Videosightseeing – mit dem rollenden Kino durch die Stadt
Stadtrundfahrten mit dem Bus kennt jeder. Außergewöhnlich sind Videobustouren, die in mehreren Großstädten zu historischen Stätten oder Filmdrehorten angeboten werden. Eine dieser „filmreifen“Touren führt durch Potsdam.
Oberprimaner Johann Pfeiffer mit drei „F“hat mal wieder einen Streich ausgeheckt und Professor Crey den Wecker verstellt. Dieser bemerkt es erst, als er einen Blick zur nahen Turmuhr wirft. Viel zu spät erscheint er zum Chemieunterricht, dem just an diesem Tag der Oberschulrat beiwohnt. Wer jetzt statt auf den Bildschirm im Bus aus dem Fenster schaut, entdeckt: Die Zeiger der Uhr des einstigen Babelsberger Rathauses in der KarlLiebknecht-Straße in Potsdam drehen sich immer noch. „Heute ist das Gebäude Kulturhaus“, informiert Arne Krasting von „Zeitreisen“: „Im Frühjahr 1943 diente der Turm als Kulisse für den Film „Die Feuerzangenbowle“, in dem Heinz Rühmann den Schüler Pfeiffer mimt. Der überwiegende Teil des Streifens entstand in den Filmstudios im Stadtteil Babelsberg.“1912 lernten dort die Bilder laufen. Im Filmmuseum in Potsdams historischer Mitte kann man die Entwicklung des Films in sieben Themenräumen von der Ideenschmiede bis zur Uraufführung nachvollziehen, unterteilt in die drei großen Gesellschaften Ufa, DEFA und Studio Babelsberg.
Der Bus ist inzwischen am Strandbad am Tiefen See angekommen. Über die Deckenmonitore flimmert eine Szene aus „Die Legende von Paul und Paula“. Ein DDR-Kultfilm von 1973 mit Angelica Domröse als alleinerziehende Mutter und Winfried Glatzeder als unglücklicher Ehemann. „Nachdem die beiden Hauptdarsteller Anfang der 1980er Jahre in den Westen ausgereist waren, wurde der Film im Osten nicht mehr gezeigt“, sagt Krasting: „Erst nach der Wende kam er dort wieder in die Kinos.“
Arne Krasting ist einer der beiden Geschäftsführer von Zeitreisen in Berlin. Schon während seines Geschichtsstudiums gründete er 2001 die Firma zusammen mit seinem Kommilitonen Marcel Piethe. Zunächst boten sie historische Stadtrundgänge durch die Hauptstadt an. Einige Jahre später entwickelten sie ihr Konzept, während einer Busrundfahrt durch eine Stadt an bedeutungsvollen Stätten oder Drehorten kurze Originalfilmausschnitte zu zeigen. „So haben Besucher den direkten Vergleich, wie es früher dort aussah oder welche Bauten in einem Film als Kulisse dienten.“Eine Tour dauert rund zweieinhalb Stunden. An besonders markanten Plätzen kann man auch für ein paar Minuten aussteigen.
Am Alten Markt ist dies der Fall. Er ist eingerahmt von der klassizistischen Nikolaikirche, dem Brandenburger Landtag, der äußerlich eine teilweise Rekonstruktion des ehemaligen Stadtschlosses ist, und der Fachhochschule. Sie wurde zur DDR-Zeit errichtet und wartet seit Jahren auf Sanierung oder die Abrissbirne. Alle drei Gebäude sind in einem Ausschnitt des Films „Die Welle“ von 2008 wiederzufinden. Die Nikolaikirche war damals von einem Renovierungsgerüst umgeben, auf dessen Plane das Wellen-Logo verewigt wurde. Hier lässt Arne Krasting auch eine historische Karte einblenden, um zu zeigen, welche Bauwerke nach dem Zweiten Weltkrieg noch standen. Es sind nicht viele: die Nikolaikirche und der barocke Marstall, der seit 1981 das Filmmuseum beherbergt.
Da Potsdam mit sehr unterschiedlicher Architektur aufwarten kann, ist es auch als internationale Filmkulisse einsetzbar. So finden sich Schweizer Häuser in Klein Glienicke oder die russische Kolonie Alexandrowka im Norden der Stadt. Die Orangerie von Schloss Sanssouci repräsentierte im Werk „In 80 Tagen um die Welt“Konstantinopel. Der Videobus rollt an der Rückseite des Schlosses vorbei. Auf dem Display schreitet Otto Gebühr als Friedrich der Große (Friedrich II.) am Anwesen entlang. Der Monumentarfilm „Der große König“wurde 1940 von Joseph Goebbels in Auftrag gegeben.
Mitten im Potsdamer Zentrum gibt es ein holländisches Viertel, Drehort für den Kinderfilm „Hexe Lilli“oder die fünfte Staffel der US-Fernsehserie „Homeland“. Für ein paar Szenen Amsterdam standen die roten Giebelhäuser praktisch vor der Haustür. Autos bekamen gelbe Nummernschilder, Straßen- und Verkehrsschilder holländische Beschriftungen. „Friedrich Wilhelm I. hatte eine Vorliebe fürs Nachbarland“, erzählt Krasting: „Ab 1733 ließ er das sumpfige Gebiet von einem niederländischen Architekten entwässern und 134 Ziegelhäuser erbauen.“
Letzter Haltepunkt: Glienicker Brücke. Sie verbindet das einstige West-Berlin mit Potsdam und diente während des Kalten Krieges mehrere Male zum Austausch von politischen Gefangenen zwischen westlichen Staaten und dem Ostblock. Die erste dieser Aus- tauschaktionen bildet die Grundlage für den 2014 von Steven Spielberg gedrehten Film „Bridge of Spies“. Zwischen Mai und Oktober 1944, als Berlin schon viele schwere Luftangriffe erlebt hatte, entstand an gleicher Stelle außerdem der Schwarzweiß-Film „Unter den Brücken“.
Die spannende und unterhaltsame Tour führt kreuz und quer durch 100 Jahre Filmgeschichte. In Potsdam wimmelt es von Drehorten, und es kommen immer neue hinzu, sodass Arne Krasting und seinem Team die Ideen fürs rollende Kino ganz sicher nicht ausgehen werden. Die Redaktion wurde von Potsdam Marketing und Service zu der Reise eingeladen.