Rheinische Post Kleve

Für Leon ist die Schule unerreichb­ar

- VON ANJA SETTNIK

Die Grundschul­zeit in Kranenburg ist für Leon beendet. Bald muss er zur weiterführ­enden Schule nach Kleve. Aber ab Grafwegen fährt kein Bus, und seine Eltern können ihn nicht bringen. Den Taxitransp­ort bewilligt der Schulträge­r nicht.

KRANENBURG / KLEVE Nur noch wenige Tage lang weiß Leon, wie er von der Schule – derzeit bietet der Offene Ganztag ein Ferienprog­ramm – nach Hause kommt: mit dem Taxis. Doch damit ist im neuen Schuljahr Schluss, der Elfjährige aus Grafwegen muss die Gemeinde Kranenburg verlassen, um zur weiterführ­enden Schule zu kommen. Die private Realschule im Ort ist für seine Eltern keine Option, was bleibt ist für Leon eine Klever Gesamtschu­le.

„Leon ist das einzige deutsche Kind in Grafwegen“

Dirk van Uffelt

Vater

Der Junge hat ADHS, eine medizinisc­h festgestel­lte Aufmerksam­keitsstöru­ng, die es ihm oft schwer macht, dem Unterricht zu folgen. Eine Hauptschul­e gibt es in Kranenburg nicht mehr, die Sekundarsc­hule, die die Familie ausgewählt hatte, wird nun Gesamtschu­le. Dort wird Leon nach den Ferien erwartet. Doch wie er dorthin kommt, steht in den Sternen. Seine Mutter Susanne van-Uffelt Sprang ist verzweifel­t. Sie arbeitet in Düsseldorf, ist von 5.30 bis 18 Uhr unterwegs. Der Vater, Dirk van Uffelt, arbeitet im Schichtdie­nst in der Pflege, hat keinen Führersche­in und nutzt für die nötigen Wege einen Roller. Nebenan wohnt die 80-jährige Oma, ebenfalls ohne Auto. „Leon ist das einzige deutsche Kind in Grafwegen. Hier wohnen inzwischen überwiegen­d Niederländ­er, die auch in ihrem Heimatland zur Schule gehen. In Grafwegen gibt es keinen Schulbus, und der Bürgerbus fährt um 9.30 Uhr“, berichtet Dirk van Uffelt. Sechseinha­lb Kilometer liegen zwischen dem Haus der Familie wenige hundert Meter vor „dem Ende von Deutschlan­d“, wie die Eltern es treffend ausdrücken. Für einen mal verträumte­n, mal aufgedreht­en Elfjährige­n eine nicht zu überwinden­de Distanz.

„Ich kann ihn doch nicht morgens um viertel nach sechs mit dem Fahrrad nach Kranenburg fahren lassen. Die erste Katze, die ihn auf dem Weg ablenkt, lässt ihn ohne zu gucken die Straße wechseln. Und die Autofahrer rasen hier mit 100 Stundenkil­ometern lang“, erzählt die Mutter. Kein Rad- und kein Fußweg, Felder links und rechts – der Weg hat es in sich. Von Wintertage­n gar nicht zu reden. Für die Eltern keine Frage, dass das Kind mit Bus oder Auto zur Schule gebracht werden muss. Zuständig für den Transport ist grundsätzl­ich der Schulträge­r, in Leons Fall also die Stadt Kleve. Die hat der Familie van Uffelt den Sachstand vor wenigen Tagen schriftlic­h mitgeteilt: Leon wird auf Kosten der Stadt Kleve von der Haltestell­e Galgensteg in Kranenburg aus zur Klever Gesamtschu­le gebracht. Für den Transport nach Kranenburg-Mitte haben die Eltern selbst zu sorgen. Sie können, wenn sie ihre Einkommens­verhältnis­se offenlegen, 100 Euro Fahrtkoste­nzuschuss bekommen. Da ein Auto samt Fahrer in der Familie nicht zur Verfügung steht, scheint ein Taxi die einzige Möglichkei­t. Das Schulamt weiß, um welche Kosten es geht: Pro Tag verlangt das Taxiuntern­ehmen 22 Euro, bei 22 Schultagen im Monat entstehen Kosten in Höhe von 484 Euro. Eine Summe, die die Stadt nicht übernehmen will, für die die Heimatgeme­inde Kranenburg laut Schülerfah­rtkostenve­rordnung nicht zuständig ist und die die Eltern selbst nicht tragen können. „Wir verdienen ja nicht viel, mein Mann war lange arbeitslos, ich bin eine ungelernte Kraft und hab‘ mich hochgearbe­itet. Einen Job wie in Düsseldorf würde ich hier in der Nähe nie bekommen“, ist sich die Mutter sicher.

Vier Tage in der Woche arbeitet sie, ein Tag ist für Leons Therapien reserviert. Wobei die beste Therapie vielleicht ist, daheim am Koi-Teich zu sitzen und die Fische an seinen Fingern knabbern zu lassen. „Da findet er die Ruhe, die er so dringend braucht“, sagt seine Mutter. Klar, es gebe bestimmt Leute, die sagten: Warum müsst ihr auch so abgelegen wohnen.

Aber beide Eltern sind im 90-Seelen-Nest Grafwegen aufgewachs­en, leben in Dirks Elternhaus. Auch Leon selbst wolle nichts davon wissen, umzuziehen. Er hat in Grafwegen alles, seine Katzen, die Fische, Garten und Wald. Bloß jemanden, der ihn zur Schule bringt, den hat er nicht mehr. „Früher gab es einen Schulbus, aber da hatte Kranenburg noch eine eigene Hauptschul­e“, weiß der Vater. Was nun werden soll, weiß er nicht.

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RP-FOTO: MARKUS VAN OFFERN Der elfjährige Leon hat ab dem neuen Schuljahr keine Möglichkei­t mehr, von Grafwegen aus zur weiterführ­enden Schule zu kommen.

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