Bloß kein Ausrutscher im Pokal
Sebastian Kehl sieht den FC Bayern vor dem Halbfinal-Duell (20.45 Uhr) gegen Borussia Dortmund gehörig unter Druck.
MÜNCHEN/DÜSSELDORF Pokalhalbfinale zwischen Bayern und Dortmund in München? Da war doch was. Ja, vor zwei Jahren gab es das Duell in dieser Konstellation bereits. Auf den Trainerbänken saßen allerdings noch Pep Guardiola und Jürgen Klopp. Letztgenannter rannte nach der Partie wild jubelnd auf den Platz. Gerade war er Zeuge des wohl aberwitzigsten Elfmeterschießens (1:3) der Pokalgeschichte geworden. Bayern verschoss vier Elfmeter, Xabi Alonso und Philipp Lahm rutschten bei ihren Versuchen mit dem Standbein weg. Dem BVB reichten zwei verwandelte Elfmeter. Den entscheidenden schoss Sebastian Kehl.
Kehl kann sich noch genau an seinen Arbeitstag erinnern: „Es war sicher das kurioseste Elfmeterschießen der vergangenen Jahre. Und dabei selbst zu treffen und ins Finale einzuziehen – einfach ein geiles Gefühl.“Und auch bei der aktuellen Auflage sieht Kehl für die Westfalen, bei denen Nuri Sahin bis 2019 verlängerte, gute Chancen. „Beiden Teams hat das Ausscheiden in der Champions League weh getan. Dieses Pokalhalbfinale hat auch deshalb eine besondere Brisanz, wobei ich glaube, dass die Bayern unter einem größeren Druck stehen ins Finale einziehen zu müssen. Die Dortmunder werden durch das Erfolgserlebnis in Gladbach und das Aufarbeiten der Geschehnisse der letzten Tage neue Kräfte freisetzen“, sagt Kehl. „Es wird ein sehr intensives Spiel werden, am Ende werden Kleinigkeiten entscheiden. Ich kann mir absolut nicht vorstellen, dass es ein solches klares 4:1 wie in der Liga für die Bayern geben wird.“
Es geht wieder um Fußball beim BVB. Und das ist für Kehl nach dem Anschlag auf den Mannschaftsbus eine wichtige Erkenntnis. „Das war schon eine Zäsur. Das Attentat hat sehr tiefe Spuren in Dortmund hinterlassen. Man hat es deutlich gespürt an den Aussagen und der Reaktionen der Spieler. So etwas war bis dahin schlicht unvorstellbar – das schüttelt man nicht einfach ab und geht zur Tagesordnung über“, sagt der 37-Jährige. „Diese Last kann ihnen niemand abnehmen und jeder geht anders damit um. Zum Glück ist die Tat aufgeklärt, dies ist enorm wichtig für den Verarbeitungsprozess und es gab am Wochenende auch sportlich wieder ein Erfolgserlebnis für das Team. Ich habe sehr mit ihnen gelitten, saß ja selbst vor nicht allzu langer Zeit noch dort im Bus.“
Thomas Tuchel erntet derzeit viel Lob für einfühlsames Krisenmanagement. Der Cheftrainer trifft den richtigen Ton. Er sprach davon, dass er und sein Team gerne gefragt worden wären, ob sie nur 22 Stunden nach dem Anschlag wieder spielen wollen. Das war auch Kritik an der Vereinsführung um Hans-Joachim Watzke und Reinhard Rauball, die – gedrängt von der Uefa – über den Kopf der Businsassen hinweg der Neuansetzung zustimmten.
Gerüchte über ein Ende der Liaison zwischen Borussia und Tuchel werden immer mal wieder laut. Verpasst der BVB das Pokalfinale wird am Ende der Saison „nur“die Qualifikation für das internationale Geschäft stehen. Kein Finale, keine Meisterschaft. Bei den über die vergangenen Jahre gewachsenen Ansprüchen in Dortmund ist das – nüchtern betrachtet – nicht zwingend zufriedenstellend. In die Bewertung der Saison werden der Anschlag und die Folgen miteinbezogen. Genauso wird aber die fehlende Konstanz ein Thema sein. Gerade in der Liga schaffte es Tuchel nicht, seinem überdurchschnittlich talentierten Team den nötigen Biss zu vermitteln. Ein Pokalfinale in Berlin würde das Zeugnis aufwerten.
Bleibt Tuchel in Dortmund? „Man wird sich nach der Saison zusammensetzen, die Situation in Ruhe analysieren und dann richtungsweisende Entscheidungen treffen“, sagt Kehl, der derzeit an seiner Diplomarbeit im SportmanagementStudiengang der Uefa (Thema: Spieler Mentoring) arbeitet und für den DFB ein Projekt an der Fußball-Akademie in Frankfurt betreut.