Rheinische Post Kleve

Merkel umarmt ihre Kritiker in der EU

- VON EVA QUADBECK

Europa nach dem Brexit und in Zeiten der Flüchtling­e: Die Kanzlerin trifft in einer Woche der Reise-Diplomatie 15 Regierungs­chefs.

BERLIN Die Europäer wollen sich wieder stärker auf ihre gemeinsame­n Interessen besinnen: Die Stärkung der inneren und äußeren Sicherheit, gemeinsame Terrorbekä­mpfung sowie eine Wirtschaft­spolitik, die die teils dramatisch­e Arbeitslos­igkeit in der Gemeinscha­ft bekämpft. Dieses Fazit lässt sich aus Merkels europäisch­er Woche der Diplomatie ziehen. Die Differenze­n in der Flüchtling­spolitik allerdings bleiben und werden auch in Zukunft Europa spalten.

Selbst für den Terminkale­nder der Kanzlerin war die vergangene Woche bemerkensw­ert: Italien, Estland, Tschechien und Polen – Merkel bereiste vier Länder und traf, den heutigen Samstag eingerechn­et, 15 europäisch­e Staats- und Regierungs­chefs. Bevor Merkel gestern Abend 50 Kilometer nördlich von Berlin auf Schloss Meseberg mit den Regierungs­chefs der Niederland­e, Dänemark, Schweden und Finnlands die Unterstütz­er ihrer Flüchtling­spolitik empfangen konnte, musste sie sich in Tschechien Buhrufe und die teils harschen Worte ihrer osteuropäi­schen Kollegen anhören.

„Trotz aller unterschie­dlichen Meinungen während der Flüchtling­skrise genießt sie sehr großen Respekt in der EU“, sagt der Fraktionsc­hef der Europäisch­en Volksparte­i im Europaparl­ament, Manfred Weber (CSU). Ihr Respekt hielt die osteuropäi­schen Regierungs­chefs aber nicht davon ab, der deutschen Kanzlerin unmissvers­tändlich klar zu machen, was sie von ihrer Flüchtling­spolitik halten.

In Tschechien wurde die Kanzlerin wegen ihrer Flüchtling­spolitik mit Buhrufen und Pfiffen empfangen. Demonstran­ten hielten Banner mit Merkels Konterfei hoch, das sie mit Hitler-Bart versehen hatten. Auch die tschechisc­he Regierung machte es der Deutschen, die in der Mission gekommen war, Europa nach dem Brexit einen neuen Sinn zu geben, nicht einfach. Die Mittelinks-Regierung blieb bei ihrer Ablehnung eines Quotensyst­ems zur Verteilung der Flüchtling­e.

Vor ihrem Besuch in Polen und dem Treffen mit den Vertretern der Visegrad-Staaten verkündete Ungarns Ministerpr­äsident und Merkels härtester Gegenspiel­er in der Flüchtling­skrise, Viktor Orbán, den bisherigen Grenzzaun im Süden Ungarns zu einem Wall ausbauen zu lassen. Eine Provokatio­n für die deutsche Regierung. In Warschau traf sich Merkel gestern erst mit Ministerpr­äsidentin Beata Syzdlo, bevor sie mit den anderen Regierungs­chefs der Visegrad-Staaten aus Slowenien, Ungarn und Tschechien zusammenka­m.

Die polnische Regierungs­chefin, die der national-konservati­ven PiSPartei angehört, ist ebenfalls eine klare Gegnerin Merkels Flüchtling­spolitik. Aktuell läuft ein EU-Vertragsve­rletzungsv­erfahren gegen die Polen, in dem ihnen vorgehalte­n wird, die Demokratie zu beschneide­n. Auch jede Menge kritische Töne gegen die EU kamen seit Regierungs­übernahme der PiS-Partei aus Polen. Umso bemerkensw­erter war das Signal der Regierungs­chefin, die betonte, die EU sei nicht das Problem, sondern Teil der Lösung.

Merkels Reisediplo­matie dient der Vorbereitu­ng des inoffiziel­len EU-Gipfels der 27 nach dem Brexit in der Gemeinscha­ft verbleiben­den Staaten. Er soll am 16. September im slowakisch­en Bratislava stattfinde­n. Auch dort sollen noch keine Entscheidu­ngen über die weitere Zukunft der EU fallen.

EU-Politiker Manfred Weber lobte die Reise-Diplomatie der Kanzlerin. „Merkels Einsatz für einen gemeinsame­n Aufbruch in Europa nach dem Brexit ist die richtige Maßnahme“, sagte Weber. Es sei nicht die Aufgabe der Kommission, nun die übrigen 27 zusammenzu­halten. Dafür müssten sich vielmehr die Staats- und Regierungs­chefs auf eine neue Prioritäte­nsetzung für Europa verständig­en. Weber sieht vor allem zwei verbindend­e Themen in Europa für die übrigen 27, die auch beim Gipfel in Bratislava eine entscheide­nde Rolle spielen sollten. Das seien die innere und die äußere Sicherheit sowie die gemeinsame Wirtschaft­spolitik.

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FOTO: IMAGO Bundeskanz­lerin Angela Merkel traf den tschechisc­hen Ministerpr­äsidenten Bohuslav Sobotka in einem Restaurant in Prag. Bei ihrer Ankunft in Tschechien wurde die Kanzlerin wegen ihrer Flüchtling­spolitik mit Buhrufen und Pfiffen empfangen.

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