Vision vom autofreien Wuppertal
Bis 2027 könnte der Stadtteil Elberfeld, in dem 39.000 Menschen leben, Autos verbannt haben. So schlägt es ein Impulspapier vor. Der Plan ist Zukunftsmusik – passt aber in eine Zeit, in der über Fahrverbote diskutiert wird.
WUPPERTAL Elberfeld, 27. Juli 2027: Kinder spielen auf der Straße, die Luft riecht frisch, kein Motorenlärm hängt über den Häusern. Unterwegs sind nur Fußgänger und Fahrradfahrer, ab und an ein Elektrofahrzeug. Autos: Fehlanzeige. Mitten in der City. So sieht sie aus, die Vision einer autofreien Innenstadt. Wenn es nach dem Wuppertal Institut geht, wird sie in zehn Jahren Wirklichkeit und Wuppertal-Elberfeld der erste bestehende Stadtteil in Deutschland, der zu einem autofreien Quartier umgewandelt wurde.
Mit dem gleichermaßen mutigen
„Es geht darum, sich eine Stadt für das 21. Jahrhun
dert vorzustellen“
Oscar Reutter
Professor Institut Wuppertal
wie radikalen Vorschlag will die Forschungsgruppe um Professor Oscar Reutter die Diskussion zum Thema Verkehrswende beschleunigen. Und dies passt perfekt in einer Zeit, in der über Diesel-Fahrverbote und das Ende des Verbrennungsmotors diskutiert wird. „Es geht darum, sich eine moderne Stadt für das 21. Jahrhundert vorzustellen“, sagt Reutter.
Der Plan ist tatsächlich gewagt. Es geht um ein 4,5 Quadratkilometer großes Gebiet, in dem 1400 Betriebe angesiedelt sind. Rund 39.000 Menschen leben in Elberfeld, knapp elf Prozent der gesamten Stadtbevölkerung. Entsprechend hoch ist auch die Zahl der privat zugelassenen Pkw, nämlich etwa 11.000. Dazu kommen rund 1500 gewerblich betriebene Fahrzeuge.
Abgesehen von einigen Ausnahmen, so das Papier, sollen alle Autos aus dem Viertel verschwinden. Das Parken vor der Haustür ist passé. Wer dennoch einen Pkw besitzen will, muss ihn in Quartiersgaragen abstellen. Denn problematisch sei nicht nur der fahrende, sondern auch der ruhende Verkehr, sagt Reutter. „Viele Straßen sind zugestellt mit Blech.“
Ein solcher Schritt verlangt von Bürgern wie Verwaltung große Anstrengungen, Toleranz und die Bereitschaft zum Wandel. Als Plus verbucht Reutter etwa mehr Ruhe, bessere Luft, höhere Wohnumfeldqualität und größere Verkehrssicherheit. Demgegenüber steht der Wunsch nach größtmöglicher Bequemlichkeit. „Man darf das Thema nicht nur von der Verlustseite her betrachten, stattdessen muss die Überzeugungskraft der Qualitätsgewinne wirken“, sagt der Wissenschaftler. Das gilt auch für die Mobilitätsangebote durch die Stadt: Es müssten beispielsweise zusätzliche Radwege her, dazu Fahrradparkhäuser, das Carsharing-Angebot muss aufgestockt und vor allem das Nahverkehrsnetz ausgebaut werden. Ein Drittel der alltäglichen Wege sollte über den ÖPNV erschlossen sein. Das sei nicht unrealistisch, rechnet Reutter vor: 2002 lag der Wegeanteil des ÖPNV in Wuppertal bei 16 Prozent, 2011 waren es schon 25,5 Prozent. „Da erscheinen 33 Prozent bis 2030 durchaus erreichbar“, heißt es im Papier.
Andere Städte in Deutschland und Europa sind schon deutlich weiter auf dem Weg zu einer autofreien City. Oslo etwa will bis 2019 Autos aus dem Innenstadtkern verbannen, Madrid will das Zentrum bis 2020 in eine Fußgängerzone verwandeln. Auch Erfurt entwickelt seit 2012 eine sogenannte Begegnungszone Innenstadt, bei der weite Teile der Altstadt zum Fußgängerbereich umdeklariert werden. In Freiburg ist man einen anderen Weg gegangen. Dort wurde auf Initiative der Bürger das Neubauviertel Vauban direkt autofrei geplant. „Die Nachfrage war so groß“, sagt Hannes Link, Geschäftsführer des Vereins für autofreies Wohnen, „dass das Konzept ausgeweitet wurde.“
Rund 5600 Menschen leben in Vauban auf rund 40 Hektar Fläche, es ist das dichtbesiedelste Quartier in Freiburg. Aber eben weitgehend ohne Fahrzeuge. Parkplätze auf Straßen und Grundstücken gibt es nicht. Wer dort autofrei leben will, hält dies vertraglich fest und zahlt 3700 Euro für das Anrecht auf einen Stellplatz, falls er sich umentscheidet. Diese Stellplätze sind in zentralen Parkhäusern und kosten bis zu 25.000 Euro, so Link. Wer also aufs Auto verzichtet, spart Geld. „Rund 50 Prozent der Anwohner in Vauban hat kein Auto“, sagt Link. Allerdings würde in Großstädten ohnehin rund 30 Prozent der Menschen kein Auto besitzen. Gerade für Jüngere sei ein Pkw kein Statussymbol mehr.
„Voraussetzung dafür, dass sich ein Quartier so entwickeln kann, ist eine gute Infrastruktur“, sagt Link. Dazu gehört etwa, dass es im Viertel mehrere Schulen und Kitas gibt, dazu Ärzte, Supermärkte und Kneipen. Über die Stadtbahn ist Vauban ans Zentrum angebunden, dazu ste- hen mehr als 35 Carsharing-Fahrzeuge bereit. Insgesamt bewertet Link die Zufriedenheit der Menschen, die in Vauban leben, als hoch. Einziger Wermutstropfen: In einem Teil des Viertels gebe es Häuser mit Tiefgaragen, die durch die stellplatzfreien Bereiche angefahren werden. So ganz konsistent sei das Konzept leider nicht, sagt Link.
In Wuppertal will Reutter nun den Dialog mit der Stadt suchen. Das Papier soll, wenn möglich, nicht nur zur Diskussion anregen. Reutter schlägt als nächsten Schritt eine Machbarkeitsstudie vor. Wie die Menschen von autofreien Bereichen profitieren, würden Fußgängerzonen zeigen, die es in allen Großstädten gebe. „Fußgängerzonen sind gelebte Beispiele dafür, wie man Autos aus Teilen der Innenstädte heraushalten kann“, sagt Reutter. „Wenn man das konsequent weiter denkt, kommt man bei autofreien Stadtquartieren an.“