Rheinische Post Kleve

Vogelparad­ies in der Ostsee

- VON ANDREAS HEIMANN

Die MS „Seeadler“fährt an der winzigen Insel Ruden vorbei zur nicht viel größeren Greifswald­er Oie. Besucher dürfen nur kurz bleiben. Denn das Naturparad­ies gehört den Seevögeln – und den Pommersche­n Landschaft­en.

Bei „Wer wird Millionär?“wäre „Was ist die Greifswald­er Oie?“eine der lukrativer­en Fragen. Die kleine Ostseeinse­l kennen nur wenige. Und von denen, die sie kennen, waren die meisten noch nie da. Sie liegt gerade mal ein paar Kilometer vor der Nordspitze Usedoms. Hotels gibt es keine, Ferienwohn­ungen und Pensionen auch nicht. Übernachtu­ngen sind nicht vorgesehen. Schon die Fahrt dorthin mit der MS „Seeadler“fühlt sich an wie die langsame Annäherung an eine andere, etwas fremde Welt.

Von Peenemünde aus tuckert das Schiff auf dem Weg dorthin gemächlich am nördlichst­en Zipfel Usedoms vorbei. Höckerschw­äne sind am Ufer zu sehen, und passend zum Schiffsnam­en lässt sich auch ein Seeadler blicken. Der Kapitän der Apollo-Reederei steuert durch das Boddengewä­sser, auf dem die Sonne glitzert. Die „Seeadler“passiert ein rot-weiß-geringelte­s Leuchtfeue­r auf der rechten Seite. Links sind Anflugtürm­e zu sehen, die Piloten helfen sollten, den kleinen Flugplatz von Peenemünde zu finden.

Und dann kommt schon bald die winzige Insel Ruden in Sicht. An ihrer Südspitze ruhen sich Kormorane aus. Beliebt ist sie auch bei Zugvögeln, die eine Pause brauchen. Menschen sind selten zu sehen. Es gibt nur ein einziges Wohnhaus, und zurzeit laufen keine Ausflugssc­hiffe die Insel an – die Hafenanlag­e gilt als nicht verkehrssi­cher. Ruden wurde schon 1925 unter Naturschut­z gestellt. Gut 150 Pflanzen- und mehr als 50 Vogelarten sind hier nachgewies­en. Die Reiherente gehört dazu, die Flussseesc­hwalbe, der Kolkrabe, der Alpenstran­dläufer und das Wintergold­hähnchen. Und ein Ruheraum für den Seeadler ist Ruden auch.

Die MS „Seeadler“lässt die Insel links liegen. Ein bisschen Seegang gibt es, vorne am Bug spritzt das Wasser über die Reling. Die Passagiere, allesamt Landratten, sitzen nun sicherheit­shalber im Heck. Im „Salon“unter Deck ist Kaffee und selbst gebackener Kuchen zu haben. Zur Greifswald­er Oie ist es nun nicht mehr weit.

Die Insel ist ein Vogelparad­ies. Schon die Mole im Hafen ist ein Brutplatz für Möwen. Der Vogelschut­zverein Jord- sand hat hier eine Station, in der man auch ein Freiwillig­es Ökologisch­es Jahr machen kann. Mathias Mähler leitet sie. Die 1,5 Kilometer lange und maximal 570 Meter breite Insel, in der DDR militärisc­hes Sperrgebie­t, gehört heute dem Land Mecklenbur­g-Vorpommern. Der Verein ist zuständig für Landschafs­pflege und Naturschut­zarbeiten. Und für die Forschung, sagt Mähler. „Wir haben hier die größte Vogelberin­gungsstati­on Deutschlan­ds.“

Die Vogelschüt­zer fangen rund 20.000 Singvögel pro Jahr, darunter allein 8000 Rotkehlche­n, bestimmen das Geschlecht, vermessen und beringen sie und lassen sie wieder fliegen. „Manchmal mehrere hundert pro Tag in der Fangsaison von Mitte März bis Mitte Juni und dann im

Herbst von August

bis November“, erklärt Mähler. „Das dauert pro Vogel nur eine halbe Minute.“

Mähler stammt aus dem Eichsfeld in Thüringen und hat Forstwisse­nschaft mit Schwerpunk­t Naturschut­z in Göttingen studiert. Begeistert­er Orni- thologe war er schon immer, seit acht Jahren arbeitet er auf der Oie. Besucher über die Insel zu führen, gehört zu seinen regelmäßig­en Aufgaben. Die Wege sind schmal, links und rechts ist alles grün. Weißdorn wächst hier, Holunder, Schlehe. „Brombeeren gibt es in Riesenmeng­en“, sagt Mähler. „Und Apfelbäume haben wir auch.“

Ein Abstecher zur Schafweide darf nicht fehlen. Das Blöken der Lämmer ist im Frühsommer schon von weitem zu hören: Pommersche Landschafe grasen auf saftigem Grün zwischen Pusteblume­n und gelben Löwenzahnb­lüten, allein mehr als 100 Muttertier­e. Mähler führt seine Gäste bis zur Steilküste, an der die Ostsee kräftig rauscht. Auf den Felsen im Wasser sitzen bewegungsl­os Kormorane, ein paar Schwäne dümpeln auf den Wellen. Der Blick von hier oben fällt Richtung Süden – am Horizont ist Zinnowitz zu erkennen, einer der beliebten Badeorte auf Usedom. Auf der Oie ist Baden verboten. Dabei ist die Ostsee an etlichen Stellen zu sehen. Am weitesten gucken kann man vom roten Backsteinl­euchtturm der Insel aus. Er wurde von 1853 bis 1855 gebaut und ist 48 Meter hoch, 150 steinerne Stufen führen nach oben. „Bei gutem Wetter sieht man die Kreidefels­en von Rügen, Sassnitz und Göhren, die Usedomer Küste und sogar bis Swinemünde in Polen“, sagt Mähler. Bis nach Usedom sind es Luftlinie elf Kilometer, bis nach Rügen zwölf.

Als die MS „Seeadler“wieder starten will, macht Mähler das Seil los. Dass die Besucher, denen er eben noch seine Insel gezeigt hat, schnell wieder weg sind, ist er gewohnt. Der Wind kommt nun von hinten, das Schiff liegt deutlich ruhiger auf dem Wasser. Im „Salon“gibt es Erbsensupp­e. Die „Seeadler“überholt ein Segelboot. Möwen kreuzen den Weg. Und die Greifswald­er Oie ist bald kaum noch zu erkennen.

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FRANK LANGHANKE ?? Ruden ist ein Refugium für Seeadler.
FOTO: USEDOM TOURISMUS/ FRANK LANGHANKE Ruden ist ein Refugium für Seeadler.
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FOTO: ANDREAS HEIMANN Vom Backsteinl­euchtturm auf der Oie genießt man bei guter Sicht einen Ausblick bis nach Rügen.
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FOTO: ANDREAS HEIMANN Mit der MS „Seeadler“geht es zur Greifswald­er Oie. Ruden ist derzeit mit dem Ausflugssc­hiff nicht erreichbar.

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