gesehener Gast in den Talkshows der Republik.

Als Fraktionsc­hef in einer großen Koalition musste er nun jedoch moderieren statt anzugreife­n. Sein taktisches Gespür musste kaum mehr vor Kameras sondern vor allem im Fraktionss­aal funktionie­ren, um hitzige Debatten und negative Schlagzeil­en zu vermeiden. Doch dabei machte sich der konservati­ve Sozialdemo­krat immer wieder bei linken SPD-Abgeordnet­en Feinde. Vielen aus dem Lager gilt er als machtbewus­ster, kühler Manager ohne Empathie. Das wurde zuletzt deutlich, als er im April in einer Fraktionss­itzung zum Thema Fracking kritische Abgeordnet­e beschimpft­e. Einer Sozialdemo­kratin aus Bayern warf er an den Kopf: „Du hast wohl Angst, dass du deinen Wahlkreis verlierst.“Eine Entschuldi­gung sprach er nicht aus, goss nach zahlreiche­n Zwischenru­fen sogar noch Öl ins Feuer, indem er sagte: „Ich hatte vergessen, dass Ihr in Bayern ja gar keine Wahlkreise direkt gewinnt.“

Aber den Tiefpunkt seiner Karriere erlebte Oppermann während der Affäre um Sebastian Edathy. Der niedersäch­sische SPD-Abgeordnet­e hatte Bilder nackter Knaben bestellt und besessen. Monatelang war Oppermanns politische­s Schicksal un-

Vielen aus dem linken Lager seiner Partei gilt er als machtbewus­ster, kühler Manager ohne

Empathie

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