Die Diamanten von Nizza
Dann war unser Leben ja doch nicht vergeudet. Komm Philippe; leisten wir den Damen Gesellschaft.“Während ihr Geliebter in Monaco nachforschte, erhielt Elena eine SMS von Olivier. Er hatte seine, nun ja, Tante, dazu überredet, immer mal wieder einen Blick auf das Haus der Castellacis zu werfen, und diese hatte ihm von sonderbaren Aktivitäten berichtet, die er nun selbst in Augenschein genommen hatte. Jacques Pigeat brachte seine Tage damit zu, Wein einzukaufen. Mehrere Male hatte er den schwarzen Renault Laguna voll beladen. Das hatte Olivier so neugierig gemacht, dass er ihm auf seinen Einkaufstouren gefolgt war. Das Ergebnis war verstörend. Der Sommelier kaufte nicht etwa erlesene Spitzenweine, sondern das Billigste vom Billigsten aus fußballfeldgroßen Supermärkten, keine Flasche teurer als drei Euro zwanzig. Was hatte das zu bedeuten? Einmal misstrauisch geworden, mutierte Olivier zum Privatdetektiv und postierte sich auch zwei Nächte vor dem Jugendstil-Palais der Castellacis. Und wieder hatte er eine überraschende Entdeckung gemacht. Um elf Uhr hatte Jacques das Haus verlassen, und war mit dem Renault in die Nacht hinausgefahren. Olivier hatte keine Mühe, ihm zu folgen, bis sie in Marseille waren. Dann war der Kellermeister im Norden in ein Viertel abgebogen, das von einer Jugendgang kontrolliert wurde. Er war unbehelligt in Kallisté hineingebogen, wohin ihm Olivier nicht mehr folgen konnte. Auf Elenas Frage, was man denn in Kallisté unternehmen könne, sie habe noch von diesem Viertel gehört, antwortete der Chauffeur postwendend mit einer weiteren SMS: Dort gebe es außer Beton, Wut und Verzweiflung überhaupt nur eines, das aber im Überfluss: Drogen.
Elena dachte angestrengt nach, und bald war ihr alles klar: Die Signora und ihr Sommelier füllten den Billigwein in die teuren Flaschen, verkauften ihn teuer und beschafften sich mit dem Gewinn hinter dem Rücken des ehrenwerten, aber unmanierlichen Hausherrn Drogen. Daher die zitternden Hände von Jacques, daher die Schweißausbrüche der Signora, ihre Aufgekratztheit. Aber welcher Dealer wäre so naiv, auf Billigwein hereinzufallen?
Sie hätte längst der Polizei von ihren Entdeckungen über Pigeat erzählen müssen, auch im Interesse der Versicherung, aber irgend etwas hielt Elena zurück. Es hatte etwas mit Rührung zu tun. Als sie ihn vorgeführt hatte, war er nicht aggressiv und unverschämt geworden, wie die meisten anderen an seiner Stelle es geworden wären, sondern hatte ergeben ihre intellektuelle Überlegenheit respektiert. Wo gab es so etwas heute noch? Dieser hochgewachsene, breitschultrige Mann mit dem Schnauzbart verströmte eine Aura ritterlich gebändigter Verzweiflung und Resignation, die es ihr unmöglich machte, ihn umstandslos der Polizei zur weiteren Bearbeitung zu übergeben. Aber das war es nicht allein. Irgendwie wollte sie es auch Sam und Philippe zeigen, die sie ironisch als Miss Holmes titulierten, und ihre Ermittlungen allein zu Ende bringen. Vorgestern hatte sie auf die ungeduldigen Anfragen von Frank Knox und Ariane Duplessis mit einer Lüge geantwortet. Der Doorman und Sommelier habe ein handfestes Alibi, das sie bereits überprüft habe, die Polizei könne ja gern gegenchecken. Beide waren daraufhin so enttäuscht gewesen, dass sie nicht einmal mehr nach dem Nachnamen von Jacques gefragt hatten.
Sie war sich sicher, dass die Signora und ihr Angestellter nichts mit den verschwundenen Diamanten zu tun hatten. Aber Sie drehten illegale Sachen, das stand fest.
18. KAPITEL
Die vier Freunde begannen den Tag mit einem Bademantelfrühstück, wie Elena es nannte, das sie auf der Terrasse einnahmen. Die Sonne schien bereits warm, der Himmel war von frischem Blau, das Meer schimmerte, und die Welt war in Ordnung.
Elena reckte sich und hielt ihr Gesicht der Sonne entgegen. „Es wird mir schwerfallen, wieder ins reale Leben zurückzukehren.“
„Keine Angst“, sagte Philippe. „In dieser Gegend ist das reale Leben Mangelware, zumindest dort, wo wir hinfahren. Die Westseite von Cap d’Antibes, wo die Johnsons wohnen, ist eine allererste Adresse, wenn man den Immobilienmaklern Glauben schenken darf. Man kann von Glück sagen, wenn man hier ein bescheidenes kleines Häuschen für weniger als fünf oder sechs Millionen findet.“Er grinste. „Ich möchte dir jetzt aber nicht das Gefühl geben, arm zu sein, Sam.“
„Zu spät“, erwiderte Sam. „Ich hatte darum gebeten, uns mit dem Frühstück auch gleich die Rechnung hochzuschicken.“
Doch das Geld war gut angelegt, wie alle bestätigten. Sie fühlten sich erholt und verwöhnt, erfüllt von einem Gefühl der Zuversicht. Heute würden sie mit Sicherheit einen Durchbruch bei ihren Ermittlungen erzielen.
Mimi und Elena beschlossen, diese Aufgabe den Männern zu überlassen und den Vormittag damit zu verbringen, die Straßen von Antibes zu erkunden, „der einzigen Stadt an der Küste, die ihre Seele bewahrt hat“, laut Graham Greene. Sam und Philippe stimmten noch einmal ihre Vorgehensweise ab, während sie durch die engen, stillen Straßen des Caps fuhren, bis sie an ein zweiflügeliges schmiedeeisernes Tor gelangten, das zur Auffahrt eines imposanten, cremefarbenen Hauses führte. Philippe drückte auf den Knopf der Sprechanlage und wurde vom Hausherrn begrüßt.
„Ihr seid die Versicherungsfuzzis, oder? Pünktlich wie die Maurer. Passt auf den Hund auf, wenn ihr mit dem Auto rauffahrt. Er ist Engländer und beißt gerne in die Reifen von französischen Fabrikaten.“
Die Tür schwang auf. Philippe gab Gas, um die Steigung zu nehmen, trat jedoch abrupt auf die Bremse, als ein Rhodesian Ridgeback im XXL-Format aus einem Gebüsch auftauchte und sie vom Rand der Zufahrt genau beobachtete. Es war schwer zu unterscheiden, ob er die Lefzen zu einem Grinsen verzogen hatte oder die Zähne fletschte.
„Hast du einen guten Draht zu Hunden?“, fragte Philippe.
„Mit gutmütigen Rassen wie Labrador und Cockerspaniel komme ich klar. Aber das da ist eine andere Nummer. Ich an deiner Stelle würde Schritttempo fahren.“
Ganz langsam zuckelte der Wagen die Zufahrt hinauf, von dem Hund eskortiert, und mit beträchtlicher Erleichterung stellten sie fest, dass jemand beim Vordereingang auf sie wartete.
(Fortsetzung folgt)